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Demonstranten hatten am Samstag einen Bagger an der Rummelsburger Bucht besetzt. 

© Jörg Carstensen/dpa

Obdachlose an der Rummelsburger Bucht: Sozialsenatorin nennt Proteste gegen Räumung von Zeltcamp „zynisch“

Einige der Obdachlosen, die an der Rummelsburger Bucht gelebt haben, sind jetzt in einem Hostel untergebracht. Aber warum musste die Räumung so kurzfristig ablaufen?

In den Zimmern stehen natürlich Fernseher, man kann sogar vom Bett aus auf den Bildschirm schauen. Seit Sonntagabend können rund 90 Menschen diese Situation genießen, sie leben in dem Hostel, das die Senatsverwaltung für Soziales bis zum Ende der Kältehilfe, bis Ende April also, gemietet hat. 

Für die Bewohner ist es purer Luxus, sie haben bis Freitagabend unter Zelten, auf Matratzen, zwischen Unrat und Ratten übernachtet. Die bittere Kälte, die ist ihnen erspart geblieben.

47 Obdachlose von der Rummelsburger Bucht sind in der Nacht zum Samstag kurzfristig erst in die Traglufthalle an der Frankfurter Allee gebracht worden, einen Tag später zogen sie in das Hostel in Friedrichshain. Eine gemeinsame Aktion von Katastrophenschutz, Sozialgenossenschaft Karuna, Polizei, Stadtmission, Deutsches Rotes Kreuz und BVG. 

Hilfe in großer Not, sagt Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke). „Das Risiko, dass Menschen erfrieren, war sehr hoch.“

Aber wer war dafür verantwortlich, dass so eine Ad-hoc-Aktion überhaupt nötig war? Elke Breitenbach sieht vor allem den Bezirk Lichtenberg in der Pflicht. Der habe viel zu spät auf die katastrophalen Verhältnisse auf dem Gelände reagiert. 

Die Sozialsenatorin sieht den Bezirk in der Pflicht

„Am späten Freitagnachmittag hat sich der Bezirk beim Krisenstab der Senatsverwaltung mit der Bitte um Amtshilfe gemeldet“, sagte die Senatorin dem Tagesspiegel. „Das war zu diesem Zeitpunkt schon eine große Herausforderung.“

Der Bezirk Lichtenberg, geführt vom Linken-Bürgermeister Michael Grunst, begründete die Maßnahme in einer Mitteilung am Freitag um 22.30 Uhr mit den angekündigten extremen Wetterlagen, daher habe man schnell reagieren wollen. Sozialstadtrat Kevin Hönicke (SPD) sagte, er sei froh, einen Ort zur Unterbringung von Obdachlosen gefunden zu haben, ein Verbleib auf der Fläche an der Bucht sei lebensgefährlich.

Der Stadtrat erhält die Nachricht von einer Notlage

Hönicke erklärte den Ablauf der Amtshilfe gegenüber dem Tagesspiegel so: „Um 11.22 Uhr habe ich an die von der Senatsverwaltung für Soziales Beauftragte Berliner Kältehilfe die Anfrage gesendet, ob dort Vorkehrungen bezüglich der Menschen an der Rummelsburger Bucht getroffen wurden mit der Bitte mir genauere Informationen zukommen zu lassen.“ 

Um 14.01 Uhr habe ihn die Nachricht erreicht, dass angesichts der aktuellen Prognosen von einer Notlage mit Gefahr für Leib und Leben ausgegangen werde und ein Wärmezelt des DRK für acht Tage unter Einbezug der Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen als angemessene Maßnahme empfohlen werde.

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Daraufhin hätten der Bezirksbürgermeister und er entschieden, den Katastrophenschutzbeauftragten des Bezirkes einzubeziehen, der das DRK kontaktiert und eine Begehung vor Ort gegen 15.30 Uhr vorgenommen habe. Das Aufstellen des Wärmezeltes habe aber wegen mangelndem Brandschutz, Einsturzgefahr und Gefahr der Vergiftung verworfen werden müssen.

„Gegen 17.00 Uhr kam von Karuna die Zusage zur Begleitung, und um 17.38 Uhr bestätigte die Senatsverwaltung für Soziales eine andere Unterbringungsmöglichkeit in Form der Amtshilfe zu organisieren, und ich erklärte mich bereit einer Notevakuierung zuzustimmen, vorausgesetzt es gibt eine konkrete Möglichkeit der Unterbringung, ohne Hürden zur Übernachtung und mit Möglichkeit der Übernachtung für alle für mehrere Tage, durch die Senatsverwaltung.“ 

Als dies gegen 19 Uhr bestätigt worden sei, „wurde ein Führungsstab im Rathaus Lichtenberg zur Einsatzplanung einberufen“.

Die Situation war nicht mehr erträglich

Helfer der Karuna-Sozialgenossenschaft haben den Obdachlosen am Abend erklärt, dass sie umgehend die Fläche verlassen müssten. „Die Situation war unhaltbar“, sagt Jörg Richert, der Vorsitzend der Sozialgenossenschaft, dem Tagesspiegel.

„Zelte waren mit Planen abgedeckt, es standen kleine Öfen und offene Tonnen mit Feuer dicht an den Zelten, überall lagen Metallgegenstände, so dass man sich schon tagsüber fast die Beine gebrochen hätte. Es herrschte akute Brandgefahr.“

Breitenbach erklärte, „dass wir mit unseren Mitarbeiterin innerhalb kurzer Zeit Unterkünfte für die Menschen finden mussten“. Die Stadtmission öffnete dann in kürzester Zeit die Traglufthalle in der Frankfurter Allee, die wegen Corona eigentlich geschlossen war, das DRK übernahm die Versorgung der Menschen. 

47 Menschen von der Rummelsburger Bucht kamen so in ein warmes Quartier. Weitere Obdachlose stießen dazu. Aber nicht alle Menschen, die jetzt im Hostel leben, kommen von der Bucht. Sie kamen aus anderen Orten in die Traglufthalle.

Der Senat hatte zuvor schon zweimal Amtshilfe geleistet

„Wir haben zuvor schon zweimal Amtshilfe geleistet, als man die Rummelsburger Bucht geräumt hatte“, sagte Breitenbach. „Jedes Mal sind die Menschen in andere Unterkunft gebracht worden. Aber jedes Mal sind dann neue gekommen. Dann macht der Bezirk erstmal nichts, bis alles wieder schwierig wird. Und dann ruft der Bezirk wieder bei uns an.“

Sie habe schon vor drei Wochen mit Hönicke besprochen, dass man bei der Rummelsburger Bucht etwas machen müssen. „Wir haben uns einen Plan überlegt. Aber leider hat sich Herr Hönicke dann nicht mehr bei Karuna gemeldet.“ Sie habe Hönicke erklärt, „dass wir den Bezirk unterstützen wollen, aber nicht auf Dauer.“

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Hönicke erklärte dem Tagesspiegel, „dass er nicht über die Presse auf Breitenbachs Kritik eingehen will. Sie kann ihre Kritik mir persönlich sagen.“ Breitenbach räumte ein, dass es für den Bezirk ein Problem darstelle, dass ihm die Fläche, auf der die Obdachlosen lebten, nicht mehr gehöre. 

Da könne man also nicht einfach Toiletten aufstellen. Allerdings gibt es Flächen in der Nähe, die der Stadt gehören. Dort könnten Toiletten aufgestellt werden.

Kältehilfe sah Möglichkeiten vor Ort, die Lage zu verbessern

Aus Sicht der Kältehilfe-Koordination hätte es vor Ort durchaus Möglichkeiten gegeben, die Situation zu verbessern. Die Sozialarbeiterin Christin Fritzsche teilte dem Tagesspiegel mit: „Nach unserer fachlichen Einschätzung hätten alternativ vor Ort brandschutzsichere Wärmezelte, Kochmöglichkeiten, Möglichkeiten zum Aufwärmen, mobile Toiletten, mobile Essensausgaben oder Ähnliches aufgestellt werden können.“ 

Sie erklärte aber auch: "Aufgrund der aktuellen Wetterlage kann das Nächtigen im Freien bei anhaltenden Minusgraden sowie starkem Bodenfrost und Schneefall für obdachlose Menschen lebensbedrohlich sein. Das Angebot einer freiwilligen Unterbringung in einem Hostel mit Einzelzimmern und der Möglichkeit, sich ganztägig dort aufzuhalten, ist aktuell lebenswichtig.“

Eigentlich sollte die Situation an der Bucht durch den Aufbau eines „Safe Spaces“ gelöst werden. Das sind Orte, an den Obdachlose unter Selbstverwaltung leben. 

Richert hat die Idee mit aus den USA gebracht, wo das gut zu funktionieren scheint. Der Bezirk wartete auf die Senatsverwaltung - doch diese wartete, wie Breitenbach twitterte, gleichzeitig auf den Bezirk, denn dieser hätte Flächen anbieten sollen. Man habe aber, sagte Breitenbach, das Projekt „Safe Places“ wegen der Pandemie erstmal verzögert.

Betroffene sind sehr froh, dass sie aus der Kälte gekommen sind

Die Senatorin und Richert erklärten, man müsse mit den Menschen ins Gespräch kommen über die Art der Hilfe, die möglich sei. Dort lebten sehr unterschiedliche Menschen, mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen über ihre Lebensweise. 

Aber in der jetzigen Situation sei vollkommen klar, sagte Breitenbach, „dass die allermeisten sehr froh sind, aus den prekären Verhältnissen und aus der Kälte zu kommen“. Richert bestätigt diese Einschätzung.

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Eigentlich sollten die persönlichen Dinge der Bewohner in Verschlägen abgeschlossen werden. Sie können bis Freitag abgeholt werden. Andererseits berichten Augenzeugen von Diebstählen und Zerstörungen.

Hönicke sagte dem Tagesspiegel, die Eigentümerin der Brache habe berichtet, „dass alle herumstehenden Fahrräder an einer Stelle gesammelt werden. Alle herumstehenden Einkaufswagen werden an einer Stelle gesammelt. Alle herumfliegenden und nicht direkt zu überdachten Verschlägen gehörenden Bauzäune werden an einer Stelle gesammelt.“ 

Diese Arbeiten können vom Sicherheitsdienst vorgenommen werden, „damit sich die Leute bewegen und warm bleiben können, die Bewachung des Geländes steht aber im Vordergrund. Die Verschläge bleiben nach Zusagen der Eigentümerin für diese Woche unangetastet, damit die Menschen ihre Sachen holen können. Die von den Bewohnern frei gegebenen Verschläge – die Sachen sind dann abgeholt – werden gekennzeichnet und werden dann entsorgt.“

[Mehr über die Räumung des Obdachlosencamps und weitere News aus Lichtenberg erfahren Sie auch am Montag im Tagesspiegel-Leute-Newsletter: leute.tagesspiegel.de]

Trotz dieser Versprechungen der Eigentümerin war am Samstag und Sonntag zu beobachten, wie Arbeiter Zelte und Eigentum zerstörten. Obdachlose berichten, sie hätten ihre vollständiges Hab und Gut nicht mehr gefunden, das in den Zelten war. Eine junge Frau beklagt, ihr Wohnwagen sei zerstört worden. Sowohl Grunst als auch Hönicke sagten, hier helfen zu wollen. Breitenbach kündigte an, die Zerstörung von Eigentum müsse untersucht werden. Die Bagger verschwanden am Sonntag vom Gelände. 

Senatorin bezeichnet Proteste gegen die Räumung als "zynisch"

Für Breitenbach und auch für Richert ist ganz klar, dass die Proteste gegen die Evakuierung des Lagers aus ihrer Sicht völlig deplatziert sind. „Die Menschen, die protestierten, unterstellen den Betroffenen, dass die genauso leben wollen, wie sie gerade leben“, sagte Breitenbach.

„Das ist ziemlich zynisch von Menschen, die mit ihrem Hintern in einer warmen Wohnung sitzen.“ Für Jörg Richert „instrumentalisieren hier Gentrifizierungsgegner die Obdachlosen“.

Rund 300 Menschen hatten am Sonntagabend gegen die Räumung protestiert und erklärt, es sei heuchlerisch, von einer Hilfsaktion zu sprechen. Es sei zwar gut, Obdachlosen zu helfen, aber ab Mai stünden sie wieder ohne Unterkunft da. Zudem kritisierten die Demonstranten die Vorgehensweise in einer abendlich-kurzfristigen Räumung und die Zerstörung von Eigentum auf der Bucht.

Einen ausführlichen Bericht über die Situation vor Ort lesen Sie auch in diesem Newsletter-Intro von Autor Robert Klages. Den Newsletter können Sie unter leute.tagesspiegel.de abonnieren. 

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