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Die Kältehilfe bietet Obdachlosen ersten Schutz. Dauerhafter kommen Menschen in Notunterkünften unter.

© Wolfgang Kumm/dpa

Obdach- und Wohnungslosigkeit in Berlin: 30.000 Menschen leben in Noteinrichtungen

21 Prozent der betroffenen Personen müssen bis zu zwei Jahre in Notunterkünften wohnen. Es fehlt in Berlin an festen Unterkünften. FDP fordert ein Zukunftskonzept

Von Sabine Beikler

Die Zahl der wohnungslosen Menschen, die in Not- und Gemeinschaftsunterkünften leben, hat sich in den vergangenen Jahren drastisch erhöht. Und fast ein Viertel der Betroffenen, nämlich 21 Prozent, müssen ein bis zwei Jahre in diesen Unterkünften bleiben. Dabei variieren die Tagessätze für Einrichtungen von Bezirk zu Bezirk.

Der niedrigste zu zahlende Tagessatz betrug 5,25 Euro in einer Notunterkunft, der höchste Tagessatz belief sich auf 68,20 Euro. Das geht aus der Antwort der Sozialverwaltung auf eine Anfrage des FDP-Abgeordneten Thomas Seerig hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt.

Immer mehr obdachlose Familien

In Berlin wurden 30.718 wohnungslose oder von akuter Obdachlosigkeit bedrohte Menschen mit Stichtag Ende 2016 in bezirkseigenen Einrichtungen oder anderen Unterkünften untergebracht. Das waren fast doppelt so viele wie 2015 (16.696). Aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor.

Mitte musste 7360 Personen unterbringen, Reinickendorf dagegen „nur“ 1455. Die hohe Zahl in Mitte resultiert aus der berlinweiten Verantwortlichkeit des Bezirks für die Unterbringung von wohnungslosen Flüchtlingen, die keine Leistungen mehr nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.

Der Kreis der Betroffenen umfasst nicht nur Alleinstehende, sondern auch Paare, Alleinerziehende oder Familien mit Kindern. Umgerechnet waren das 18.045 Haushalte, die in Not- und Gemeinschaftsunterkünften, Übergangsheimen oder Kriseneinrichtungen lebten. 13 Prozent der Einpersonen-Haushalte waren Frauen.

Zahlen, wie viele obdachlose Familien mit Kindern in Berlin leben, gibt es nicht. Aber immer mehr obdachlose Eltern erscheinen mit ihren Kindern bei Notübernachtungsstellen. Seit September gibt es in der Kreuzberger Taborstraße eine Familiennotübernachtungsstelle der Diakonie.

Vorsatz: Jeder Obdachlose soll eine feste Unterkunft erhalten

Das Regelwerk für die Unterbringung ist im Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz festgeschrieben, wonach Obdachlosigkeit verhindert werden muss. Das gehört zu den Aufgaben der Bezirke und der Stadtentwicklungsverwaltung, die Anlagen zur Unterbringung von Flüchtlingen, Asylbegehrenden und Obdachlosen errichten müssen. Auch die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen sind in der Pflicht, Obdachlosen Wohnungen zur Verfügung zu stellen.

Nach der ersten „Strategiekonferenz zur Wohnungslosigkeit und -politik“ mit Senatsverwaltungen, Bezirken und Hilfsorganisationen im Januar lautete die Kernbotschaft: Jeder Obdachlose in der Stadt soll eine feste Unterkunft erhalten, möglichst eine eigene Wohnung.

Doch die Realität schaut deutlich anders aus: Zwölf Prozent der Betroffenen leben länger als drei Jahre in Noteinrichtungen, 21 Prozent zwischen ein und zwei Jahren, 17 Prozent zwischen sieben Monaten und einem Jahr und 25 Prozent unter drei Monate.

Das gibt auch die Senatsverwaltung zu. „Nur selten kurzfristig“ könne ein Wechsel in eine eigene Wohnung erfolgen.

Und weil die 632 Einrichtungen in Berlin nicht genügend Kapazitäten haben, würden viele Betroffene in „Hostels und Pensionen“ mit einem höheren Tagessatz untergebracht. Das nächste Problem: In den Bezirken wird laut Senatsverwaltung nicht statistisch erfasst, zu welchem Tagessatz eine Person untergebracht wird. Deshalb könnten Angaben über die durchschnittlichen Tagessätze insgesamt, differenziert nach Bezirken, auch nicht gemacht werden.

Offizielle Zahlen zu Wohnungslosen im nächsten Jahr

„Der Senat hat auch hier weder den Überblick über den Umfang des Problems noch über die Kosten oder gar ein Zukunftskonzept“, kritisiert FDP-Sozialpolitiker Seerig. Wenn mehr als 20 Prozent der Betroffenen länger als ein Jahr in solchen Einrichtungen lebten, „läuft hier etwas total falsch“.

Es gibt auch keine Zahlen, wie viele Menschen auf Berliner Straße leben. Schätzungen gehen von 10.000 aus, Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) sprach von etwa 6000. Nun will die Sozialverwaltung mit Hilfe der Alice Salomon Hochschule eine Zählmethode entwickeln. Die Behörde hofft, im nächsten Jahr eine Statistik über die Zahl der Obdachlosen vorzuweisen.

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