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Die Geschichte des Olympiaparks ist in Berlin umstritten. 

© Kitty Kleist-Heinrich

NS-Ästhetik unter Denkmalschutz: Wie soll man mit der geschichtlichen Belastung des Olympiageländes umgehen?

Die NS-Ästhetik im Olympiapark empfinden viele Menschen als Ärgernis. Doch bisher scheiterten alle Initiativen am Denkmalschutz. Das könnte sich jetzt ändern.

Das Tor zur Waldbühne ist geschlossen, das wird sich coronabedingt so bald nicht ändern. Momentan also kaum Publikum für die beidseitigen Mauerreliefs des von Hitler so geschätzten Bildhauers Adolf Wamper: Zur Linken zwei überlebensgroße, heroisch posierende Kraftkerle mit Schwert und Fackel, zur Rechten, ebenfalls nackt, zwei Frauen mit Leier und Lorbeer – im Stil ganz so, wie man es 1936 offiziell schätzte. 

Damals wurde das Amphitheater als Teil des Olympiageländes eröffnet, hieß noch Dietrich-Eckart-Bühne, nach einem frühen Chefredakteur des „Völkischen Beobachters“. Man erfährt das alles und manches mehr auf einer erläuternden Schautafel.

Auch die Langemarck-Halle im Zwischengeschoss des nahen Glockenturms ist derzeit offiziell nicht zu besichtigen, wegen Bauarbeiten am Gebäude. Besucher sind gehalten, bis nach oben zur Aussichtsplattform durchzufahren. Aber nun ja, der Fahrstuhl hält auf Wunsch trotzdem, und so steht man doch in dieser steinernen Walhalla nationalsozialistischen Heldenkults, gewidmet dem Opfermythos von Langemarck. 

Nahe dem Ort in Flandern stürmten am 10. November 1914 rund 2000 blutjunge, schlecht ausgebildete Soldaten in den Tod, angeblich das Deutschlandlied auf den Lippen. „Ihr heiligen grauen Reihen / geht unter Wolken des Ruhms / und tragt die blutigen Weihen / des heimlichen Königtums!“ – in Stein gehauen schmücken die Verse des 1917 ebenfalls gefallenen, heute vergessenen Dichters Walter Flex eine Stirnseite der Halle, gegenüber rühmt Friedrich Hölderlin den „Tod fürs Vaterland“. Schilder nennen die 1914 beteiligten Regimenter, dazwischen dienen Feuerschalen der pathoserfüllten Illumination, unbenutzt, nur zur historisierenden Dekoration gedacht. 

Auch hier gibt es Tafeln mit historischen Fotos, Erläuterungen zum Bau und seiner Rolle in der nationalsozialistischen, den Sport für die politischen Zwecke instrumentalisierenden Propaganda. Könnte man jetzt auf die Terrasse hinaustreten, hätte man das Maifeld und dahinter das Olympiastadion vor Augen, aus derselben Perspektive, wie sie sich Hitler von seiner – beim Wiederaufbau 1961 weggelassenen – „Führerkanzel“ bot. Doch durch die Bauarbeiten ist dieser Gebäudeteil nun wirklich gesperrt.

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Bis 2023 werden sie noch dauern, eine gründliche Sanierung des Glockenturm-Komplexes mit den sich beidseitig anschließenden Tribünen als künftigem Standort des Sportmuseums, dessen Dauerausstellung im Jahr darauf eröffnet werden soll. Ein Projekt, das wegen der geschichtlichen Belastung des denkmalgeschützten Olympiageländes nicht nur Zustimmung findet.

So hat jetzt Peter Strieder, von 1996 bis 2004 SPD-Senator für Stadtentwicklung und damit auch für den Denkmalschutz zuständig, unter dem Titel „Weg mit diesen Skulpturen!“ in der „Zeit“ einen grundsätzlichen Wandel im Umgang mit dem baulichen und künstlerischen Erbe von 1936 gefordert. Aufgegriffen hat er damit ein von dem grünen Stadtrat Oliver Schruoffeneger, in Charlottenburg-Wilmersdorf zuständig für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt, schon lange verfolgtes Anliegen.

Adolf II. Haus des Deutschen Sports mit „Stier“ von Adolf Strübe.
Adolf II. Haus des Deutschen Sports mit „Stier“ von Adolf Strübe.

© Andreas Conrad

Der war vor einigen Jahren erfolglos bei der Senatsinnenverwaltung mit dem Vorschlag vorstellig geworden, dem der NS-Ästhetik verpflichteten Figurenschmuck des Olympiageländes durch andere Kunstformen einen Kontrapunkt entgegenzusetzen. 

Besonders stört er sich an den noch immer dem NS-Körperkult frönenden historischen Mosaiken, die sich ausgerechnet im Eingangsbereich der Sportschule im Olympiapark – Poelchau-Schule finden. Sie ist in einem Seitenflügel des 1936 eröffneten Hauses des Deutschen Sports untergebracht, von der zentralen Säulenhalle schräg gegenüber ihrem Eingang grüßen noch immer die Bronzefiguren „Zehnkämpfer“ und „Siegerin“, mit ihren steinernen Posamenten jeweils knapp fünf Meter hoch. Es sind Arbeiten von Arno Breker, der damit endgültig die Gunst Hitlers gewann und auf der von diesem und Goebbels 1944 zusammengestellten „GottbegnadetenListe“ als „Unersetzlicher Künstler“ noch einmal besonders herausgestellt war.

Adolf I. Wandrelief am Eingang Waldbühne von Adolf Wamper.
Adolf I. Wandrelief am Eingang Waldbühne von Adolf Wamper.

© Andreas Conrad

Während Schruoffeneger aber meint, dass es für diese fragwürdigen Zeugnisse der braunen Vergangenheit des Olympiageländes unterschiedliche Formen des Umgangs geben sollte, ist Strieder in seinen Forderungen sehr viel radikaler, begründet diese Strenge mit dem Erstarken von Nationalismus und Rechtsextremismus in Europa und Deutschland. 

So stößt er sich an „germanischen, dem Nazi-Körperkult huldigenden Skulpturen“ auf dem Gelände, etwa Joseph Wackerles Rosseführern auf der östlichen Seite des Maifelds, verweist auf dessen Funktion als „Parade- und Aufmarschplatz von Nazideutschland“ und die propagandistische Rolle der Langemarck-Halle. Auch moniert Strieder, dass als Namensgeber für Plätze und Straßen noch immer Personen wie der Rassenhygieniker und Fußballfunktionär Ferdinand Hueppe und der nationalistisch gesinnte Friedrich Friesen dienen. Der war als Weggefährte Friedrich Ludwig Jahns im frühen 19. Jahrhundert ein Mitbegründer der deutschen Turnbewegung und ist Strieder schon dadurch verdächtig, dass Friesen von der AfD in Sachsen-Anhalt zum Namensgeber ihrer parteinahen Landesstiftung gekürt wurde – ein Schicksal, das auf Bundesebene von dem Renaissance-Humanisten Erasmus von Rotterdam geteilt wird.

Das Weltbild des Berliner Denkmalschutzes 

Auf dem Olympiagelände, so urteilt Strieder, werde „mit Unterstützung des Denkmalschutzes die Propaganda der Nazis fortgesetzt, und keiner der Nutzer des Geländes erhebt sich dagegen“. Offensichtlich hätten er in seiner Zeit als Senator wie auch andere Politiker „das Weltbild des Berliner Denkmalschutzes nicht ausreichend hinterfragt“. Eine bloße Kommentierung mit Schautafeln sei „aus heutiger Sicht unzureichend“ und „allenfalls ein halbherziges Alibi“. Strieders Forderungskatalog: „Die Skulpturen, Wandgemälde, Reliefs müssen weg. Das Maifeld samt Führertribüne sollte abgeräumt und nutzbar gemacht werden für neue Sportfelder, Trainingsplätze, Spielwiesen. Alle Namen der Gebäude und Straßen und Trainingsplätze aus der Zeit der Nazis gehören revidiert.“

„Ein Geschichtszeugnis von überragender Bedeutung“

Dass es dazu kommt, erscheint allerdings fraglich. Das Olympiagelände erfülle die im Denkmalschutzgesetz genannten Kriterien und sei ein Denkmal, verlautet auf Anfrage lapidar aus der heute zuständigen Kulturverwaltung. „Die Ausweisung basiert auf wissenschaftlichen Kriterien und entspricht der gängigen bundesweiten Praxis im Umgang mit Zeugnissen der NS-Zeit.“ Im Übrigen würden kontinuierlich Veränderungen und Ergänzungen auch von der Denkmalpflege mitgetragen, um die Anlage für heutige sportliche Anforderungen nutzbar zu machen.

Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport wurde noch deutlicher. In der Antwort auf eine Schriftliche Anfrage des CDU-Abgeordneten Andreas Statzkowski zum Maifeld hieß es kürzlich, dass dieses ein „mahnendes Symbol der Bau- und Kunstpolitik in der Zeit des Nationalsozialismus“ sei, „ein Geschichtszeugnis von überragender historischer, künstlerischer, wissenschaftlicher und städtebaulicher Bedeutung“. Eine Überbauung des Maifelds wie auch dauerhafte Installationen oder feste Einbauten seien daher nicht genehmigungsfähig, eine denkmalgerechte Instandsetzung der Gebäude, Tribünen und Freiräume müsse bei allen Nutzungsüberlegungen Priorität haben.

Spuren einer düsteren Vergangenheit

Letztlich bedeutet Strieders Vorstoß, wie auch ihm selbst offensichtlich bewusst, die Wiederaufnahme einer alten, zuletzt im Vorfeld der WM 2006 geführten Diskussion. Schon damals war den Verantwortlichen in Bund und Land die Problematik klar, dass die Hauptspielstätte des später als „Sommermärchen“ gefeierten Fußballfests wie das gesamte ehemalige „Reichssportfeld“ ein von den Spuren einer düsteren Vergangenheit gezeichnetes Gelände war. „Deutschland wird ein geschichtsbewusster Gastgeber sein“, versprach der damalige, als Bundesinnenminister auch für den Sport zuständige Otto Schily. „Wir fühlen uns verpflichtet, das Gebäude nicht unkommentiert zu lassen“, hatte schon 2004 der Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums (DHM), Hans Ottomeyer, versichert, als das Konzept einer Ausstellung zur NS-Geschichte des Geländes vorgestellt wurde. Die Projektleitung hatte die heutige Stellvertretende DHM-Präsidentin Ulrike Kretzschmar, die Wissenschaftliche Leitung der heutige Künstlerische Direktor der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Rainer Rother.

Sport und Krieg waren eng verbunden in der NS-Ideologie

Die Räume der zur Fußball-WM eröffneten Ausstellung über den „Geschichtsort Olympiagelände“ sind derzeit Baustelle für das künftige Sportmuseum. Die Historienschau ist eingelagert, es bleibt zu hoffen, dass sie in die künftige Historienschau eingegliedert wird. Immerhin gibt es den Katalog, reich bebildert und mit prägnanten Texten, im Glockenturm-Shop noch zu kaufen. Und in der Langemarck-Halle wird mit dem verbliebenen Ausstellungsrest gut informiert.

Aber auch wer sich, vielleicht nach einer Fahrt den Glockenturm hinauf, zu einem Spaziergang durch den Olympiapark aufmacht, muss sich über mangelnde historische Informationen nicht sorgen. Auf der von Strieder beanstandeten Friedrich-Friesen-Allee gelangt man zur Linken zuerst zum ehemaligen Wohnhaus des „Reichssportführers“ Hans von Tschammer und Osten, in dessen Garten die 1937 von Paul Wynand geschaffene Bronzestatue „Falkner“ steht: ein Akt in heroischer Pose, in der Rechten den Jagdvogel, in der Linken, so erfährt man auf einer Schautafel, ein römisches Kurzschwert, Statussymbol der SS, wie es auch der Sportfunktionär trug.

Nebenan am „Annaheim“, dem ehemaligen Wohnheim für die Studentinnen der Deutschen Hochschule für Leibesübungen, wird noch deutlicher, wie eng Sport und Krieg in der NS-Ideologie zusammengehörten. Unzugänglich und unter Gebüsch halb verborgen stößt der Besucher dort auf einen Bunker, die Wände auf halber Höhe zerborsten, offenbar hat man vergeblich versucht, das Betonmonster zu sprengen.

Das Olympiastadion in Berlin-Charlottenburg, Spielstätte vom Fußball-Bundesligisten Hertha BSC Berlin. 
Das Olympiastadion in Berlin-Charlottenburg, Spielstätte vom Fußball-Bundesligisten Hertha BSC Berlin. 

© Kitty Kleist-Heinrich

[Der Glockenturm ist bis 1. November täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. In den Olympiapark gelangt man über den Gutsmuthsweg (Olympischer Platz, neben dem Eingang zum Sommerbad), bis Ende September täglich von 7 bis 20 Uhr.]

Über den Bunker erfährt man nichts weiter, anders als – nur immer die Friedrich-Friesen-Allee hinunter – über das neben dem Schwimmhaus gelegene Arzthaus: Chefarzt während der Olympischen Spiele 1936 war Karl Gebhardt, später Himmlers „Begleitarzt“ und „oberster Kliniker beim Reichsarzt SS und Polizei“. Während des Krieges unternahm er im KZ Ravensbrück Versuche an weiblichen Insassen, 1948 wurde er wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verurteilt und hingerichtet. Solche Informationen geben auf dem gesamten Gelände Auskunft über Gebäude und Skulpturen, von Georg Kolbes Figur „Ruhender Athlet“ neben dem Schwimmhaus bis zu Waldemar Raemischs vergoldeten Adlerstelen vor dem Haus des Deutschen Sports.

Unterhalb der beiden Säulen erinnert ein Gedenkstein an eine ganz andere Phase der Gebäudegeschichte. Deren damalige Nutzer hatten mit seiner NS-Vergangenheit offenbar keine Probleme: „Diese Gebäude beherbergten in den Jahren 1945 bis 1990 die britische Militärregierung und waren in den Jahren 1945 bis 1994 auch das Hauptquartier der britischen Garnison.“

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