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Alles auf Papier. Dieses klassische Bild bietet sich noch immer in vielen Gerichten. Spätestens bis 2026 soll sich das ändern.

© Kitty Kleist-Heinrich

Nicht digitalisiert: Berlins Gerichte arbeiten noch mit Papier-Akten

In Berlins Gerichten stapeln sich Verfahren – immer noch in Papierform. Wie weit ist die Justiz auf dem Weg zur elektronischen Akte?

Von außen sieht der Neubau des Verwaltungsgerichtes Berlin an der Moabiter Kirchstraße 7 topmodern aus. Doch im Inneren gibt es noch Aktenstapel, wie sie seit Jahrhunderten das Gedächtnis der Justiz sind. Aktenwagen werden durch Gänge geschoben.

Angesichts der gewaltigen Verfahrenszahlen, die dort erledigt werden, mutet das wie ein Anachronismus an. Vor allem hinsichtlich der vielen Asylklagen, deren Bearbeitung in Berlin immer länger dauert. Zuletzt führte das wie berichtet zum Konflikt zwischen der Berliner Justiz und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), das in erster Instanz über Asylanträge entscheidet. Bamf-Kritiker rügten, Berlin hinke bei der Digitalisierung von Rechtsverfahren arg hinterher, Verfahren würden so verschleppt.

Der Tagesspiegel fragte nach: Wie weit ist der elektronische Rechtsverkehr im Verwaltungsgericht, aber auch bei anderen Gerichten fortgeschritten? Ab wann wird es in der Berliner Justiz voraussichtlich die elektronische Akte geben?

Betrachtet man die Zahlen, so steht allein Berlins Verwaltungsgericht, es ist das bundesweit Größte seiner Art, vor einer Herkulesaufgabe. In Bearbeitung sind dort zurzeit 21 278 Verfahren, davon sind 13 634 Klagen abgelehnter Asylbewerber. Und deren Zahl schwillt an. In diesem Jahr wurden bis Ende Juli exakt 10 824 neue Asylklagen eingereicht. „Gut zwei Drittel aller neu hereinkommenden Verfahren drehen sich folglich um Asyl“, sagt der Sprecher des Verwaltungsgerichtes, Stephan Groscurth.

Mit welchen Schritten können diese Aktenberge digitalisiert werden? Eine erste Phase funktioniere schon weitgehend, versichert der Vize-IT-Dezernent des Gerichtes, Richter Florian von Alemann. Das ist der sogenannte Elektronische Rechtsverkehr. Konkret bedeutet dies zum einen: Das Verwaltungsgericht kann sich beispielsweise mit dem Bundesamt für Flüchtlinge elektronisch austauschen, zumal das Bamf die Unterlagen aller Asylbewerber in der Vergangenheit digitalisiert hat. Diese werden also schon online hin- und hergeschickt, ebenso die Asylurteile des Gerichts.

Zum anderen existiert an der Moabiter Kirchstraße bereits ein elektronisches Eingangsfach, in das Anwälte ihre Klagen datensicher verschlüsselt einreichen können. Bislang machen dies aber nur etwa fünf Prozent aller niedergelassenen Rechtsvertreter, sie benötigen dafür ein spezielles Ausgangsfach nur für den Gerichtsverkehr. Die meisten Anwälte schicken Verwaltungsklagen noch per Post.

Das Endziel ist die komplett digitalisierte elektronische Gerichtsakte. Dafür muss allerdings der gesamte Input der klagenden Anwälte im Computer erfasst sein und mit weiteren Unterlagen zusammengeführt werden. Ist dies erreicht, sieht der Richter alle Akten übersichtlich auf dem Bildschirm, kann die Schriftsätze mit speziellen Markern bearbeiten, sortieren, kommentieren und hat zudem gleich online Zugriff auf Kommentare anderer Gerichte zu ähnlichen Fällen. Außerdem erkennen die Computer dann Aktenzeichen und ordnen diese automatisch dem jeweiligen Verfahren zu, was die aufwendige Sortierung künftig erspart. Gelingt das, ist es eine Kulturrevolution in der Justiz. Doch bis sie greift, „müssen wir eine Übergangsphase bewältigen“, sagt Florian von Alemann.

Einerseits müssten sich die Anwälte endlich mit der elektronischen Klageübermittlung anfreunden, Dazu bleibt ihnen nicht mehr viel Zeit. Nach dem 2013 verabschiedeten „Bundesgesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten“ sind sie in der Pflicht, bis 2018 in ihrer Kanzlei ein digitales Fach für den Gerichtsverkehr einzurichten und ab 2022 Klagen ausschließlich über den Datenweg zu versenden.

Parallel zur dieser Aufgabe der Anwälte laufen im Verwaltungsgericht, so Alemann, „mit Hochdruck vielfältige Vorbereitungen“, um das Endziel, die elektronische Gerichtsakte, zu erreichen. In den kommenden vier Jahren, spätestens bis 2022, meint er, werde man dies schaffen. Weil das Ideal jedoch noch nicht existiert, wurstelt man heute an der Kirchstraße mit eingehenden Klagen noch wie anno dazumal herum. Es gibt nur Papierakten, sogar die wenigen bereits von Anwaltskanzleien digital gesendeten Klagen werden dafür noch ausgedruckt. Den Willen des Gerichts zur Digitalisierung dokumentiert allerdings eine jüngst angeschaffte und zur Zeit getestete Großscanneranlage, die auf Papier eingereichte Klagen elektronisch erfassen kann. Sie soll den Übergang begleiten, so lange, bis alle Anwälte in der digitalen Justizwelt angekommen sind. Das dürfte rasch gehen, wenn die Kanzleien vom kommenden Jahr an durchweg elektronische Fächer eingerichtet haben.

Und wie weit ist die Digitalisierung der Justiz insgesamt in Berlin sowie bundesweit inzwischen gelungen? Im bayerischen Landshut hat das Landgericht schon elektronische Akten eingeführt, in Baden-Württemberg sind gleichfalls etliche Gerichte Vorreiter. Das Hamburger Verwaltungsgericht ist hingegen etwa auf demselben Stand im Mittelfeld wie seine Berliner Kollegen und die meisten anderen Gerichte der Hauptstadt.

Nur das Sozialgericht und das Amtsgericht Neukölln liegen beim Ranking an der Spree offenbar recht weit vorne. Ab Januar 2018 soll die elektronische Akte schon mal bei Neuköllner Zivilstreitigkeiten getestet werden. Und im Sozialgericht soll ein Großscanner gleichfalls ab 2018 die auf Papier eingereichten Klagen aller Kammern – von Renten- bis zu Hartz-IV-Fällen – digitalisieren und für elektronische Gerichtsakten bereitstellen. Diese will man dann Zug um Zug testweise einführen. Allerdings gut abgesichert: „Anfangs werden wir unsere Akten in doppelter Form führen – elektronisch sowie weiterhin auf Papier“, sagt Sozialgerichtssprecher Markus Howe.

Der gesetzliche Countdown läuft. Ab 2026 muss die komplette Gerichtsakte im Computer nach dem Bundesgesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs überall eingeführt sein.

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