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SPD versteckt Gutachten zum Kopftuch.

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Neutralitätsgesetz in Berlin: SPD versteckt Gutachten zum Kopftuch

Die Berliner SPD hat ein beim Wissenschaftlichen Parlamentsdienst (WPD) beauftragtes Rechtsgutachten mit einem Sperrvermerk versehen lassen. In Parlamentskreisen gilt der Vorgang als ungewöhnlich.

Unangenehmes versteckt man lieber. Nach diesem Motto verfährt die SPD- Fraktion im Abgeordnetenhaus offenbar in der Diskussion um eine Änderung des Berliner Neutralitätsgesetzes, das muslimischen Frauen das Kopftuch untersagt, wenn sie als Lehrerin arbeiten wollen.

Ein von ihr selbst beim Wissenschaftlichen Parlamentsdienst (WPD) beauftragtes Rechtsgutachten hat die Fraktion nach Tagesspiegel-Informationen mit einem Sperrvermerk versehen lassen. Der Vorgang gilt in Parlamentskreisen als höchst ungewöhnlich. WPD-Gutachten sind traditionell öffentlich. Schriftliche und telefonische Anfragen des Tagesspiegels nach dem Gutachten lässt die Fraktion seit rund drei Wochen unbeantwortet.

Die Abgeordneten hatten das Gutachten im Sommer ausarbeiten lassen und dessen wesentlichen Ergebnisse im Anschluss selbst der Presse vorgestellt, offenbar, um Druck auf den Koalitionspartner zu machen. Denn danach ist das Neutralitätsgesetz in seiner gegenwärtigen Form verfassungswidrig.

Grund dafür ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Jahresanfang zum Schulgesetz in Nordrhein-Westfalen. Pauschalverbote für religiöse Kleidung im Schuldienst sind demnach mit dem Grundrecht auf Religionsfreiheit unvereinbar. Nur im Einzelfall könnten Verbote zulässig sein – wenn der Schulfrieden gefährdet ist.

Alles könne beim Alten bleiben

In dem 28-seitigen Gutachten kommen die Rechtsexperten des Parlaments zu dem Schluss, das Neutralitätsgesetz sei auch im Wege so genannter verfassungskonformer Auslegung nicht mehr zu retten. Deshalb müsse zumindest eine Ausnahmeregelung im Gesetz verankert werden, wonach künftig religiöse Kleidung erlaubt werden kann, wenn das Tragen „keine konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die weltanschaulich-religiöse Neutralität des Landes Berlin darstellt“. Ergänzend könne der Senat eine Ermächtigung zum Erlass von Verbots-Verordnungen schaffen, wenn in bestimmten Schulbezirken besondere Konfliktlagen bestehen. Auch auf diese Möglichkeit hatte das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hingewiesen.

Geht es um die Frauen oder um den Betrachter?

schreibt NutzerIn wilhelm

Das WPD-Gutachten ist die bisher einzige rechtliche Stellungnahme, über die der Senat verfügt. Obwohl danach das Neutralitätsgesetz reformiert werden müsste, hat er sich kürzlich anders entschieden: Monate nach dem Karlsruher Urteil legte die Senatsverwaltung für Inneres eine vierseitiges Papier vor, demzufolge alles beim Alten bleiben könne.

Gutachten wird Heiligabend freigegeben

Das Urteil des Verfassungsgerichts, heißt es darin, gelte nur für Nordrhein-Westfalen, im Übrigen könnten sich mit verändertem Personal auch wieder neue Rechtsmeinungen in Karlsruhe bilden. Daher seien die Vorgaben auf Berlin nicht übertragbar. Auf eine eigene juristische Prüfung, insbesondere im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des Berliner Verbots, wurde allerdings verzichtet. Eine Auseinandersetzung mit dem WPD-Gutachten fand nicht statt.

Die Argumente der Parlamentsjuristen gewinnen neue Brisanz durch die Klage einer muslimischen Lehrerin, die jetzt vom Land eine Entschädigung fordert. Die Schulverwaltung hatte die Frau in einer Bewerberrunde unter Hinweis auf ihr Kopftuch abgelehnt. Das Arbeitsgericht will den Fall im April verhandeln.

Möglich, dass die Richter das Verfahren aussetzen und den Fall direkt in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht vorlegen. Dies dürfen sie, wenn sie selbst zu der Überzeugung kommen, dass das Berliner Gesetz gegen die Verfassung verstößt. Die Schulverwaltung hat sich kürzlich mit einem Schriftsatz gegen die Klage der Frau gewehrt, möchte sich aber zu Einzelheiten nicht äußern. Das WPD-Gutachten liege vor, heißt es dazu nur, im Übrigen wird auf die Senatslinie verwiesen. Die SPD-Fraktion kann das Gutachten nach den internen Regeln des Parlaments nur für sechs Monate sperren. Pünktlich zum Heiligabend muss es vom Parlamentsdienst freigegeben werden. Wer es lesen möchte, findet das PDF unter diesem Text.

Das Gutachten können Sie hier als PDF herunterladen:

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