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Stellten ihren "Neustart"-Plan für Wirtschaft und Kultur vor: Klaus Lederer, Franziska Giffey und Stephan Schwarz (von links).

© Carsten Koall/dpa

Update

„Neustart“-Programm infolge der Coronakrise: Berliner Senat will Wirtschaft und Kultur mit 330 Millionen Euro anschieben

Berlins Landesregierung bringt konkrete Hilfsmaßnahmen für Gastronomie, Einzelhandel, Veranstaltungsbranche und Kreativwirtschaft auf den Weg. Was geplant ist

Wenn Berlins Verwaltung am kommenden Freitag die meisten Coronaschutzmaßnahmen aufhebt, ist eine Grundvoraussetzung dafür geschaffen, dass Unternehmen und Kulturbetriebe an ihre alten Erfolge anknüpfen können. Doch in den mehr als zwei Jahren seit Ausbruch der Pandemie ist die Welt auch in Berlin nicht mehr, wie sie einst war nach fast zehn Jahren stetigem Wirtschaftsaufschwung: Viele Stammkunden sind weg, auch zu viele Mitarbeitende haben sich beruflich neu orientiert und müssen zurückgewonnen oder neu angelernt werden.

Um Unternehmen, die besonders von Corona getroffenen sind, den Neustart zu erleichtern, hat Berlins Senat ein umfangreiches Paket mit Hilfen zusammengestellt – nach intensiven Beratungen mit Spitzenvertretern aus diesen Wirtschaftszweigen. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) präsentierte die Beschlüsse am Montag im Roten Rathaus gemeinsam mit Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos, für die SPD) und Kultursenator Klaus Lederer (Linke).

Giffey sagte, dass das Land Berlin insgesamt 330 Millionen Euro im Doppelhaushalt für die Jahre 2022 und 2023 veranschlagen wolle. Davon solle der überwiegende Teil, 290 Millionen, über die Senatsverwaltung für Wirtschaft an Hilfen ausgeschüttet werden und Branchen wie den Tourismus oder Handel stützen. Weitere 40 Millionen Euro sollen über Lederers Kulturverwaltung ausgegeben werden, wobei Lederer betonte, dass die Hilfen an private Kulturunternehmen gehen. Unterstützungen für große, landeseigene Kulturbetriebe wie den Friedrichstadtpalast würden nicht aus aus diesem Topf finanziert werden.

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„Ich freue mich sehr, dass wir damit ein Versprechen einlösen können“, sagte Giffey mit Blick auf die Vorhaben, die ihre Regierungsmannschaft für die ersten 100 Tage im Amt definiert hatte. Zugleich strebte sie an, dass ihr Senat die volle Legislaturperiode, also bis 2026, Hilfe leisten könne. Zugleich machten Giffey, Schwarz und Lederer deutlich, dass diese Investitionen unter dem Vorbehalt eines Beschlusses des Abgeordnetenhaus stünden. Die Beratungen über den Doppelhaushalt beginnen erst. Vor Juni dürften keine Mittel freigegeben sein.

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Wirtschaftssenator Schwarz sagte, die viele Maßnahmen seien bereits „mit Bordmitteln“ entwickelt worden und könnten schon früher Wirkung entfalten, andere bezögen sich auf Festivals oder andere Marketingaktionen, die frühstens für das zweite Halbjahr angesetzt seien.

Anders als bei früheren Hilfsprogrammen geht es in dem neuen Neustart-Programm nur in Ausnahmenfällen um Zuschüsse oder Darlehen, die früher geholfen hatten, das schlichte betriebswirtschaftliche Überleben der Unternehmen zu sichern. Neben Hilfen, die grundsätzlich Rahmenbedingungen verbessern sollen, haben die Aktionen das Marketing und die Akquise von Kunden beziehungsweise Gästen als Ziel. Ein weiteres Ziel ist, dass Verwaltung und Unternehmen gleichermaßen einen besseren Überblick über Kundenströme- und Verhalten bekommen.

Marketingkampagnen und Festivals fürs Tourismus und Gastgewerbe

Vor der Pandemie hatte der Tourismus Umsätze in Höhe von fast zwölf Milliarden Euro im Jahr generiert und einen Anteil von fast sieben Prozent an der gesamten Berliner Wirtschaftsleistung. Damals sicherte die Branche bis zu 230.000 Vollzeitarbeitsplätze – viele davon im Gastgewerbe. Damit diese Branche zu alter Stärke finden kann, will der Senat kurz- und langfristig wirkende Aktionen starten: Dazu zählen kurzfristige Maßnahmen wie der Start einer Marketingkampagne, „um Berlin als Sehnsuchtsort für Städtereisen“ zu etablieren.

Visit Berlin kooperiert mit der Deutschen Bahn und putzt Klinken bei den Fluggesellschaften. Andere Maßnahmen wie die Neuauflage der „Erlebe Deine Stadt“, bei der Berliner Hotelzimmer zu sehr günstigen Preisen buchen können, dienen eher der Stärkung der Akzeptanz des Tourismus in der Bevölkerung. Auch die Wiedergeburt des Feinschmecker-Festivals „eat! berlin“ im Herbst spricht Berliner wie Touristen gleichzeitig an. Des weiteren will der Senat systematischer als bisher Daten generieren, um mehr über Touristenströme zu erfahren. Weitere Aktionen zielen auf die Steigerung der Attraktivität Berlins für Geschäftsreisende und des Fachkräftemangels ab.

Weltweite Akquise für die Veranstaltungsbranche

Ob Hoteliers, Taxibetriebe oder Cateringfirmen: Alle hatten gut davon gelebt, dass viele Wirtschaftszweige ihre Messen und Kongresse in Berlin veranstaltet haben. Um das Geschäft rund um Geschäftsreisen zu beleben, will der Senat weltweit in Wirtschaftsmedien werben. VisitBerlin soll zusätzliche Sales- und Projektmanager einstellen, um Akquise zu betreiben. Tagungshotels und andere Betreiber von Veranstaltungsstätten können schon heute Zuschüsse über den „Kongressfonds Berlin“ beantragen. Um Branchenvertreter besser zu vernetzen, arbeiten Visit Berlin und Berlin Partner an „Bestival“, einem „innovativen Eventformat“ am 25. und 26. August, das den Aufbruch der Branche markieren solle.

Unter dem Motto „Meetings von Morgen“ soll im zweiten Halbjahr und im kommenden Jahr eine Veranstaltungsreihe steigen, bei der innovative Formate entwickelt und ausprobiert werden sollen, „die überraschen und Teilnehmende begeistern“. Zudem will der Senat Beratungen und Weiterbildungen finanzieren, in denen sich Vertreter von Veranstaltern zum Thema Nachhaltigkeit fortbilden können. Das Ziel: Berlin soll unter die Top Zehn der nachhaltigsten Weltmetropolen aufsteigen.

Hilfe bei Digitalisierung für Einzelhändler

Lockdown-Beschlüsse hatten Händler verzweifeln lassen. Als sie wieder öffnen durften, vereitelten Maskenpflicht und 2G-Kontrollen die Rückkehr zur kollektiven Shoppingfreude. Auch hier soll eine Marketingkampagne die Attraktivität der vielen Einkaufsstraßen und städtischen Zentren herausstellen. Die Standortagentur Berlin Partner will Unternehmen mehr Angebote machen, um sie beim digitalen Wandel zu unterstützen und konkrete Hilfe beim Beantragen von Förderprogrammen wie der „Digitalprämie“ leisten.

Für Manager von Geschäftsstraßen und lokalen Einkaufszentren wird es Angebote zur Vernetzung geben und Hilfe bei der Entwicklung von Zukunftsthemen wie der innovativen Nachnutzung von Freiflächen, Mobilitätshubs und Co-Working-Räume. Berlin Partner soll auch seine bestehenden Unterstützungsangebote rund um Genehmigungsverfahren anbieten.

Eine Maßnahme soll zwar unabhängig von der Branche gelten, ist aber vor allem für Gastronomen und Einzelhändler interessant: Die Bezirke sollen bis zum Ende des Jahres darauf verzichten, Sondernutzungsgebühren für das Straßenland einzuziehen. Der Senat will den Bezirken die entgangenen Einnahmen erstatten.

"Leuchtturm-Veranstaltungen" für die Kreativwirtschaft

In einer engen Symbiose mit der Kultur. In diesem Umfeld haben sich in den vergangenen Jahren Unternehmen etabliert, die man unter dem Schlagwort „Kreativwirtschaft“ zusammenfasst. Es können Modeschaffende sein oder Musikverlage, Galerien oder Filmfirmen. Allein Berlins Modeschöpfer erlösten 2021 nur rund 70 Prozent der Umsätze aus dem Vor-Corona-Jahr 2019. Hier will der Senat „Leuchtturmverantaltungen“ und neuartige Formate schaffen, in denen sich die Branche präsentieren kann.

Für die Musikbranche soll die Konferenz „Most Wanted: Music“ ausgeweitet werden und Crossover-Projekte mit anderen Segmenten entwickeln. Und weil Berlins Buchverlagsbranche bisher ein Event mit Strahlkraft fehlte, soll es ein „Berliner Bücherfest“ mit einem attraktiven Veranstaltungsprogramm geben. Laut aktuellem Medienbarometer würden 63 Prozent der befragten Unternehmen aus der Kreativwirtschaft gern zusätzliches Personal einstellen. Das „People & Culture Festival“ im November soll der Branche helfen, Themen wie Diversity, Leadership, Aus- und Weiterbildung zu verbessern, um auch die Arbeitsbedingungen attraktiver zu gestalten. kph

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