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In einem Wohnblock nahe des Ostbahnhofs wurden bei 44 Bewohnern des Gebäudekomplexes Corona-Infektionen nachgewiesen.

© Christoph Soeder/dpa

Neukölln und Friedrichshain: Wie es in den Wohnblöcken zum Corona-Ausbruch kommen konnte

In Berlin stehen mehrere Wohnhäuser unter Quarantäne, zahlreiche Bewohner sind mit dem Virus infiziert. Es gibt Hinweise, dass die Fälle zusammenhängen könnten.

Die Kurve der Neuinfektionen steigt wieder deutlich an, und das Virus verbreitet sich längst nicht nur in ein paar Neuköllner Wohnblöcken. Auch in vielen anderen Bezirken werden – schaut man sich die Statistik der Gesundheitsverwaltung genau an – größere Ausbrüche gemeldet.

Am Sonntag etwa meldete Marzahn-Hellersdorf 20 neue Infektionen – so viel, wie vor wenigen Wochen noch in der gesamten Stadt. Am Donnerstag gaben Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshain-Kreuzberg jeweils mehr als 20 neue Fälle an, auch Mitte meldete innerhalb von drei Tagen fast 60 neue Fälle, weitere Ausbrüche scheint es in Charlottenburg-Wilmersdorf und Spandau zu geben.

Seit Anfang Juni wurden in Neukölln zwar mit 198 positiven Tests die meisten gemeldet, Mitte folgt aber schon mit 156, dahinter liegen Friedrichshain-Kreuzberg (115), Spandau (110) und Reinickendorf (96).

Gemein ist den größeren Ausbruchsherden, dass sie meist auf einzelne Wohnblöcke begrenzt sind. Dort aber stecken sich schnell Dutzende an, Hunderte müssen in Quarantäne. Vergangene Woche hatten sich in einem Wohnblock am Berliner Ostbahnhof 44 Männer, Frauen und Kinder mit dem Coronavirus infiziert. Das erfuhr der Tagesspiegel am Dienstag von Nachbarn.

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Eine Sprecherin von Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) bestätigte den Fall auf Nachfrage. Das Gesundheitsamt Friedrichshain-Kreuzberg habe schon vergangene Woche „umfangreiche Testungen asymptomatischer Kontaktpersonen in einem Wohngebäudekomplex“ durchgeführt.

200 Bewohner werden mit Lebensmitteln versorgt

Die Bezirkssprecherin sagte, die betroffenen Haushalte stünden unter Quarantäneanordnungen und würden „durch das Bezirksamt mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln versorgt“. Weil auch Kinder betroffen seien, habe man Schulen, Kitas und Jugendclubs informiert und Tests auf das Coronavirus angeboten – wie viele Schulen betroffen sind, sagte sie nicht.

Nach Tagesspiegel-Informationen befinden sich etwa 200 Bewohner des Wohnblocks in Quarantäne. Die Familien leben seit einigen Jahren in den Gebäuden. Nachbarn berichten von zu vielen Menschen auf viel zu wenig Raum, teils abgekoppelt von der Nachbarschaft. Tausende wohnen in nahen Hochhäusern. Ob auch Quarantäne für diese Blöcke gilt, ist unklar. Unklar ist bislang, ob der Ausbruch mit dem in Neukölln zusammenhängt.

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Im Nachbarbezirk Neukölln sind mittlerweile alle Bewohner in den vom Ausbruch wohl betroffenen Häusern durchgetestet. Insgesamt wurden 604 Tests durchgeführt, fast jeder sechste war positiv: 98 Menschen waren mit Covid-19 infiziert, die letzten Ergebnisse stehen noch aus. Insgesamt stehen noch 369 Haushalte an sieben Standorten unter Quarantäne, an genauso vielen Schulen wurden Schüler positiv getestet.

Quarantäne soll womöglich Freitag aufgehoben werden

„Wenn die Zahl der Infektionen so bleibt und keine größeren Zahlen mehr hinzukommen, wird am Freitag die Quarantäne aufgehoben“, sagte Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU). „Wir haben in der vergangenen Woche viel gelernt, was die Information und die Aufklärung vor Ort angeht.“

Eine besondere Herausforderung seien die Sprachbarrieren gewesen, in den Häusern wohnen Menschen aus unterschiedlichsten Nationen. Noch immer gilt die Theorie am wahrscheinlichsten, dass sich das Virus über die Gottesdienste einer Pfingstgemeinde ausgebreitet hatte, womöglich über einen oder mehrere infizierte Pfarrer.

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Neukölln hatte sich frühzeitig zu einer offenen Kommunikation entschieden, hatte tägliche Lageberichte versandt – und war so in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Viele andere Bezirke folgen einer deutlich zurückhaltenderen Kommunikationspolitik als Liecke und sein Gesundheitsamt.

Friedrichshain kommunizierte zögerlicher

In Friedrichshain-Kreuzberg war der Ausbruch dem Bezirksamt etwa spätestens seit dem Wochenende bekannt, eine Pressemitteilung wurde erst nach einer Anfrage des Tagesspiegel versandt. Andere Bezirke reagierten am Dienstag nicht auf Anfragen. Über den Umgang mit Infektionsherden entscheidet jedes bezirkliche Gesundheitsamt weitgehend autonom – auch der Senat kann nur begrenzt Weisungen erteilen.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Hinter den Kulissen ist aber zu hören: Die größeren Ausbrüche treffen überall in Berlin besonders jene Menschen, die in besonders beengten Wohnverhältnissen leben, verlaufen oft symptomlos und es gibt einige Hinweise, dass sie zusammenhängen könnten.

Für Betroffene in Mietskasernen ist es doppelt so schlimm

Für die Menschen in den betroffenen Mietskasernen ist die Pandemie doppelt schlimm: Sie haben kaum Platz, um angemessen Abstand voneinander zu halten und in Quarantäne-Situationen wird die Enge schnell zur enormen Belastung. Jedem Achten in Berlin stehen pro Kopf maximal 19 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung, inklusive Bad und Küche.

In den Wohnblöcken leben die Menschen meist dicht an dicht. Raum für genügend Abstand gibt es selten.
In den Wohnblöcken leben die Menschen meist dicht an dicht. Raum für genügend Abstand gibt es selten.

© Kitty Kleist-Heinrich

415.000 Berliner wohnen so, was etwa der Größe des Bezirks Pankow entspricht. Das ergab eine Anfrage des Linke-Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg. „Die Corona-Krise verschärft viele soziale Probleme zusätzlich. Das wird besonders deutlich bei der leider zunehmenden Wohnraumarmut“, sagte er.

Die Zahl derer, die in Berlin sehr beengt leben müssen, ist in den vergangenen Jahren leicht von 10 Prozent auf knapp 12 Prozent gestiegen. Allerdings dürfe man „die Ansteckungsgefahr nicht nur auf die soziale Situation reduzieren“, sagte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Dienstag nach der Senatssitzung. Jeder könne sich anstecken, wenn er nicht aufpasse.

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