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Der Ernst-Reuter-Platz

© imago/Westend61

Neugestaltung des Ernst-Reuter-Platzes: Scheusal oder Botschafter der Moderne?

Zugegeben, zu den ansehnlichsten Orten dieser Stadt zählt der Ernst-Reuter-Platz nicht. Doch braucht es eine Neugestaltung? Ein Pro & Contra.

Pro: Gerd Appenzeller ist für eine Neugestaltung

In dem ausführlichen und fundierten Wikipedia-Text über den Ernst-Reuter-Platz steht ein Satz, aus dem man mit leichter Hand eine Begründung zimmern kann, warum dieser Ort unbedingt verändert werden muss. Er lautet: „Der Ernst-Reuter-Platz in seiner aktuellen Ausdehnung war im Ergebnis der NS-Planungen zur Welthauptstadt besonders großzügig angelegt und damit seinerzeit einer der größten Plätze Westeuropas“.

Der Autor Gerd Appenzeller ist Mitglied der Chefredaktion.
Der Autor Gerd Appenzeller ist Mitglied der Chefredaktion.

© tsp

Die Behauptung, ein Ort sei in irgendeinem Sinne NS-kontaminiert, ist ein Totschlagargument. Tatsächlich war der Platz, an dem sich die Ost-West- Achse, die am stärksten befahrene, innerstädtische Transitstrecke, mit drei weiteren Straßen trifft, in der Phase seiner planerischen Gestaltung in den 60er Jahren ein paar Nummern zu groß, eben der typische Wahn jener Zeit, dem ganze Stadtquartiere zum Opfer fielen, weil sie der autogerechten Stadt und einer wie auch immer zu definierenden architektonischen Moderne im Weg standen.

Verkehrslage angemessen dimensioniert

Nach heutigen Maßstäben ist die Verkehrsanlage aber angemessen dimensioniert. Die Deutschen haben lange gebraucht, um von ihren französischen und Schweizer Nachbarn zu lernen, dass ein Kreisverkehr eine vergleichsweise einfache und elegante Methode ist, sich kreuzende Verkehrsströme zu entflechten und aufzufächern.

So gesehen ist der Platz von der äußeren Anlage her also völlig richtig. Die jetzt ausgestellten Entwürfe aus dem studentischen Wettbewerb des Werkbundes Berlin, die die Straße des 17. Juni zurückbauen und die Parkplätze eliminieren wollen, mögen zwar bei R2G Beifallsstürme auslösen, sie sind aber völlig realitätsfern. Und ob man einem Platz seine Verachtung damit zeigen kann, dass man ihn demonstrativ mit einem 200 Meter hohen Gebäude krönt, ist auch zweifelhaft.

Anpflanzung vieler Bäume nötig

Was man aber verbessern muss, und wofür man einen kleinen Architektenwettbewerb ausschreiben darf, ist die Anbindung der großen Innenfläche an die Umgebung, ist die Gestaltung des Platzes selbst. Bislang gibt es nur einen einzigen Zugang durch den U-Bahntunnel von der Hardenbergstraße aus. Man müsste ihn aber aus allen vier Himmelsrichtungen erreichen können.

Außerdem würde die Weite dieses Platzes durch Anpflanzung vieler Bäume endlich einen Rahmen bekommen. Die heutige Leere um die Springbrunnen wird wohl von keinem der wenigen Besucher als großzügig, sondern nur als Ödnis empfunden. Und warum gibt es da kein Café mit vielen Tischen im Freien? Sage niemand, da säße man ja mitten in den Autoabgasen. Bis ein solcher Plan umgesetzt ist, dieselt rund um den Reuter-Platz niemand mehr, und nach so strengen Kriterien dürfte es in der ganzen Innenstadt von Berlin keinen Sitzplatz im Freien geben.

Die Ausstellung im Architekturmuseum der Technischen Universität in der Straße des 17. Juni 152 – das ist der Flachbau – ist noch vom 31. Juli bis zum 3. August von 12 bis 17 Uhr geöffnet.

Symbol von Aufbruch und Neubeginn

Contra: Hartmut Wewetzer ist gegen eine Neugestaltung

Der Ernst-Reuter-Platz ist igitt. Hochhäuser! Breite Straßen! Autos! Also alles, was wir im verkiezten Kuschel-Berlin nicht mehr sehen wollen. Aber lässt man einmal Klischees beiseite und versucht, den Platz im Herzen des alten West-Berlins unvoreingenommen auf sich wirken zu lassen, dann wird man etwas anderes wahrnehmen. Das Rund mit seinen Hochhaus-Solitären signalisiert Weite und Offenheit, symbolisiert Freiheit und Pluralismus – Werte, die für einen Neuanfang nach Diktatur, Krieg und Zerstörung stehen.

Der Autor Hartmut Wewetzer leitet das Wissenschaftsressort
Der Autor Hartmut Wewetzer leitet das Wissenschaftsressort

© Kai-Uwe Heinrich tsp

Der Platz ist Stein gewordene Demokratie. Ganz im Gegensatz zu seinem Ost-Berliner Pendant, dem Strausberger Platz im hippen Friedrichshain. Das von spätstalinistischen Monumentalriegeln umstellte Oval verkörpert betreutes Wohnen im sozialistischen Kollektiv. Es ist Protzarchitektur, die einschüchtern soll, düster und bedrohlich.

Beide Plätze symbolisieren Welten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: ein spannender und lehrreicher Gegensatz. Dabei ist es nicht ohne Ironie, dass sich ihr Konflikt in der neuen Mitte wiederholt, als Kontrast zwischen Moderne und Tradition. Nämlich dort, wo der Potsdamer und der ebenfalls wieder erstandene Leipziger Platz aufeinandertreffen.

Hier der weltstädtische und luftige Potsdamer Platz, an dem schlanke Hochhäuser in den Himmel vorstoßen und dem Ensemble einen Hauch von Manhattan verleihen. Dort das geduckte „Oktogon“ des Leipziger Platzes, zugebaut und mit wegen der einheitlichen Traufhöhe abrasierten Dächern. Das eine ein großer Wurf, ehrgeizig mit Weltstadt-Wollen und dabei sicher nicht perfekt, das andere Nostalgie mit einem Hauch Mietskaserne.

Botschafter der Moderne

Wer heute Neubauten im Stadtzentrum studiert, wird den Gedanken nicht los, dass Stalin am Ende doch ein wenig gesiegt hat. Neoklassizistische Steinarchitektur in Brauntönen und in Kistenform dominiert über aufstrebende Visionen aus Stahl und Glas (große Ausnahme ist das geglückte Sony-Center nahe dem Potsdamer Platz).

Der Ernst-Reuter-Platz als Botschafter der Moderne hat es schwer in dieser Situation. Und es stimmt ja: Aus der reinen Lehre des Bauhaus wurde in der Praxis oftmals Brutalismus, statt Klasse gab’s Masse. Das hat viele abgestoßen. Auch am Ernst-Reuter-Platz ist längst nicht alles gelungen.

Spätere Generationen werden vielleicht Gefallen an dem Platz finden

Trotzdem, als Symbol von Aufbruch und Neubeginn hat der Platz, so schroff und asketisch er auch erscheinen mag, eine wichtige Aufgabe in der Stadtlandschaft. Deshalb Vorsicht mit rabiaten Umbauten, die seinen Charakter grundlegend verändern und ihn „gemütlicher“ machen sollen. Dann wird aus dem Vorreiter von einst der Murks von heute.

Wer weiß, spätere Generationen werden vielleicht wieder Gefallen finden an den städtebaulichen Ideen der Aufbaugeneration. Am Ernst-Reuter-Platz und seiner Umgebung werden sie fündig werden. Wenn es ihn dann noch gibt.

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