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Offiziell müssen Tiertransportunternehmen nach spätestens 29 Stunden ihre Fahrt für einen Tag unterbrechen. Ob das wirklich passiert, kontrolliert allerdings niemand. 

©  Vier Pfoten/Bente Stachowske

Neues Gesetz könnte Tierrechte stärken: Brandenburg als „Schlupfloch“ für fragwürdige Tiertransporte

Der Bundesrat berät über Verbot von Tiertransporten in Staaten außerhalb der EU. Die qualvollen Fahrten unter anderem nach Russland beginnen oft in Brandenburg.

Von Sandra Dassler

Sie schockieren immer wieder: Bilder von Rindern, die nach tagelangen Transporten ohne artgerechte Versorgung desorientiert sind, Schmerzen leiden oder beim Entladen geschlagen werden. Noch grausamer sind Aufnahmen von Schlachtungen in sogenannten Drittstaaten, also Ländern außerhalb der Europäischen Union. „Da werden den Tieren die Augen ausgestochen oder die Beinsehnen durchtrennt, um sie ohne Betäubung schlachten zu können“, sagt Ina Müller-Arnke. „Schon allein deswegen dürfte es überhaupt keine Lieferungen in solche Länder geben.“

Ina Müller-Arnke ist Nutztierexpertin bei der Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“ und kämpft seit Jahren für ein Verbot solcher Transporte. Am Freitag ruht ihre Hoffnung auf dem Bundesrat, der darüber auf Antrag von Nordrhein-Westfalen entscheidet. Die Bundesregierung soll damit dazu aufgefordert werden, von einer im Tierschutzgesetz enthaltenen sogenannten Ermächtigungsgrundlage Gebrauch zu machen.

Danach kann der Export von Rindern in bestimmte Staaten verboten werden, wenn die Gefahr besteht, dass den Tieren dort durch unsachgemäße Haltung und Umgang bis zu ihrer Tötung erhebliche Leiden, Schmerzen und Schäden zugefügt werden.

Nordrhein-Westfalen hat bereits die Abfertigung von Rindertransporten in solche Drittstaaten untersagt. Doch in anderen Bundesländern werden diese nach wie vor genehmigt. Schon vor einem Jahr hatte der Deutsche Tierschutzbund beklagt, dass sich gerade Brandenburg zu einem „Schlupfloch“ für fragwürdige Tiertransporte nach oder über Russland in sogenannte Tierschutz-Risikostaaten wie Turkmenistan, Aserbaidschan, Kasachstan und Usbekistan entwickelt habe. Und das ausgerechnet unter einer grünen Verbraucherschutzministerin.

Allerdings muss man Ursula Nonnemacher zugute halten, dass sie zumindest versucht hat, dieses „Schlupfloch“ zu schließen. Nach Medienberichten über massive Verstöße gegen den Tierschutz hatte das Verbraucherschutzministerium im Sommer 2020 die für die Genehmigung zuständigen Veterinärämter der Landkreise informiert, dass von Brandenburg aus keine Tiertransporte mehr starten dürfen, die Russland als Ziel- oder Transitland haben.

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Daraufhin seien mehrere Transporte abgelehnt worden, sagt Ministeriumssprecher Gabriel Hesse: „Aufgrund von gerichtlichen Eilbeschlüssen waren die Veterinäre jedoch gezwungen, die Fahrtenbücher abzustempeln und die Exporte doch stattfinden zu lassen.“ Auch andere Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte haben in der Vergangenheit so entschieden.

Das seien jedoch nur Eilbeschlüsse auf Grundlage von Beschwerden der Zuchtverbände gewesen, sagt Nutztier-Expertin Ina Müller-Arnke: „Da musste eine schnelle Entscheidung getroffen werden und es ging weniger um eine ordentliche Untersuchung inhaltlicher Fragen.“

Brandenburg fordert Änderungsantrag

Potsdam verweist dennoch darauf, dass Tiertransporte nicht einfach verboten werden könnten. Und einen Nachweis, dass die Tiere wie vorgeschrieben spätestens nach 29 Stunden für einen Tag unter tierschutzgerechten Bedingungen in einer Versorgungsstation ausruhen durften, müssten die Drittstaaten nicht liefern. Es reiche, wenn sie zusichern, dass dies so ist und die Stationen angeben.

Niemand überprüfe, ob diese wirklich vorhanden sind, dem europäischen Recht entsprechen und überhaupt angefahren werden. Der Bund verifiziert demnach derzeit nur die Existenz der zusichernden Behörde im Drittland, aber nicht den Inhalt.

Deshalb hat Brandenburg gemeinsam mit anderen Ländern weitere Änderungsanträge zur Initiative Nordrhein-Westfalens eingereicht. Damit soll unter anderem eine Zertifizierung der Routen auf europäischer Ebene erreicht werden. Außerdem sollen Transporte nur bei Außentemperaturen von 5 bis 25 Grad Celsius stattfinden dürfen. Erst kürzlich hatten Medien berichtet, dass im Dezember 2020 mehr als 400 Rinder von Brandenburg aus in die 300 Kilometer entfernte Autonome Russische Republik Tatarstan exportiert wurden, wo bei ihrer Ankunft Minus 18 Grad herrschten.

Tiertransporteuren ist die Debatte zu polemisch

Nicht alle finden die Bundesrats-Anträge gut. „Transporte nur bei Temperaturen ab 5 Grad Celsius zu genehmigen, ist völlig übertrieben“ sagt ein Tiertransporteur: „In den modernen und tierfreundlichen Außenklimaställen hierzulande herrschen im Winter ja auch Minusgrade“. Der Tiertransporteur möchte nicht, dass seine Name genannt wird, er befürchtet Hass-Attacken.

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Augenmaß und Sachverstand seien bei der derzeit stets polemischen Diskussion nicht mehr gefragt, sagt er. Und manchmal gehe es auch nicht um die Wahrheit. So sei in einem Bericht ein Fahrzeug seines Unternehmens gezeigt worden, das an einem bestimmten Tag angeblich Rinder nach Russland transportiert haben soll. „Dieses Fahrzeug war an diesem Tag nachweislich in der Werkstatt und wir exportieren schon seit Jahren nicht mehr nach Russland“, sagt er.

Auch märkische Rinderzüchter möchten sich in der Öffentlichkeit nicht zu den Vorwürfen äußern. Man habe dabei nur schlechte Erfahrungen gemacht, heißt es.

„Vier Pfoten“ hofft auf Einlenken der Bundesministerin

Beim Landesbauernverband Brandenburg (LBV) ist man gegen ein generelles Verbot von Transporten in Drittstaaten. „Schwarze Schafe gibt es in jeder Branche“, sagt LBV-Sprecher Tino Erstling. „Aber grundsätzlich haben unsere Landwirte selbst ein großes Interesse daran, dass ihre Zuchttiere wohlbehalten am Ziel ankommen.“ Selbstverständlich müssten aber die rechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden.

Tierschützer gehen davon aus, dass inzwischen immer mehr Rinder aus anderen Bundesländern von Brandenburg aus in Drittstaaten exportiert werden – auch wegen der, wie es heißt, „laxen Genehmigungspraxis“ einiger Veterinärämter. Gegen letztere habe die Stiftung „Vier Pfoten“ bereits Strafanzeigen wegen des Verdachts der Beihilfe zur Tierquälerei gestellt, sagt Ina Müller-Arnke. Und hofft, dass die Entscheidung im Bundesrat am Freitag auch Verbraucherschutzministerin Julia Klöckner zum Umdenken zwingt.

Bislang habe diese kein besonders großes Interesse an einem Verbot von Tiertransporten in Drittländer gezeigt. Überhaupt habe bisher nur ein EU-Staat ein solches Verbot erlassen: „Als im August 2019 vier Veterinäre aus Deutschland nach Russland reisten, fanden sie heraus, dass von acht Versorgungsstationen keine einzige tauglich war. Holland hat daraufhin die Exporte gestoppt“, sagt Müller-Arnke: „Seither werden möglicherweise auch niederländische Rinder von Brandenburg aus gen Osten exportiert.“

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