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Tierpark-Direktor Heinrich Dathe und seine Sekretärin Irene Engelmann versuchen die Zettelwirtschaft auf dem Schreibtisch des Zoologen zu überblicken. Der Larvenroller, eine Schleichkatze aus Südasien, schaut dem Treiben neugierig zu.

© Archiv Tierpark Berlin /Hans Meissner

Neues Buch: Der Berliner Zoo als Zeuge der deutschen Geschichte

Im Buch "Der Zoo der Anderen" erzählt Jan Mohnhaupt über den Kalten Krieg zwischen Zoo und Tierpark. Hier einige Auszüge.

Fremdartige Geräusche ertönen über West-Berlin und durchbrechen den morgendlichen Straßenlärm. Die Gibbons im Zoologischen Garten singen und klingen wie eine außer Kontrolle geratene Jazzband. Mehrere Kilometer weit sind die Laute zu vernehmen, mit denen die Menschenaffen ihr Revier behaupten. Wenn der Wind, so wie jetzt, günstig steht, schallen sie über den Tiergarten und die Mauer hinweg bis nach Ost-Berlin. Als sei die Stadt noch eins.

Doch seit dieser Nacht im vergangenen August hat sich alles verändert, und mehr denn je schwebt über West-Berlin die Angst vor einem Einmarsch der NVA oder, schlimmer noch, der Roten Armee. Die Amerikaner haben vorsorglich 200 Kampfflugzeuge in Frankreich stationiert, um im Zweifel für einen sowjetischen Angriff gewappnet zu sein. Was dann passieren würde, will sich kein Berliner vorstellen – ein Zusammenstoß der Supermächte, ein dritter Weltkrieg. Am 27. Oktober 1961 wäre es fast dazu gekommen. Die Gibbons im Zoo haben nichts von den Revierkämpfen ihrer großen Verwandten bemerkt; der baumlose Ort namens Checkpoint Charlie ist ihnen unbekannt. Die Menschen dort sangen nicht, sondern ließen Panzer auffahren, kampfbereit standen sie sich gegenüber und warteten nur darauf, dass ihre Anführer den Befehl gaben zu schießen. Unter einigen Menschenaffen ist Krieg nichts Ungewöhnliches.

Es ist bei den Drohgebärden geblieben, doch das Kräftemessen geht weiter. Von nun an ist es ein symbolischer Kampf: Für die Alliierten gilt es, ihre Machtansprüche in West-Berlin zu zeigen, dieser „Insel der Freiheit“ inmitten des „Roten Meeres“. Um auf eine erneute Blockade vorbereitet zu sein, werden überall in West-Berlin Lebensmittel für ein Dreivierteljahr eingelagert. Auch der Zoo muss Vorräte für seine Tiere anlegen; Scheunen und Kühlräume werden gebaut. Ein Großteil des vorgegebenen Fleischvorrats bilden die lebenden Haustierrassen im Zoo. Nur Fisch wird nicht eingelagert, sodass die Robben im Notfall ausgeflogen werden müssten.

Der Zoo wird zunehmend zum politischen Schauplatz

Der Zoo wird zunehmend zum politischen Schauplatz: Am 21. Februar 1962, ein Jahr bevor US-Präsident John F. Kennedy nach Berlin kommen wird, besucht sein jüngerer Bruder, der US-Justizminister Robert Kennedy, den Berliner Zoo. Schon weit vor dem Eingang bildet sich eine Menschentraube um ihn und weicht nicht mehr von seiner Seite, sodass die Pförtner schließlich gezwungen sind, die Tore des Zoos weit zu öffnen und alle hereinzulassen, ohne Eintritt zu nehmen – was Direktor Heinz-Georg Klös mächtig wurmt.

Kennedy hat einen Weißkopfseeadler mitgebracht, das Wappentier seines Landes, den er prompt auf den Namen von West-Berlins Regierendem Bürgermeister Willy Brandt tauft. „Ohne das Geschlecht des Adlers vorher zu prüfen“, bemerkt einer der anwesenden Journalisten und runzelt die Stirn. Die SED-Parteizeitung Neues Deutschland nutzt die dankbare Vorlage und berichtet unter der Überschrift „Hinter Gittern“ ausführlich „von den Gewohnheiten Willy Brandts“, der „am liebsten tote Ratten frisst“.

Jahn Mohnhaupt, Der Zoo der Anderen
Jahn Mohnhaupt, Der Zoo der Anderen

© Carl Hanser Verlag München

Auch in den folgenden Wochen berichten ostdeutsche Zeitungen immer wieder über den Namensvetter des Regierenden Bürgermeisters von West-Berlin. Solche Staatsgeschenke haben noch einen ganz anderen Haken, denn meist handelt es sich dabei um jene Tiere, die man am ehesten entbehren kann. Bundespräsident Heinrich Lübke hat sich auf einer Afrikareise mal einen männlichen Leoparden andrehen lassen und ihn dem Zoo vermacht. Erst in Berlin stellte sich heraus, dass der Kater kastriert war. „Willy Brandt“, der Adler, kann kaum noch schlucken. Seine verhornten Klauen machen es ihm unmöglich, auf einem Ast zu sitzen oder Beute zu greifen.

„Ein ziemlich altes Luder“, stellt der Tierarzt ernüchtert fest. Zwei Jahre später stirbt der Vogel. Doch Klös hat rechtzeitig einen jüngeren beschafft, „der dem Publikum gegenüber als der echte ,Willy Brandt’ ausgegeben worden war, wenn der Kennedy-Adler vom Rheuma geplagt wurde und nicht im Freien sitzen konnte“, schreibt der „Spiegel“ süffisant.

Eröffnung des Prestigebaus: am 70 Geburtstag Ulbrichts

Klös geht es bei solchen Anlässen vor allem darum, die Gunst der Politiker und Mächtigen West-Berlins zu gewinnen. Und wenn er seine Ziele erreichen will, kann er sehr überzeugend sein. (...)

Im Dezember 1962 eröffnet Klös das neue Vogelhaus mit einer Tropenhalle, in der die Vögel scheinbar frei umherfliegen können. So etwas Außergewöhnliches hat es in Berlin seit der Eröffnung der Krokodilhalle im Aquarium 1913 nicht mehr gegeben. Auch Heinrich Dathe ist zur Einweihung in den Westteil der Stadt eingeladen und schaut sich gelassen im neuen Haus um. Seine Antwort folgt ein halbes Jahr später.

An jenem Junitag im Jahr 1963 strömen die Ost-Berliner besonders zahlreich nach Friedrichsfelde. Das liegt nicht nur am strahlenden Sonnenschein. Großes steht an, geradezu Gigantisches, im Tierpark wird an diesem Sonntag das Alfred-Brehm-Haus, das neue Raubkatzenhaus, eröffnet. Es ist nicht irgendein Gebäude. Bereits zum Richtfest prangte über der Eingangshalle ein Banner mit der Aufschrift: „Ein Meilenstein zur Erreichung des Sozialismus“. Mit seiner Fläche von mehr als 5000 Quadratmetern ist es das größte und „modernste Tierhaus der Welt“, wie die Ost-Berliner Presse nimmermüde verkündet.

Es ist auch nicht irgendein Sonntag; Dathe hat genau diesen für die Eröffnung des Prestigebaus ausgewählt. Es ist der 30. Juni 1963, der 70. Geburtstag des Generalsekretärs des Zentralkomitees der SED, Vorsitzenden des Politbüros und des Staatsrates, Walter Ulbricht. Der ist noch nie hier gewesen und ist es auch heute nicht. Im Gegensatz zu seiner Frau Lotte, einer passionierten Tierparkgängerin, macht er sich nichts aus Tieren und schaut sich stattdessen lieber Sportveranstaltungen an. Aber die Symbolik zählt und Ulbricht wird es aus der Ferne wohlwollend zur Kenntnis nehmen.

Löwen und Tiger in einem umgebauten russischen Eisenbahnwaggon

Außerdem bietet sich dadurch endlich wieder einmal für Friedrich Ebert die Gelegenheit, feierlich ein Band durchzuschneiden.

Ost-Berlins Oberbürgermeister besucht Friedrichsfelde gerne, vor allem wegen „Mao“, einem China-Alligator, der seit sechs Jahren dort lebt – Krokodile sind Eberts Lieblinge. Darüber hinaus hat er Dathe in der Vergangenheit schon zahlreiche andere Exoten finanziert, um den Konkurrenten im Westen auszustechen. Vielleicht mag er den Tierpark auch deshalb so gern, weil ihn wohl nirgendwo sonst die Kinder so euphorisch begrüßen wie hier.(...)

Dathe weiß, wie sehr es Ebert gefällt, in der Öffentlichkeit erkannt zu werden. Wenn dieser zu einem Besuch nach Friedrichsfelde kommt, sorgt Dathe vorher stets dafür, dass eine Schulklasse in der Nähe ist, die dem Oberbürgermeister dann – scheinbar zufällig – über den Weg läuft und jubelnd zuwinkt. Außerdem lässt er im Tierparkführer stets ein Foto von ihm abdrucken. Nachdem Ebert das Band durchtrennt und der Applaus abgeklungen ist, schieben sich die geladenen Gäste langsam ins Halbdunkel hinein. Unter vielstimmigem Gemurmel schreiten sie entlang der Käfigreihen mit den pastellfarbenen Fliesen, den gestreiften und gefleckten Katzen, stehen staunend vor den bühnenartigen Felsenanlagen, auf denen die Löwen und Tiger wie Hauskatzen in den Kulissen eines Monumentalfilms wirken.

Zuvor waren die Löwen und Tiger in einem umgebauten russischen Eisenbahnwaggon untergebracht, der in der Nähe des Schlosses stand. Um sie in ihre neuen Käfige zu verfrachten, wurde eine Raubkatze nach der anderen betäubt, von den Wärtern auf ein ausgehängtes Türblatt gezogen und auf die offene Ladefläche eines kleinen Transportautos gewuchtet. Anschließend ging es quer durch den gesamten Tierpark. Während der Fahrt hockten neben dem dösenden Raubtier vier Pfleger, die jederzeit todesmutig zupacken sollten, falls die Narkose zu schnell nachließe und die Großkatze eher als geplant aufwache. Dathe ist bei solchen Aktionen nie zu sehen.

Jan Mohnhaupt stellt sein Buch am Dienstag, 21. Februar, um 19 Uhr im Tagesspiegel-Salon am Askanischen Platz 3 in Kreuzberg vor. Einlass 18.30 Uhr, Lesung mit Diskussion, es moderiert Annette Kögel (Berlin-Redaktion). Eintritt 18 Euro, Anmeldung unter 29021 560 oder unter www.tagesspiegel.de/veranstaltungen

Jan Mohnhaupt: Der Zoo der Anderen. Als die Stasi ihr Herz für Brillenbären entdeckte & Helmut Schmidt mit Pandas nachrüstete. Carl Hanser Verlag München; ET 20.2. 20 Euro. ISBN: 978-3- 446-25504-3

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