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Der Vorstoß zum neuen Angebot kam aus der Wissenschaftsverwaltung.

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Exklusiv

Neues Angebot an der Freien Universität: Berlin richtet erstmals Studiengang für Türkischlehrer ein

Schon im Herbst könnte es losgehen: Den Vorstoß unternahm die Wissenschaftsverwaltung – und bessert dafür sogar die Hochschulverträge nach.

So etwas nennt man einen Meilenstein: Rund 60 Jahre nach Ankunft der ersten türkischen „Gastarbeiter“ startet Berlin mit einer eigenen Türkischlehrerausbildung. Dies gab Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) dem Tagesspiegel auf Anfrage bekannt. Die Freie Universität habe bereits zugesagt, die Vorbereitungen für einen entsprechenden Studiengang zu treffen. Der Start soll zum Wintersemester 2020/21 oder ein Jahr darauf erfolgen, lautet die Erwartung.

Der Vorgang ist außergewöhnlich, in den aktuellen Hochschulverträgen (2018 bis 2022) wurde dieses neue Angebot noch nicht berücksichtigt. Auch Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) ging davon aus, dass der Bedarf erst zu den nächsten Hochschulverhandlungen für 2022 bis 2027 angemeldet werden kann. Die Wissenschaftsverwaltung hingegen hat beschlossen, nicht mehr zu warten.

Die Türkei schickt Lehrer nach Berlin

Der Grund für die rasche Gangart nach Jahrzehnten des Nichthandelns dürfte die Sorge über den Einfluss der Türkei im Zeichen des Regimes von Staatspräsident Recep Erdogan sein: Mittels des sogenannten türkischen Konsulatsunterrichts können staatliche türkische Lehrer Berliner Schülern ihre Vorstellungen von Lebensart, Religion und Nationalismus vermitteln: Sie werden von Ankara immer für fünf Jahre entsandt.

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Seit den Massenverhaftungen und Massenentlassungen infolge des Putschversuchs in der Türkei im Jahr 2016 wuchs daher der Handlungsdruck auf den Senat: Alle sechs Fraktionen im Abgeordnetenhaus hatten bereits 2017 eine Abkehr vom Status quo gefordert, wobei Koalition und CDU ausdrücklich auch einen Lehramtsstudiengang forderten. Nun ist es soweit.

„Wir werden den Studiengang jetzt schon gemeinsam mit der FU zügig aufbauen. Das ist wichtig für Berlin“, sagte Krach dem Tagesspiegel am Wochenende: „Die Türkischlehrkräfte für unsere Schulen kommen künftig aus Dahlem“.

Konsulatslehrer unterrichten teilweise in Moscheeräumen

Mitte Oktober 2019 hatte der Tagesspiegel publik gemacht, dass die türkische Botschaft ihre Konsulatslehrer neuerdings sogar in Moscheeräumen unterrichten lässt, um den schwindenden Zuspruch an den Schulen auszugleichen und seine Lehrer weiterbeschäftigen zu können. Danach wurde die Forderung noch lauter, den türkischstämmigen Berlinern überzeugende Alternativen zum Konsulatsunterricht anbieten zu können.

Dafür allerdings fehlen der Stadt ausgebildete Türkischlehrer: Ein entsprechendes Lehramtsstudium gibt es ausschließlich an der Universität Duisburg-Essen. Somit fällt es Berlin schwer, die eigenen Angebote so stark auszubauen, dass von Klasse 1 bis zum Abitur alle Bedarfe abgedeckt werden können.

Die FU sieht eine "wichtige gesellschaftliche Herausforderung"

In der Konsequenz wandte Krach sich im November an den FU-Präsidenten Günter M. Ziegler mit der Bitte, „ein personelles und curriculares Konzept auszuarbeiten, wie ein solches Angebot an der Freien Universität aussehen sollte und wie es zum Wintersemester WS 2020/21 umgesetzt werden kann“.

Inzwischen ist Hauke Heekeren am Zug. Als FU-Vizepräsident für die Lehre ist er für die Umsetzung des Plans zuständig: „Wir denken, es ist eine wichtige gesellschaftliche Herausforderung“, sagte Heekeren dem Tagesspiegel. Das Konzept werde jetzt erarbeitet.

Das Ziel, schon im Winter 2020/21 anzufangen, sei allerdings „sportlich“, da zusätzliche Stellen geschaffen, ausgeschrieben und besetzt werden müssten: „Wir werden dies in Ruhe angehen und nichts überhasten.“ Ausschließen würde er allerdings auch nicht, „dass manches auch kurzfristig umgesetzt werden kann“, fügte der Vizepräsident am Sonntag hinzu.

Bis der Studiengang tatsächlich startet, kann es allerdings noch dauern.
Bis der Studiengang tatsächlich startet, kann es allerdings noch dauern.

© Thilo Rückeis

Geplant ist, den neuen Lehramtsstudiengang am Institut für Turkologie einzurichten, wo bereits Türkische Sprachwissenschaft, Türkische Literatur und Türkische Geschichte angeboten werden. Derzeit prüft die Freie Universität, welche zusätzlichen Stellen für den Aufbau des neuen Studiengangs benötigt werden.

Safter Cinar vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg nannte das geplante neue Angebot "sehr begrüßenswert". Damit Türkisch als Herkunftssprache und anschließend als 2. bzw. 3. Fremdsprache angenommen werde, sei ist es "notwendig, in der Bundesrepublik ausgebildete Lehrkräfte einzusetzen.“

Türkei will Schulen in Deutschland gründen

Dass es eine Türkischlehrerausbildung seit Langem in Nordrhein-Westfalen (Duisburg-Essen) gibt, hängt damit zusammen, dass sich NRW gegen den Konsulatsunterricht entschieden hatte und den muttersprachlichen Unterricht selbst fördert. Ankara ist bemüht, in den anderen Ländern wie Bayern und Baden-Württemberg, Hamburg und Berlin in den Schulen präsent zu bleiben.

Um seinen Einfluss auf Türkischstämmige in Deutschland auszubauen, will die Türkei jetzt, wie berichtet, sogar drei Schulen in Deutschland gründen: Die türkische Regierung stuft die Nachkommen ihre Gastarbeiter als Teil der „Diaspora“ ein, wie sie es selbst nennt. Vor rund zehn Jahren wurde das Amt für Auslandstürken in Ankara gegründet, das diese Politik umsetzen soll. Erdogan baut stark auf türkische Wähler in Deutschland.

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