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Eine Mitarbeiterin des Wahlamts sortiert Umschläge mit Briefwahlunterlagen. Die Briefwahlbeteiligung ist in Berlin so hoch wie nie.

© Marius Becker/dpa

Neuer Rekord bei Briefwahl: 500.000 haben ihr Kreuzchen schon gemacht

So viele Berliner wie nie haben zur EU-Wahl per Brief abgestimmt. Doch sind die Grundsätze der freien und geheimen Wahl so immer noch gegeben?

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Landeswahlleiterin Petra Michaelis ist sich nicht sicher, ob sie diese Nachricht feiern soll: Fast eine halbe Million Berliner haben für die Europawahl am 26. Mai schon ihr Kreuzchen gemacht. „Das ist neuer Rekord“, sagte Michaelis am Mittwoch. Jedenfalls für Wahlen zum EU-Parlament. Wenn die vielen Briefe zu einer höheren Wahlbeteiligung beitrügen, sei dies sicher gut. Andererseits sollte die Urnenwahl „das Leitbild bleiben“.

Grundsätze der geheimen und gleichen Wahl auch bei Briefwahl gewährleistet?

Wenn der Gang ins Wahllokal in den Hintergrund trete, müsste der Wahlgesetzgeber „sicher neu überlegen“, sagte die Landeswahlleiterin. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht gegen die Wahl per Brief nichts einzuwenden, aber die Grundsätze der geheimen und gleichen Wahl seien tangiert. Denn es ist nicht kontrollierbar, ob ein Wähler zu Hause den Wahlzettel allein und unbeeinflusst ausfüllt. Zudem ist die Gleichheit der Wahl beeinträchtigt, wenn immer mehr Menschen nicht mehr an einem Stichtag, sondern über einen längeren Zeitraum wählen.

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Der Bundeswahlleiter Georg Thiel hatte schon am Vortag ähnliche Bedenken geäußert. Denn längst ist die Briefwahl keine Ausnahme mehr. Bei der Abgeordnetenhauswahl 1990 gaben nur 9,3 Prozent der Berliner Wähler ihre Stimme auf dem Postweg ab. Bei der Wahl zum Landesparlament 2016 waren es schon 29,2 Prozent. Das ist auch keine Berliner Spezialität, sondern ein bundesweiter Trend. Zumal die Wahlberechtigten seit 2008 den Antrag auf einen Wahlschein nicht mehr begründen müssen – mit Krankheit, Dienstreisen, hohem Alter oder körperlicher Beeinträchtigung.

Gewisse Parteien profitieren von Briefwahl

Das Interesse an der Briefwahl ist allerdings unterschiedlich verteilt. In Regionen mit traditionell hoher Wahlbeteiligung ist auch die Briefwahlquote höher – und umgekehrt. In Berlin liegen, wie schon bei früheren Wahlen, Steglitz-Zehlendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg vorn. Im Südwesten der Stadt haben bis Dienstag bereits 25,3 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme für die Europawahl abgegeben. In der City-West waren es 22,7 Prozent und in Tempelhof-Schöneberg 21,5 Prozent. Schlusslichter sind Marzahn-Hellersdorf (13,8 Prozent der Wahlberechtigten), Spandau (15,3 Prozent) und Lichtenberg (15,6 Prozent).

Nach Auswertung früherer Wahlen in Berlin kann man sagen: Eine hohe Briefwahlquote ist vorteilhaft für CDU und FDP, deren Anhänger besonders gern ihren Stimmzettel mit der Post verschicken. Auch die Grünen profitieren geringfügig, während die Zahl der Stimmen für SPD und Linke, aber auch für die AfD meist unter dem Durchschnitt liegt.

Überdurchschnittlich hohe Wahlbeteiligung

Eines lässt sich jetzt schon sagen: Die hohe Zahl der Briefwähler weist auf eine überdurchschnittlich hohe Wahlbeteiligung hin, sie könnte 60 Prozent überschreiten. Das gab es bei einer Europawahl im vereinigten Berlin noch nie.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Briefwahl mehrfach als rechtmäßig eingestuft. „Die Grundsätze der freien und geheimen Wahl sowie der Öffentlichkeit der Wahl werden nicht verletzt“, entschieden die Karlsruher Richter zuletzt im Juli 2013. Zwar sei die öffentliche Kontrolle der Stimmabgabe zurückgenommen und die Integrität der Wahl nicht gleichermaßen gewährleistet wie bei der Urnenwahl im Wahllokal. Aber die Briefwahl diene dem Ziel, „eine möglichst umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen und damit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl Rechnung zu tragen“.

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