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Seit 2016 glänzt das Charité-Wahrzeichen, der einst rostbraune Bettenturm in Berlin-Mitte, mit weißer Fassade.

© Kalaene/dpa

Exklusiv

Neuer Charité-Chef Heyo Kroemer: "Die Feuerwehr wird auch nicht nur pro Einsatz bezahlt"

Heyo Kroemer spricht im ersten Interview als künftiger Chef der Berliner Charité über seine neue Aufgabe, die Niederlande und streikende Therapeuten.

Mit 3000 Krankenbetten ist sie Europas größte Universitätsklinik – 17.500 Pflegekräfte, Mediziner und Handwerker arbeiten für die landeseigene Charité. Trotz Spardrucks handelte der seit 2008 amtierende Charité-Chef Karl Max Einhäupl, 71 Jahre, einen bundesweit einmaligen Tarifvertrag für Mindestpersonalquoten auf den Stationen aus. Nun hat vor wenigen Tagen sein Nachfolger Heyo Kroemer, 58, bei Berlins Bürgermeister Michael Müller (SPD) seinen Vertrag unterzeichnet. Kroemer ist derzeit Chef der Göttinger Hochschulmedizin.

Herr Kroemer, ab September werden Sie als Chef der Charité das Vorstandsbüro auf dem Campus in Mitte nicht weit vom Bettenturm beziehen. Haben Sie in Berlin schon eine Wohnung?

Nein, meine Frau und ich suchen noch eine Mietwohnung. Ich möchte möglichst in der Nähe meines künftigen Arbeitsplatzes wohnen – also in Mitte.

Kennen Sie Berlin?

Ja, ein bisschen. Ich gehöre noch zu den Jahrgängen, für die ein Besuch in West-Berlin meist in der zehnten Klasse obligatorisch war. Da standen wir auf diesen Podesten an der Mauer. Später war ich sowohl im Westen als auch im Osten der Stadt unterwegs – ich kenne Kneipen in beiden Stadtteilen. Mein Urgroßvater war übrigens Pfarrer in der Versöhnungskirche in der Bernauer Straße. Die wurde später in den Achtzigern auf Veranlassung der DDR-Regierung gesprengt. Und auch am Tag des Mauerfalls, am 9. November 1989, war ich zufällig in Berlin. Mein damaliger Chef und ich reisten aus Stuttgart an, weil er eine Professur am Benjamin-Franklin-Klinikum angeboten bekommen hatte.

Ihre Kollegen an der Universität Göttingen und die niedersächsische Landesregierung haben darum gekämpft, dass Sie nicht nach Berlin wechseln.

Ich arbeite sehr gern in Göttingen und im fortgeschrittenen Alter überlegt man sich einen solchen Wechsel ja sehr genau. Die Außergewöhnlichkeit der Charité und das gesamte Umfeld in Berlin haben mich sehr gereizt.

Hat Michael Müller Sie mit dem Versprechen nach Berlin gelockt, dass der Senat mehr Geld in die Charité stecken wird?

So läuft das nicht. Der Senat hatte ja vorher eine Aufstockung von laufender Förderung und Investitionen zugesagt.

Etwa die 1,1 Milliarden Euro, die bis circa 2028 für die Modernisierung der Charité-Standorte ausgegeben werden sollen.

Dieses Geld muss erst mal verbaut werden – das ist schon eine ordentliche Summe. Aber klar, es wird auch weiteren Bedarf an Modernisierungen geben.

Welche Schwerpunkte wollen Sie sich selbst für die ersten Monate setzen – mit der geplanten Digitalisierung der Abläufe an der Charité haben Sie ja viel vor?

Mit genauen Plänen werde ich mich bis September zurückhalten. Grundsätzlich sind einige Herausforderungen in Richtung Digitalisierung und Umgang mit dem Fachkräftemangel klar.

Der kommende Charité-Chef Heyo Kroemer neben seinem Vorgänger Karl Max Einhäupl
Der kommende Charité-Chef Heyo Kroemer neben seinem Vorgänger Karl Max Einhäupl

© dpa/Paul Zinken

Der Senat will das Berliner Institut für Gesundheitsforschung, das BIG, in die Charité integrieren. Am BIG ist auch der Bund beteiligt – und deshalb entsendet das Bundesministerium für Bildung und Forschung künftig einen Vertreter in den Charité-Aufsichtsrat. Gut oder schlecht, dass die Bundesregierung über die Berliner Charité mitentscheiden kann?

Wenn das so gelingt, ist es aus meiner Sicht ein wirklicher Fortschritt. Durch diese Lösung würde der Bund das einmalige Umfeld der Charité nutzen und sich damit zu ihrer internationalen Bedeutung bekennen.

Sie wollen von der Bundespolitik ohnehin mehr Unterstützung – als Vorsitzender des Medizinischen Fakultätentages fordern Sie seit Jahren eine bessere Finanzierung der Hochschulkliniken. Zeichnen sich Fortschritte ab?

Zu langsam. Zwar werden die Hochschulambulanzen inzwischen besser vergütet, aber die Unimedizin in Deutschland steht immer noch unter enormem wirtschaftlichen Druck. Wir fordern deshalb einen Systemzuschlag – so wie er in den Niederlanden an die Hochschulkliniken gezahlt wird. Im Moment werden wir über die Fallpauschalen so vergütet wie jede Klinik auf dem Land: Pro Patient und Diagnose gibt es Geld von den Krankenkassen, die sogenannte Fallpauschale. Nur dass Häuser wie die Charité hoch spezialisierte Labore und komplexe Isolierstationen betreiben müssen – und zwar auch, wenn es gar keine Behandlungsfälle gibt. Die Charité muss wie die Feuerwehr für viele Fälle gewappnet sein. Nur käme niemand auf die Idee, die Feuerwehr nur pro Einsatz zu bezahlen.

Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin und Chef des Charité-Aufsichtsrats, besichtigt 2016 die Baustelle der Charité in Berlin-Mitte.
Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin und Chef des Charité-Aufsichtsrats, besichtigt 2016 die Baustelle der Charité in Berlin-Mitte.

© Jutrczenka/dpa

Wenn Sie von den Kassen oder dem Land mehr Geld wollen, könnten einige fragen, ob die Charité ihre vier Standorte in Mitte, Steglitz, Wedding und Buch wirklich braucht?

Jeder Standort ist auf seine Weise erfolgreich. Es gibt aus meiner Sicht aktuell keinen Grund, Standorte infrage zu stellen.

Wie sehen das die Fachleute, mit denen Sie zusammen die vom Regierenden Bürgermeister eingesetzte Zukunftskommission „Gesundheitsstadt Berlin 2030“ bilden?

Ich möchte dem Bericht der Kommission nicht vorgreifen – aber so viel sei gesagt: Es geht beim Blick auf die Gesundheitsbranche in der Stadt um Synergien, nicht um Zusammenlegungen. Es geht darum, wie Berlin nationaler und internationaler Spitzenort für Gesundheit und biomedizinische Forschung werden kann.

Noch sind Zürich, London, Paris, auch München bekannte Medizinzentren. Wie kann die Charité mehr zum Anziehungsort für Forscher und Patienten werden?

Es wird ein sehr intensiver, nationaler und internationaler Wettbewerb um die Spitzenleute geführt, in dem Berlin erfolgreich sein muss. Es gibt bereits eine sehr gute Grundlagenforschung, in der Einführung von Forschungsergebnissen in die klinische Praxis verbessern sich die Strukturen weiter und es gibt exzellente Kliniker an der Charité. Dennoch wird sich die Zukunft des Biomedizinstandorts Berlin an der Fähigkeit entscheiden, Köpfe zu halten und zu gewinnen.

Wo gibt es in der Medizin gerade Forschungsfortschritte?

Zum Beispiel gibt es große Fortschritte bei Immuntherapien für Krebspatienten. Grob vereinfacht werden dabei Zellen aus dem Blut des Patienten gewonnen und im Labor so verändert, dass sie nach dem Wiedereinsetzen quasi gegen den Krebs vorgehen. Auch am Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, dem MDC, arbeiten Forscher daran. Die in Berlin international führende Einzelzellgenomik wird ihren Weg in die klinische Anwendung finden.

Als eher unerfreulich empfinden viele Physio- und Ergotherapeuten an der Charité ihre Lage. Sie streiken und wollen nach dem Tarif des Charité-Stammhauses bezahlt werden. Dazu soll die Tochterfirma der Therapeuten, die CPPZ, wieder voll in die Charité eingegliedert werden.

Das Ausgliedern von Tochterunternehmen war Anfang des Jahrtausends politisch gewollt, weil der Staat in einer sehr schwierigen finanziellen Situation war. Wenn heute politisch gewollt ist, die Tochterfirmen wieder einzugliedern, dann müssen die dafür notwendigen Gelder der Charité zur Verfügung gestellt werden. Herr Müller hatte ja schon gesagt, dass über diese Fragen im Senat gesprochen wird. Ich wünsche mir, dass es eine einvernehmliche Lösung gibt.

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