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Weiter so? Das sehen immer mehr Berliner Eltern anders – und lassen ihre Kinder lieber ein Jahr länger in der Kita, statt sie mit fünf einzuschulen, wie es sich die Schulsenatorin wünscht.

©  Foto: Kitty Kleist-Heinrich

Exklusiv

Neue Zahlen: Noch mehr Eltern boykottieren die Früheinschulung

Über 5200 Kinder wurden dieses Jahr von der Schulpflicht zurückgestellt – in einzelnen Bezirken bis zu 20 Prozent. Brandenburg geht einen anderen Weg - hat aber auch Probleme.

Mehr Eltern denn je haben sich in diesem Jahr von der Früheinschulung verabschiedet: Über 5200 der knapp 32.000 schulpflichtigen Kindern bleiben noch ein Jahr in der Kita, obwohl sie eigentlich schulpflichtig wären. Dies belegt die aktuelle Statistik für das Schuljahr 2014/15, die dem Tagesspiegel vorliegt. Demnach ist in manchen Bezirken fast jedes fünfte Kinder nicht planmäßig eingeschult worden. Die Bildungsverwaltung begründet die Entwicklung mit dem erleichterten, transparenteren Verfahren und geht davon aus, dass jetzt der „Pegelstand erreicht ist, der das reguläre Niveau trifft“.

Im Südwesten gibt es die wenigsten Anträge

An der Spitze steht Tempelhof-Schöneberg, wo 19,5 Prozent der potenziellen Erstklässler der Schule fernblieben. Am Ende der Skala befinden sich Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf: Hier liegt die Quote unter zwölf Prozent. Möglicherweise hängt dies damit zusammen, dass es in diesen Bezirken sehr viele freie Schulen gibt, die – anders als öffentliche Schulen – oftmals über eine Art Vorklasse verfügen.

Nach bisherigen Erfahrungen werden vor allem jene Kinder in der Kita gelassen, die zwischen September und Dezember Geburtstag haben: Sie wären bei der Einschulung erst fünf, was vielen Eltern als zu jung erscheint. Wie berichtet, gehen immer mehr Fachleute und auch die CDU auf Distanz zur Berliner Früheinschulung. Ein entsprechender Antrag der CDU liegt im Abgeordnetenhaus. Sie will den Stichtag für die Schulpflicht auf den 31.Juli legen. Wer sein Kind früher einschulen will, soll dies ohne komplizierte Anträge können.

Grüne wollen Brandenburger Weg gehen

Die Grünen fordern als Stichtag den 30. September. Dies brächte den Vorteil, dass Berlin die gleiche Regelung wie Brandenburg hätte. Auch dort gibt es allerdings eine Diskussion um das Einschulungsalter. Zwischenzeitlich wollte Bildungsministerin Martina Münch (SPD) auf den 30. Juni zurückgehen, der deutschlandweit am üblichsten ist. Die ist vom Tisch. Als Kompromiss wurde das Verfahren aber erleichtert. Deshalb rechnet auch Potsdam mit steigenden Rückstellungszahlen. 2013 lag die Quote bei zwölf Prozent, für 2014 gibt es noch keine Zahlen.

Schulärzte sollen entlastet werden

Die hohe Quote von inzwischen 16,6 Prozent in Berlin führt dazu, dass die überlasteten Schulärzte tausende Kinder zweimal untersuchen müssen – im Jahr der Schulpflicht und im Jahr darauf. Laut Bildungsverwaltung wird das jetzt anders: Die zweite Untersuchung kann entfallen, falls der Arzt dies befürwortet. In den vergangenen Jahren ist das Verfahren zur Rückstellung immer mehr vereinfacht worden – allerdings erst nach massiven Beschwerden von Seiten der Schulen und Eltern. Dieses Jahr konnten die Familien schon bei der Anmeldung ankreuzen, ob sie eine Rückstellung wünschen. Das Verfahren sei „so wie in keinem anderen Land erleichtert worden“, betonte die Sprecherin der Bildungsverwaltung, Beate Stoffers, am Donnerstag.

3750 Kinder mussten die zweite Klasse wiederholen

Die Zahl der Verweiler in der Schulanfangsphase, also die Wiederholer der zweiten Klasse, lag im vergangenen Schuljahr bei 3750, und 390 Schüler wiederholten die dritte Klasse. Im Vorjahr lagen beide Zahlen etwas höher. Ob dies bereits eine Folge davon ist, dass die Zahl der fünfjährigen Schulanfänger gesunken ist, oder davon, dass weniger Schulen Jahrgangsübergreifendes Lernen praktizieren, ließ sich am Donnerstag nicht klären. Kritiker der Früheinschulung wie Neuköllns Bildungsstadträtin Franziska Giffey (SPD) sprechen angesichts der vielen Wiederholer inzwischen von einer "Chaotisierung des Systems".

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