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Am Alex hält die Straßenbahn direkt am Bahnhof. Am Ostkreuz nicht. 

© Kitty Kleist-Heinrich

Neue Tramstrecken in Berlin kommen später als geplant: Senatorin nennt im Parlament falsche Eröffnungsdaten

Vier Straßenbahnstrecken wollte Rot-Rot-Grün eröffnen. Keine einzige wird fertig. Senatorin Günther nennt im Parlament veraltete Eröffnungsdaten.

Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther wird in dieser Legislaturperiode keine Straßenbahnlinie eröffnen. Angetreten war die Grünen-Politikerin 2016 mit der Absicht, vier neue Strecken zu bauen und innerhalb dieser Legislaturperiode zu eröffnen. Nun ist klar: Nicht mal die Verbindung von Adlershof nach Schöneweide im Südosten der Stadt wird in ihrer Amtszeit fertig.

Zwar nannte Günther in einer Sitzung des Verkehrsausschusses im November das dritte Quartal 2021 für diese Strecke. Drittes Quartal – das wäre noch in ihrer Amtszeit. Die nächste Wahl wird nach fünf Jahren im Herbst 2021 sein. Doch die Fachleute widersprechen der Senatorin und nennen das vierte Quartal.

Dies ist von allen Verzögerungen aber noch die geringste. Dem Tagesspiegel liegt eine interne Liste des Lenkungskreises Straßenbahn vor, bei der die Eröffnungstermine teilweise dramatisch von den Angaben Günthers im Parlament abweichen. 

Im „Lenkungskreis Straßenbahn“ sind die Spitzen der BVG, der Verkehrsverwaltung und der Bezirke vertreten. Der Sprecher der Senatorin, Jan Thomsen, versuchte die Angaben damit zu rechtfertigen, dass "die letzte Aktualisierung in der ersten Oktoberhälfte erfolgt" sei. Thomsen sagte dem Tagesspiegel: "Die BVG hat nun im vertraulich tagenden Lenkungskreis am 30.11.2020 eigene neue Berechnungen vorgelegt (...) und Anpassungen der Zeitpläne vorgeschlagen." 

Nach Informationen des Tagesspiegels lagen die neuen Eröffnungsdaten am Tag der Ausschusssitzung bereits vor. Wie ein Insider sagte, sei die Angabe der Verwaltung falsch. Die neuen Eröffnungsdaten seien bereits bei einem früheren Treffen des Lenkungskreises besprochen worden, nicht erst am 30. November. Unterlagen, die dem Tagesspiegel vorliegen, bestätigen dies. Verzögerungen gibt es bei allen Projekten. 

Bei der zweiten Strecke, die relativ weit gediehen war, die vom Hauptbahnhof nach Moabit, nennt der Lenkungskreis das erste Quartal 2023. Günther hatte den Abgeordneten im Ausschuss am 12. November das dritte Quartal 2022 genannt. Grund für das weitere halbe Jahr Verzögerung: Die Planfeststellung musste wiederholt werden, da das erste Verfahren fehlerhaft war.

Nach Angaben Günthers wird der Planfeststellungsbeschluss noch in diesem Monat, also im Dezember 2020 erwartet. Zur Erinnerung: Die Pläne für die M10-Verlängerung lagen im Dezember vor drei Jahren aus. 

Ostkreuz noch Jahre ohne Straßenbahn

Die kürzeste Strecke macht die größten Probleme. Die Anbindung des Regional- und S-Bahnhofs Ostkreuz verschiebt sich ein weiteres Jahr auf Ende 2023. Günther hatte den Abgeordneten Ende 2022 genannt.

Zwölf Jahre, von 2006 bis 2018, hatte die Bahn den größten Umsteigeknoten Berlins komplett neu gebaut. Täglich halten hier mehr als 1500 Züge, mehr als auf jedem anderen Bahnhof in Deutschland. Doch Berlin gelingt es trotz des langen Vorlaufs nicht, Gleise für die Tram zum Ostkreuz zu legen. Die nächste Haltestelle ist bislang 400 Meter vom Ostkreuz entfernt, für Umsteiger ausgesprochen unattraktiv.

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Wie berichtet, gab es heftige Proteste von Anwohnern gegen die Strecke durch die Sonntagstraße, weil 100 Autoparkplätze wegfallen. Sie erhoben über 1000 Einwände gegen die Planung, die einzeln geprüft werden mussten. Und dann wurde bekannt, dass die Entwässerung auf den Vorplätzen des Bahnhofs nicht funktioniert. Nun gibt es angeblich eine Lösung für das Wasserproblem, man sei auf einem guten Weg, hieß es. 

Das vierte Projekt, das Rot-Rot-Grün in den Jahren 2016 bis 2021 stemmen wollte, ist die Strecke in Mahlsdorf zum S-Bahnhof. Ein Streit von Anwohnern und Politik hat dieses Projekt völlig blockiert. Zuletzt sagte Günther im Ausschuss, dass das Genehmigungsverfahren im März 2021 beginnen könne.

Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther (Bündnis 90/Die Grünen).
Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther (Bündnis 90/Die Grünen).

© Jörg Carstensen/dpa

Einen Baubeginn oder gar Eröffnungstermin nannte sie nicht – und auch der Lenkungskreis nennt kein Datum mehr. Die Strecke wird auf der Infoseite der BVG gar nicht mehr genannt. Die Verkehrsverwaltung nennt auf ihrer Seite einige Details zum Stand der Planung. Ob der S-Bahnhof Mahlsdorf in diesem Jahrzehnt erreicht wird, ist aber offen.

Wenn es gut läuft, wird eine von vier Strecken bis Ende 2021 fertig

Ursprünglich sollten die vier Strecken 2020 eröffnet werden. 2018 schob die Verkehrsverwaltung dieses Ziel bereits um ein Jahr auf 2021. Wenn es gut läuft, wird nun eine bis Ende 2021 fertig – ob die Verkehrsverwaltung dann wieder von Günther geleitet wird, ist ebenso offen.

Im Ausschuss im November kritisierte der verkehrspolitische Sprecher der CDU, Oliver Friederici, dass praktisch alle Planungen aus dem Hause Günther im Rückstand seien. Die Senatorin konterte, dass sie bei ihrem Amtsantritt 2016 keinerlei Planungen für neue Tramstrecken vorgefunden habe.

Bei Baubeginn in Adlershof hatte der verkehrspolitische Sprecher der Linkspartei die Arbeit Günthers so kritisiert: „Leider hinkt Rot-Rot-Grün den ursprünglichen Planungen zum Ausbau der Straßenbahn hinterher, auch was die weiteren großen Straßenbahnprojekte für die nächsten Jahre angeht.“

Koalitionsvertrag wird doppelt gebrochen

Im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und Linke zudem versprochen, für fünf weitere Strecken „die Vorplanungen und Planfeststellungsverfahren sofort einzuleiten, sodass die bauliche Umsetzung innerhalb der Wahlperiode 2016 bis 2021 beginnen kann“ - so steht es wörtlich in dem Dokument.  

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Der Lenkungskreis Straßenbahn nennt in seiner internen Liste Eröffnungsdaten, die teilweise mehrere Jahre später liegen. Die weitere Verlängerung der M10 von Turmstraße nach Jungfernheide könnte nach Einschätzung des Lenkungskreises Ende 2027/Anfang 2028 fertig sein. Günther hatte hier zuletzt gesagt, dass „keine seriöse Prognose möglich“ sei. Bei der Strecke nach Steglitz gibt es eine Differenz von drei bis vier Jahren. Günther nannte hier das Jahr 2028, aus Sicht der Experten wird die Strecke vom Potsdamer Platz zum Rathaus Steglitz erst Ende 2031/Anfang 2032 fertig sein. Gravierende Unterschiede überall: Die Linie von der Warschauer Straße zum Hermannplatz kann erst Mitte 2028 fertig sein, Günther nannte den Abgeordneten „2026/2027“.

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Ebenfalls drei bis vier Jahre differieren die Angaben bei der Anbindung des Tegeler Flugfeldes, auf dem die „Urban Tech Republic“ (UTR) entstehen soll. Für diese Strecke von Jungfernheide über UTR zum Kurt-Schumacher-Platz nannte Günther den Abgeordneten das Jahr 2025 für die Inbetriebnahme. Der Lenkungskreis hält „Ende 2028“ für realistisch. Bei zwei Strecken in Pankow, nach Heinersdorf und in den Blankenburger Süden, nennt der Lenkungskreis jeweils Ende 2027, die Senatorin 2026. 

Der Koalitionsvertrag sei „mutig“ gewesen, hatte Günther zuletzt im Verkehrsausschuss eingeräumt. Von den acht Stellen für die Straßenbahnplanung sind derzeit dem Vernehmen nach drei nicht besetzt. Dass immerhin die Strecke Adlershof in Bau ist, hat einen einfachen Grund: Dort wohnen sehr wenig Menschen, die klagen konnten. Im Sommer dieses Jahres war Baubeginn in Adlershof. 

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