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Die Studie kommt zu dem Schluss, dass "die Berliner Schulen trotz weitreichender Reformen sozial gespalten sind".

© Doris Spiekermann-Klaas

Neue Studie zu Berlins Schulen: Arme Schüler bleiben unter sich

Berliner Schulen bleiben laut einer Studie trotz Reformen schlecht durchmischt. Ein Faktor ist die fehlende gymnasiale Oberstufe.

Ohne Oberstufe ist es für Sekundarschulen extrem schwer, eine sozial ausgewogene Mischung zu erreichen: Der Anteil armer Kinder ist bei ihnen um mehr als 50 Prozent höher als bei Sekundarschulen, die am eigenen Standort zum Abitur führen. Dies belegt eine neue Studie des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB), die am Freitag veröffentlicht wurde.

Die Forscher hatten für alle Schulformen sowie für öffentliche und private Schulen die soziale Mischung verglichen und kamen zu dem Schluss, dass „die Berliner Schulen trotz weitreichender Reformen sozial gespalten sind“. Die soziale Herkunft entscheide noch immer maßgeblich darüber, an welchem Schultyp ein Kind lerne. Schon in der Grundschule zeige sich die soziale Segregation: Eltern aus höheren Schichten würden eher der wohnortnahen Schule ausweichen, wenn sie nicht ihren Vorstellungen entspreche.

Einige Gemeinschaftsschulen ziehen bildungsinteressierte Eltern an

Dies führt auch dazu, dass die Quote der sozial besser Gestellten in den Grundschulklassen der Gemeinschaftsschulen (GEMS) höher ist als an den Durchschnittsgrundschulen: GEMS würden mithin die Segregation verstärken und den „normalen“ Grundschulen diese Kinder entziehen. Das wäre dann das Gegenteil von dem, was die Linkspartei anstrebte.

Die Forscher Marcel Helbig und Rita Nikolai legten für ihre Studie die Quote der Kinder zugrunde, deren Eltern nicht selbst Schulbücher kaufen müssen, weil sie Sozialtransfers beziehen. Diese Quote der sogenannten lernmittelbefreiten (lmb) Schüler gilt in Berlin als Index für die soziale Lage einer Schule.

Die soziale Kluft läuft auch zwischen den Sekundarschulen

Erstaunlich ist, dass die sozialen Unterschiede zwischen den Sekundarschultypen (ISS) größer sind als zwischen Sekundarschulen und Gymnasien: An den Gymnasien liegt die lmb-Quote bei 19 Prozent, an den ISS mit Oberstufe bei 35 Prozent und an den ISS ohne Oberstufe bei 54 Prozent. Aber auch unter den Gymnasien gibt es strukturbedingt soziale Unterschiede: Gymnasien, die mit Klasse 5 beginnen, haben eine lmb-Quote von nur 14 Prozent. Noch geringer ist der Anteil armer Kinder nur noch an den privaten Gymnasien: Hier sind nur zwei bis vier Prozent vom Schulbuchkauf befreit.

Der Befund der WZB-Forscher überrascht nicht: Die Berlin-Studie des Deutschen Instituts für pädagogische Forschung (DIPF) hatte kürzlich ebenfalls anhand der Lernerfolge der Kinder belegt, dass die Sekundarschulreform noch nicht die erwünschten Effekte hat. Daher wurde den ISS empfohlen, Verbünde für Oberstufen zu bilden. Diese Verbünde finden sich zurzeit. Ursprünglich war die Erwartung gewesen, dass auch bildungsnähere Eltern eine ISS ohne Oberstufe akzeptieren, sofern sie mit einem berufsbildenden Oberstufenzentrum kooperieren. Als positiv stellten die DIPF-Forscher aber heraus, dass durch die Zusammenlegung schwacher mit besseren Schulen der Anteil der Schulen mit kritischer Schülerzusammensetzung „von 29 auf zwölf Prozent“ gesenkt werde konnte.

"Die neuen Hauptschulen"

"Segregation anhand der sozialen Herkunft ist eines der Kernprobleme des Berliner Schulsystems. Die Schulstrukturreform war ein richtiger Schritt, aber erfolgreich wird sie erst, wenn beide Säulen des Berliner Schulsystems tatsächlich gleichwertig sind", sagte am Freitag die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Maja Lasic. ISS ohne gymnasialer Oberstufen seien "die neuen Hauptschulen". Erst wenn diese Schulen gestärkt würden, könne man von einer erfolgreicher Schulstruktureform sprechen."

Die Bildungsverwaltung hat für dieses Schuljahr erstmals die LMB-Quoten für alle Schulformen veröffentlicht - unterteilt nach Bezirken. Dort kann man sehen, dass Gymnasien in sozialen Brennpunkten mehr arme Kinder beschulen als Sekundarschulen in bürgerlichen Gegenden. Diese neuerdings öffentlich zugängliche Statistik untergliedert allerdings nicht nach Schulen mit und ohne Oberstufe. Auch die Unterscheidung unter den Gymnasien fehlt: Die Gymnasien, die bereits mit Klasse 5 starten, haben wiederum weniger Kinder aus Sozialtransfer-Haushalten als Gymnasien, die ab Klasse 7 starten, wie die WZB-Studie zeigt.

Langenbrinck ärgert sich über das Zurückhalten von Daten

Der SPD-Abgeordnete Joschka Langenbrinck fordert mehr Transparenz in diesem Bereich und versucht seit langem, die LMB-Quote für jede einzelne Schule zu bekommen - allerdings ohne Erfolg: Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) verweigert die Herausgabe mit der Begründung, dass es kein "Ranking" nach der sozialen Zusammensetzung der Schulen geben sollte.

Langenbrinck hält diese Intransparenz für bedenklich. "Das wirft verfassungsrechtliche Fragen auf, weil das parlamentarische Fragerecht eingeschränkt ist", findet der Bildungspolitiker: "Es unterliegt nicht der persönlichen Bewertung der Senatorin, ob sie Informationen herausgibt, sondern sie hat eine verfassungsrechtliche Auskunftspflicht gegenüber dem Parlament", beharrt Langenbrinck.

Tatsächlich konnte sich das Parlament bisher kein eigenes Bild davon machen, wie sich die soziale Mischung in den Schulformen entwickelt haben und wie die Werte damit zusammenhängen, ob die jeweilige ISS aus einer Haupt- oder Realschule hervorgegangen war. Diese Relationen haben die WZB-Forscher jetzt ebenfalls beleuchtet, weil sie über alle Daten verfügen konnten.

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