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Ein Flieger der Fluggesellschaft Easyjet im Anflug dicht über den Hausdächern.

© Patrick Pleul/ZB-Funkregio OST

Neue Lärmschutzzonen in Berlin: BER-Debakel könnte Wohnungsbauprojekte vereiteln

Wegen der Verzögerungen am BER könnte der Flughafen Tegel länger in Betrieb bleiben. Das dürfte ab Dezember für Probleme mit dem Lärmschutz sorgen.

Ein bereits vor zwölf Jahren verschärftes Gesetz zum Fluglärmschutz könnte Berliner Behörden, Bauherren, Vermieter und die Flughafengesellschaft jetzt vor juristische beziehungsweise finanzielle Probleme stellen. Hintergrund ist eine Sonderregelung im Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (FluLärmG) von 1971, das zuletzt im Jahr 2007 novelliert wurde. Demnach müssen Stadtplanungsbehörden Lärmschutzzonen einrichten, in denen unter gewissen Voraussetzungen keine Neubauvorhaben genehmigt werden dürfen - und in denen Bestandsimmobilien gegebenenfalls mit Lärmschutzfenstern ausgerüstet sein müssen.

Vor mehr als einem Jahrzehnt hatten das Land Berlin und Wirtschaftsverbände aber eine Sonderregelung in den Bundesgesetzestext schreiben lassen, das in der Praxis nur den Flughafen Berlin-Tegel betraf und deshalb „Lex Tegel“ genannt wird. Demnach sollten Passagen des Gesetzes nicht für Flughäfen gelten, die in den kommenden zehn Jahren eh stillgelegt werden. Damals ging man davon aus, TXL werde ein halbes Jahr nach der BER-Eröffnung im Jahre 2011 schließen. Das passierte bekanntermaßen nicht. Seither streiten Juristen, ob diese „Lex Tegel“ bereits 2017 ausgelaufen ist - oder erst Ende 2019.

So oder so: Die Zeit läuft jetzt wirklich ab. So treten wie bei allen anderen Verkehrsflughäfen auch rund um TXL neue Fluglärmschutzzonen in Kraft – und zwar spätestens am 1. Januar 2020, wegen der Feiertage voraussichtlich sogar schon am 15. Dezember 2019. Das erklärte der Leiter des Referats für Bauplanungsrecht und planungsrechtliche Einzelangelegenheiten in einem Anfang der Woche verfassten Brief an die Stadtplaner der vier davon betroffenen Bezirke Spandau, Reinickendorf, Mitte und Pankow. Das Papier liegt dem Tagesspiegel vor.

Der Fachmann berichtet darin von einem Treffen der Experten aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit den Kollegen aus der Verwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz vor gut drei Wochen, am 8. August. Die dreiseitige Zusammenfassung dieser Beratungen liest sich in weiten Teilen wie eine Anleitung, Lücken im Lärmschutzgesetz zu finden, um auch über den Jahreswechsel hinaus Baumaßnahmen zu genehmigen. Nachvollziehbar: Der Wohnungsbau ist politisch gewollt.

Gesetz sieht Verbote von Baugenehmigungen vor

Gleichwohl warnt der Referatsleiter die Baubehörden in den Bezirken mit Blick auf Baupläne, die vor Inkrafttreten der neuen Fluglärmschutzzone für planungsreif erklärt worden sind, der Bebauungsplan aber erst nach dem Stichtag festgesetzt werden wird: Hier sei die Fluglärmzone vorausschauend zu antizipieren. „Wenn die Lage des Planungsgebiets in der betreffenden Lärmschutzzone dazu führt, dass der Bebauungsplan voraussichtlich nicht festgesetzt werden kann, darf keine Genehmigung des Vorhabens auf Grundlage von §33 BauGB erfolgen“.

Christian Gräff, der wirtschafts- und baupolitische Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus und Obmann der CDU im BER-Untersuchungsausschuss, ist alarmiert durch diesen internen Behördenbrief: „Es sprechen viele Indizien dafür, dass der BER bedauerlicherweise 2020 nicht ans Netz gehen wird. Dass Wohnungsbauvorhaben im Umfeld von Tegel deshalb nicht beginnen können, ist absurd“, schimpft er. Denn es sei ja nicht so, dass der Senat das Problem nicht hätte kommen sehen können.

März 2012: Mit Transparenten und Plakaten protestieren laut Veranstalter etwa 9000 Demonstranten nahe dem Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) gegen den Fluglärm.
März 2012: Mit Transparenten und Plakaten protestieren laut Veranstalter etwa 9000 Demonstranten nahe dem Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) gegen den Fluglärm.

© Soeren Stache dpa/lbn

In der Führungsetage der Senatsverwaltung sieht man derweil kein zu großes Problem. „Nach derzeitigem Kenntnisstand ist nur ein sehr geringer Teil der bekannten Wohnungsbauvorhaben von dem Bauverbot gem. § 5 FluLärmG betroffen“, teilt Katrin Dietl, die Sprecherin von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke), mit. Von Bauverboten könnten nur Vorhaben betroffen sein, die sich nach Festsetzung des Lärmschutzbereiches im Bebauungsplanverfahren befinden, oder die vor Schließung des Flughafens Tegel festgesetzt werden sollen.

Auch gelte für Wohnungsbauvorhaben im Geltungsbereich eines nach der Festsetzung des Lärmschutzbereichs bekannt gemachten Bebauungsplans das Bauverbot nicht, „wenn dieses der Erhaltung, der Erneuerung, der Anpassung oder dem Umbau von vorhandenen Ortsteilen mit Wohnbebauung dient“, zitiert sie aus dem Gesetzestext. Ob das der Fall sei, müsse man in jedem Einzelfall prüfen.

Vorkehrungen in Spandau, Gelassenheit in Pankow

Die Berliner Gesandten der niederländischen Planungsgesellschaft Ten Brinke wollen am Saatwinkler Damm in der Tegel-Einflugschneise rund 1000 Wohnungen bauen und hatten zuletzt „zeitnah“ mit einer Baugenehmigung gerechnet, damit die Bagger anrücken können. Jetzt ist man dort sehr vorsichtig, will ja nichts Falsches sagen, was das Projekt gefährden könnte und räumt lediglich ein, dass man die Folgen der Situation noch prüfen muss.

Eine Architektin, die an einem anderen Spandauer Projekt beschäftigt ist, berichtet dieser Zeitung von "Diskussionen mit dem Bauherren darüber, ob Tegel für die Berechnung des Schallschutzgutachten zu beachten ist“. Letztlich sei das auch geschehen: „Wir sind dazu verpflichtet, mit Tegel zu planen“, sagt sie.

Im Rathaus von Pankow, wo der Lärmschutz-Brief des Senats am Mittwoch eingegangen war, teilt Baustadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) mit, dass im Bezirk der „in Aufstellung befindliche Bebauungsplan 3-41 berührt“ sei. Hinter dieser Nummer steckt der Bau von immerhin 274 Wohneinheiten zwischen Idunastraße und Neukirchstraße in Heinersdorf. Man gehe „zur Zeit“ aber davon aus, dass es hier zu „keinerlei Verzögerungen bei der Schaffung von Baurechten“ kommen werde.

Dringend benötigte Neubauprojekte in der Fluglärmschutzzone sind das eine. Ein noch größeres Problem aber könnte der Umgang mit den Hunderttausenden Bestandsimmobilien werden. Hier hatte die Flughafengesellschaft bereits im Jahr 2005 ausrechnen lassen, was die nötigen Lärmschutzmaßnahmen kosten würden – damals, um die ja erfolgreich beantragte Ausnahmeregelung zu begründen. Auf eine Summe von 109 Millionen Euro kamen die Autoren des damaligen 60-Seiten-Gutachtens.

Fragt man die Flughafengesellschaft heute nach den Kosten, erklärt deren Sprecher Hannes Stefan Hönemann: "Wir eröffnen den BER im Oktober 2020 und wenige Wochen später wird der komplette Linienverkehr nach Schönefeld verlagert sein. Vor dem Hintergrund dieser relativ kurzen Zeit würden wir nur mit überschaubar hohen Lärmschutzkosten rechnen." Wie mit dem Gesetz umzugehen sei, sei aber in erster Linie vom Land Berlin zu beantworten.

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