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Das Stadtquartier "Blankenburger Süden" ist das größte Berliner Neubauprojekt.

© Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen

Neubauprojekt in Berlin-Pankow: Anwohner werfen Lompscher "Bürgertäuschung" vor

Beim größten Berliner Neubauprojekt sollen statt 6000 Wohnungen plötzlich 10.000 entstehen. Das Partizipationsmodell der Bausenatorin droht beim ersten Praxistest zu scheitern.

Von Christian Hönicke

Selbst am Grillstand hatte Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) am Samstagnachmittag keine Zeit für eine Verschnaufpause. Während sie vor der „Festen Scheune“ in Berlin-Buch an ihrer Zigarette zog, prasselte der Volkszorn auf sie ein. „Dafür habe ich nur ein Wort: Bürgertäuschung“, echauffierte sich Hartmut Breier vom Forum „Blankenburger Süden“.

Dabei sollte es hier eigentlich um das von Lompscher seit langem proklamierte Partizipationsmodell gehen. Doch das droht im ersten Praxistest, beim größten Berliner Neubauprojekt auf den Rieselfeldern südlich von Blankenburg im Bezirk Pankow, krachend zu scheitern. „Wir haben immer über maximal 6000 Wohnungen geredet, noch bis letzten Mittwoch. Und dann kommt man mit solchen Winkelzügen. Wir sind schockiert“, sagt Breier.

Lompscher lächelte gequält. Die Senatorin geriet schwer in Not dabei, zu erklären, warum sich das Neubauprojekt quasi über Nacht verdoppelt hatte. Mehr als zwei Jahre lang hatten Anwohner und Planer im Vorplanungsprozess darüber geredet, dass 5000 bis 6000 Wohnungen für etwa 10.000 Bewohner im Süden Blankenburgs errichtet werden sollen.

Doch bei der offiziellen Auftaktveranstaltung der Bürgerbeteiligung in der "Festen Scheune" in Buch am Sonnabend gab es für viele Anwesende eine unangenehme Überraschung: Die drei vorgestellten Varianten sahen einen Umfang von etwa 10.000 Wohnungen für mehr als 20.000 Menschen vor. Allen ist gemein, dass das Gebiet von einem Grünzug umrahmt werden soll, der sich im Südosten Richtung Malchow zu einem Park ausweitet.

Gebaut werden sollen neben Einfamilienhäusern auch 3- bis 5-geschossige Mehrfamilienhäuser, selbst einzelne Punkthochhäuser in der bisher dörflichen Umgebung sind nicht ausgeschlossen. Die Planungen hätten sich eben im Laufe der Zeit geändert, sagte Lompscher, die kommunizierten 6000 Wohnungen hätten nur für das „Kerngebiet“ gegolten. Dann zog sie hastig noch einmal an ihrer Zigarette: „Ich muss wieder rein.“

In der Scheune machte das Wort "Enteignung" die Runde

In der mit etwa 700 Menschen fast komplett gefüllten Scheune war die Diskussion längst im vollen Gang. Angesichts der neuen Zielzahlen verkamen die von der Moderatorin verkündeten Spielregeln für den Beteiligungsprozess zur Makulatur. Immer wieder unterbrachen Fußballhupen und Trillerpfeifen, Zwischen- und Buhrufe die Ausführungen der Planer. Der Blankenburger Pfarrer Kühne sprach von einer „Vertrauenskrise in die politischen Entscheider“.

Selbst Bezirkspolitiker, die das Vorhaben grundsätzlich unterstützen, machten ihrem Unmut über den abrupten Planungswandel Luft. Der SPD-Abgeordnete Dennis Buchner nannte die drei vorgestellten Varianten „politisch nicht mehrheitsfähig“. Der Linke Wolfram Kempe, Vorsitzender des Pankower Verkehrsausschusses, sprach sarkastisch von einer „Beteiligungssimulation“: Man könne dort bauen, „aber nicht so“.

Im Pankower Bezirksamt wusste man offenbar auch bis Dienstag nichts von den neuen Zahlen, Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) setzte sich gleich am Anfang unverblümt davon ab: „Es gibt auch zwischen uns anwesenden Politikern unterschiedliche Sichtweisen.“ Manche warfen dem Senat und seinen Verwaltungen taktisches Kalkül vor, um mit der neuen Maximalforderung am Ende wenigstens die angedachte Mindestbebauung durchzudrücken.

Die Angegriffenen schwankten in ihren Repliken zwischen Rechtfertigungen und Kontern, eine einheitliche Linie war nicht zu erkennen. Lompschers „Kerngebiet“-Argument verfing nicht angesichts der Tatsache, dass sogar in einer der beiden ausliegenden Broschüren noch von 5000 bis 6000 Wohnungen für das gesamte Stadtquartier die Rede war - gedruckt im Februar von der Bauverwaltung, mit einem langen Vorwort der Senatorin.

Konkret der Täuschung beschuldigt wurde Lompschers Projektleiter Ulf Gerlach, der regelmäßig den Stand der Planungen in den Treffen des "Forums Blankenburger Süden" dargelegt hatte. Man sei im Planungsprozess "Schritt für Schritt" zur Einsicht gekommen, auch das Gewerbegebiet Heinersdorf, den Golfplatz und die angrenzenden Erholungsanlagen einzubeziehen, sagte Gerlach. "Aber wir können die neue Zahl jetzt erst kommunizieren, denn jetzt ist Start der Beteiligung."

In Anbetracht des Detailgrads der Planungen nahmen fachkundige Besucher jedoch an, dass die Größenordnung vermutlich schon mindestens ein Jahr in den betreffenden Verwaltungen bekannt war.

Unterstützt wird diese Annahme von der Tatsache, dass sich das Land Berlin nach Angaben der Anwohner bereits im Juni 2017 das Vorkaufsrecht an den beiden Erholungsanlagen „Familiengärten“ und „Blankenburg“ – bebaut mit Garten- oder Einfamilienhäusern – gesichert haben soll. Beide sollen nach den neuen Planungen abgerissen und mit Wohnhäusern bebaut werden, obwohl viele Parzellen in Privateigentum der Nutzer sind.

Dem anwesenden Verkehrsstaatssekretär und früheren Pankower Baustadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) warfen die Nutzer Wortbruch vor: „Es ist drei Jahre her, da haben Sie gesagt: Niemand hat vor, Ihre Anlage plattzumachen!“Niemand habe sie vorher von den Plänen informiert, beklagen die Nutzer, "wir wissen es erst seit heute Morgen. Wir sollen Ausweichgrundstücke bekommen, aber die gibt es doch in der Nähe gar nicht."

Anwohner fürchten, dass das Verkehrskonzept nicht tragfähig ist

In der Scheune machte das Wort "Enteignung" die Runde, Lompschers Referatsleiter Joachim Sichter erklärte: "Jeder wird zum vollen Wert entschädigt."

Erstmals in den Fokus gerückt sei die Vergrößerung des Bauprojekts demnach während der Planung der Infrastruktur. Neben einem Trambetriebshof und zwei Schulstandorten mit insgesamt vier Schulen soll es eine Tramtrasse (Verlängerung der M2 bis zum Bahnhof Blankenburg) und die sogenannte Tangentialverbindung Nord (TVN) zur verkehrlichen Erschließung geben.

Letztere soll den Autoverkehr zwischen B2 und der Autobahnanschlussstelle Heinersdorf herstellen. TVN und Tram würden die betreffenden Erholungsanlagen mehrfach zerschneiden, so Sichter, deshalb sei es sinnvoll, sie gleich zu Wohnquartieren "aufzuqualifizieren". Angesichts der neuen Dimensionen bekamen auch die Befürchtungen der anderen Anwohner neue Nahrung, dass das angedachte Verkehrskonzept zur Erschließung des Baugebiets nicht tragfähig ist. Die Anwohner warfen den Planern zudem vor, sich die Belegung der Wohnungen mit im Schnitt nur zwei Menschen schönzurechnen.

Lompscher bemühte sich um Beschwichtigung und Verständnis: "Das ist wohl irgendwie ein Ergebnis eines planerischen Prozesses, über dessen Zwischenschritte sie sich nicht ausreichend informiert fühlen." Sie stellte noch einmal die drei möglichen Ausgänge des Beteiligungsverfahrens dar: Der Bau wird vom Abgeordnetenhaus politisch gemäß der Planungen beschlossen, es könne Planänderungen geben oder - unter großem Applaus - es werde gar kein neues Stadtquartier gebaut.

Nun sollen die Bürger "Stärken und Schwächen" der einzelnen Varianten benennen, in einem vierwöchigen Beteiligungsprozess über die Online-Plattform mein.berlin.de. Die Eingaben sollen den Berliner Abgeordneten als "Entscheidungsgrundlage" vorgelegt werden.

Der Wert dieser Zeremonie ist spätestens seit Sonnabend noch umstrittener als vorher schon, denn die möglichen dargestellten Beschlussszenarien sind - wenn sie denn ernst gemeint sind - de facto eine Aufforderung zum möglichst vehementen Protest bis zum Schluss. Die verteilten Infobroschüren stellten allerdings den gewünschten Beschluss schon klar heraus: den Baubeginn 2025. Das Einstellen oder Ändern der Planungen wurden nur im Kleingedruckten erwähnt.

Es sei aber wirklich noch nichts entschieden, erklärte Lompscher zum Schluss, "das ist ja erst der Auftakt für das Projekt Bürgerbeteiligung." Ein gelungener Auftakt war es nicht.

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