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Ein Weißstorch fliegt am Himmel. In Brandenburg wird dieser Anblick immer seltener.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentralbild/dpa

Nester bleiben leer: Warum die Störche aus Brandenburg verschwinden

Die Zahl der Vögel nimmt in Brandenburg stetig ab. Naturschützer sehen den Grund in anhaltender Trockenheit und intensiver Landwirtschaft.

Von Sandra Dassler

„Ich vermute, sie sind schon alle auf dem Weg nach Afrika“, sagt Winfried Böhmer: „Jedenfalls radele ich gerade durch den Spreewald und da sind die Horste leer.“

Die Rede ist von Brandenburgs liebsten Vögeln – den Weißstörchen. Nachwuchs und Glück sollen sie bringen, aber selbst sind sie hier schon lange nicht mehr glücklich. „Jedes Jahr werden es weniger“, sagt Winfried Böhmer, der vor Jahren das Weißstorchzentrum Vetschau mit der berühmten, viel genutzten Internetkamera über dem Horst aufgebaut hat: „Die genauen Zahlen kommen zwar erst in einigen Wochen, aber nach meinen Beobachtungen sind auch in diesem Jahr wieder einige Nester leer geblieben und in anderen wurde gerade mal ein einziges Jungtier durchgefüttert.“

Böhmer kann sich noch gut an Zeiten erinnern, als vier oder fünf Jungtiere pro Horst keine Ausnahme waren. „Aber da lag die sogenannte Reproduktionsrate auch bei 3,0 Jungstörchen pro Horstpaar“, sagt er: „Das ist längst Geschichte.“ Inzwischen schwanken die Reproduktionszahlen in Brandenburg zwischen 1,4 und 1,8. Um den Bestand halbwegs stabil zu halten, müssten es mindestens 2,4 Jungstörche je Horstpaar sein.

„Besonders dramatisch ist es in diesem Jahr ausgerechnet im bundesweit bekannten Storchendorf Rühstädt in der Prignitz, wo 26 Paare in diesem Jahr nur 27 Junge aufzogen“, sagt Bernd Ludwig. Er leitet seit Jahrzehnten die Landesarbeitsgruppe Weißstorch beim Naturschutzbund (Nabu) Brandenburg und ist sehr besorgt über den stetigen Rückgang der Großvögel, von denen es 2014 noch 1424 Brutpaare im Land gab, im vergangenen Jahr allerdings nur noch 1189.

Die Ursache sieht er zum einen in der nun schon das dritte Jahr in Folge anhaltenden Trockenheit und zum anderen in der „intensiven und einseitigen Landwirtschaft“. Im Storchendorf Rühstädt könne man das exemplarisch für das ganze Land beobachten, sagt er: „Die Elbe führt sehr wenig Wasser, ihre Altarme sind trockengefallen und durch den ausbleibenden Niederschlag haben sich die Regenwürmer in tiefere Erdschichten verzogen, die kein Storchenschnabel je erreicht.“

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Außerdem seien viele Wiesen rund um Rühstädt in Ackerflächen mit Mais und Raps zur Energiegewinnung umgewandelt worden. In Maisfelder würde aber kein Storch gehen, weil er dort gar keine Beutetiere finde, sagt Ludwig. Abgesehen davon, dass es dort wegen des massiven Einsatzes von Pestiziden auch kaum welche gebe.

Nicht nur Storche leiden unter Monokulturen

„Wir fordern deshalb seit langem eine Abkehr von der intensiven Landwirtschaft zu mehr extensiv bewirtschaftetem Grünland“, sagt Heidrun Schöning vom Nabu Brandenburg: „Das würde nicht nur den Störchen helfen, sondern beispielsweise auch der Feldlerche und dem Rebhuhn oder auch den vielen Insekten, die vom Aussterben bedroht sind.“ Eine Voraussetzung sei, dass die EU ihre Förderpolitik ändere, sonst würden weiter viele Storchenpaare ihre Jungen wegen fehlender Nahrung verlieren – oder gar nicht erst mit dem Brüten beginnen.

Drei Jungstörche sind mittlerweile die Ausnahme bei Brandenburger Störchen.
Drei Jungstörche sind mittlerweile die Ausnahme bei Brandenburger Störchen.

© Patrick Pleul/dpa

Wenn sich der gegenwärtige Negativtrend fortsetzt, könnte Brandenburg sogar seinen Status als storchenreichstes Land an Baden-Württemberg verlieren, sagt Ludwig. Das liege aber in erster Linie daran, dass dort die Tiere mehr werden, weil sie sogenannte Westzieher sind. Sie fliegen über die Straße von Gibraltar nach Westafrika beziehungsweise bleiben in Spanien. Dort finden sie in den Reisfeldern genügend Nahrung in Form des ursprünglich aus Louisiana stammenden Roten Amerikanischen Sumpfkrebses. Oder sie versorgen sich auf nicht abgedeckten Müllkippen, haben wenig Verluste auf ihrem Zug und sind im Frühjahr schnell wieder zum Brüten zurück.

Die Brandenburger Ostzieher hingegen können nirgendwo unterwegs überwintern und legen mehrere Tausend Kilometer lange und gefährliche Wege zurück: In Rumänien oder Bulgarien werden sie besonders im Frühjahr oft von Unwettern überrascht, in Libanon, Syrien und Ägypten oft „aus reiner Freude“, wie Bernd Ludwig sagt, abgeschossen.

Das geschieht in ihren Winterquartieren im Tschad, Sudan oder Äthiopien zwar selten und nur aus Hunger, dafür drohen dort neue Gefahren. „Dort gab es im vergangenen Winter schlimme Heuschreckenplagen, die mit viel Gift bekämpft wurden“, sagt Ludwig: „Möglicherweise haben da unsere Störche einiges aufgenommen.“ In den Brandenburger Horsten seien jedenfalls in diesem Jahr ungewöhnlich viele Eier gefunden worden, in denen die Embryonen abgestorben waren. „Vielleicht hat das aber auch mit dem Nahrungsmangel hierzulande zu tun“, sagt Ludwig: „Leicht haben es unsere Störche zurzeit jedenfalls nicht.“

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