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Ein Luchs schleicht in einem Waldgehege nahe der Rabenklippen bei Bad Harzburg.

© Holger Hollemann dpa/lni

Naturschutz: In Brandenburg soll es wieder Luchse geben

Eine der imposanten Katzen hat offenbar nahe eines Tagebaus überwintert. Leider fehlt ihm ein Weibchen – mindestens eines bräuchte er.

Von Sandra Dassler

Irgendwann im November 2017 fand André Pfeiffer in der Nähe des Tagebaus Welzow einen toten Fuchs. An sich nichts Ungewöhnliches, denn André Pfeiffer ist einer der Wolfsbeauftragten im Landkreis Spree-Neiße und deshalb oft in der Natur unterwegs.

Doch der tote Fuchs, oder besser gesagt: das, was von ihm übrig geblieben war, lag nicht einfach so im Wald, sondern war „verblendet“, wie Pfeiffer es fachmännisch nennt: „Das heißt, nicht vergraben, sondern mit Blättern, Ästen und Erde sozusagen zugedeckt. Und das macht kein Mensch und auch kein Wolf“, sagt er: „Das ist Katzenart.“

Irgendwie habe er damals aber nicht lange darüber nachgedacht, auch Anfang März 2018 maß er dem Bericht eines Bekannten keine besondere Bedeutung bei. Der erzählte ihm, dass er bei der Fahrt auf einer Landstraße im Scheinwerferlicht ein Tier habe aufstehen sehen. Das sei weder Wolf noch Reh, aber eindeutig größer als eine Katze gewesen. Und es hatte einen Stummelschwanz.

Erst als Pfeiffer am Osterwochenende von einem befreundeten Jäger ein Handyfoto zugesandt bekam, auf dem eindeutig ein Luchs zu sehen war, glaubte der Naturschützer nicht mehr an Zufälle. „Ich habe dann gebeten, etwaige Sichtungen zu melden und wusste, dass sich ein Hobbyfotograf auf die Lauer legen wollte - aber ehrlich: der hatte eine Erfolgschance von weniger als einem Prozent.“

Die aber nutzte der Fotograf. Schon am 31. März bekam er den Luchs genau an der Stelle, an der er einige Tage zuvor gesehen worden war, vor die Linse. Das am nächsten Tag verbreitete Foto hielten zunächst alle für einen Aprilscherz. Erst als aus dem Harz die Nachricht kam, dass man den Luchs auf dem Foto kenne, gab es keine Zweifel mehr.

Weite Reise

„Es grenzt an ein Wunder“, sagt Lilli Middelhoff vom Luchsprojekt Harz, mit dem zur Jahrtausendwende erstmals in Deutschland versucht wurde, den hier ausgestorbenen Eurasischen Luchs wieder anzusiedeln: „Wir erkennen das Tier an der orangefarbenen Ohrmarkierung. Im März 2016 haben wir den jungen Kuder, wie männliche Luchse genannt werden, in der Nähe von Osterode gefangen, da war er etwa ein Jahr und noch zu jung und leicht, um ihm einen Halsbandsender anzulegen. Dann haben wir ihn zwei Jahre nicht mehr gesehen, waren überzeugt, dass er nicht mehr lebt. Und jetzt taucht er 220 Kilometer Luftlinie entfernt wieder auf...“

Eine solche Entfernung habe noch nie ein Tier aus dem Luchsprojekt Harz zurückgelegt, sagt auch Projektkoordinator Ole Anders: „Der junge Luchs musste so viele Straßen überqueren, so viele Gefahren überstehen – wenn er in eine andere Himmelsrichtung gezogen wäre, hätte er mehr Chancen, eine Partnerin zu finden und eine Familie zu gründen.“

Denn einfach ein oder zwei Weibchen in die Lausitz zu bringen – der Luchs lebt oft bigam – sei völlig ausgeschlossen, betonen sowohl die Naturschützer im Harz als auch in der Lausitz. „Wir haben lange gebraucht, bis wir hier eine Akzeptanz für unser Projekt entwickelt hatten“, sagt Ole Anders: „Natürlich wäre es wünschenswert, wenn eine Tierart, die der Mensch ausgerottet hatte, nun wieder einen Lebensraum in Deutschland findet. Aber das muss auf natürlichem Weg erfolgen.“

"Endlich mal eine gute Nachricht"

Das ist auch die Meinung in Brandenburg. Selbst wenn es bedeuten könnte, dass der Luchs die Lausitz wieder verlässt. „Eigentlich muss er nur noch etwa 100 Kilometer weiterziehen, dann wäre er im Elbsandsteingebirge, wo es noch Luchsweibchen geben soll“, sagt André Pfeiffer.

Nahrung fände das Tier aber auch im Umkreis des Tagebaus Welzow genug, schließlich jagen Luchse vor allem Rehe, manchmal auch Füchse und Hasen – und davon gibt es im Spree-Neiße-Kreis genug.

„Endlich mal eine gute Nachricht“, freut sich auch Steffen Butzeck vom Brandenburgischen Landesumweltamt: „Vor etwa 220 Jahren wurden die letzten in Brandenburg heimischen Luchse getötet. Und nun wandert ein Luchs aus dem Harz auf eigenen Pfoten über 200 Kilometer durch Kulturlandschaften und über Verkehrswege und sucht sich seinen Platz in Südbrandenburg. Wir sind selbst überrascht und werden ihn gut im Auge behalten. Für das wissenschaftliche Monitoring dieses kostbaren Tieres wird sich der kleine Kreis aus erfahrenen Naturschützern, Förstern und Jägern fit machen, der sich bereits in diesem Gebiet bewegt.“

Zwischen Luchs und Wolf gibt es große Unterschiede

Die „Kostbarkeit“ ist zwischen 80 und 120 Zentimetern lang und 50 bis 70 Zentimeter hoch. Die Männchen wiegen etwa 20 bis 25 Kilogramm, die Weibchen sind etwas leichter. Charakteristisch sind die Ohrpinsel, der Backenbart und die breiten Pfoten, deren Abdruck/Abdrücke man normalerweise im Schnee gut erkennt. Aber in diesem Winter fiel kaum Schnee, deshalb blieb der Luchs wohl auch so lange unentdeckt. Zwar war er bereits im Herbst im Rahmen des Wolfsmonitorings fotografiert worden, die Bilder wurden allerdings erst kürzlich ausgewertet.

Vielen Naturfreunden dürfte das sogar recht gewesen sein. Sie befürchten, dass der Luchs vielleicht ähnliche Reaktionen hervorrufen könnte wie die Rückkehr der Wölfe, über die in Brandenburg und ganz Deutschland heftig gestritten wird. Allerdings gibt es einige gravierende Unterschiede zwischen Wolf und Luchs, denn sie sind ganz sprichwörtlich wie Hund und Katze.

So jagen Luchse nicht in Rudeln und auf dem freien Feld, sondern lauern lieber im Wald ihrer Beute auf. Sie leben auch nicht in großen Familien und das Männchen kümmert sich nach der Zeugung nicht um das Weibchen und den Nachwuchs. Auf Begegnungen mit dem Menschen reagieren Luchse eher gelassen gelangweilt und ziehen ihrer Wege. Angriffe auf Menschen sind nicht bekannt.

Und was wäre, wenn der Lausitzer Luchs auf einen Lausitzer Wolf trifft? „Er würde sich ganz sicher nicht mit ihm anlegen“, sagt Steffen Butzeck: „Wolf und Luchs gehen sich aus dem Weg. Der eine setzt sich oben in die Äste der Bäume, der andere zieht unten weiter. So geht es seit Jahrtausenden. Die Wesen der Natur kennen sich und nutzen ihre Möglichkeiten. Aber sie führen nicht permanent Krieg gegeneinander.“

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