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Am 15. Februar 2019 streikten die Mitarbeiter der BVG: Anschließend kam es noch über Stunden für Verspätungen.

© Christoph Soeder/dpa

Nahverkehrsplan für Berlin: Ein Traum in BVG-Gelb – der bald zerplatzen könnte

Der neue Berliner Nahverkehrsplan liest sich wie ein Wunschzettel, dem jeder zustimmen kann. Nur spricht viel dagegen, dass er umgesetzt wird. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Kevin P. Hoffmann

Der Berliner motzt gern, behaupten Zugereiste. Vielleicht liegt es daran, dass die Bewohner dieser Stadt mehr als genug zu motzen haben: Ausfälle, Verspätungen, die chronisch überfüllten Züge, Busse und Straßenbahnen sind ein nie versiegender Quell des Ärgernisses für fast alle Bewohner, die sich nicht allein zum Sightseeing durch die Stadt bewegen (müssen). Wer sich darüber nie aufregt, muss entweder nicht pünktlich zur Arbeit kommen, steht mit dem Auto im Stau oder gefährdet die eigene Gesundheit auf dem Fahrrad auf Hauptverkehrsstraßen.

Die seit Jahren wachsende Stadt steht vor dem Verkehrsinfarkt. Und wer noch niemals in Kairo oder Bangladeschs Hauptstadt Dhaka war, könnte sogar meinen: Berlin liege verkehrstechnisch schon tot am Boden. Sind wir ehrlich: Dem ist noch nicht so. Hier geht meistens noch irgendetwas voran.

Mehr Züge und höhere Frequenzen im Fahrplan

In jedem Fall ist es zu begrüßen, dass der rot-rot-grüne Senat endlich einen Plan vorgelegt hat, der nicht nur relativ kurzfristige Linderungen in den Jahren bis 2023 anstrebt, sondern auch langfristige Ziele bis 2035 in den Blick nimmt. Es geht - natürlich - um höhere Investitionen: Statt wie bisher mit 1,1 Milliarden Euro, will der Senat den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) mit 1,76 Milliarden pro Jahr bezuschussen. Gewollt sind mehr Züge, neue Strecken, höhere Frequenzen allerorten. Alles in allem liest sich das Konzept wie ein Traum in BVG-gelb. Wer sollte sich all das nicht wünschen? Käme es wie geplant, wäre diese Stadt ein noch lebenswerterer Ort. Und die Berliner Schnauze müsste sich ein neues Thema suchen.

Doch es gibt leider berechtigte Zweifel daran, dass es so kommt. Denn erstens unterstellt der Senat, dass die landeseigenen Verkehrsbetriebe BVG ihre Einnahmen künftig steigern können, um einen Teil des Programmes zu finanzieren. Doch wie passt das zu (legitimen) politischen Bestrebungen, immer größere Bevölkerungsgruppen von den heute schon recht hohen Ticketpreisen zu entlasten? Nur zwei Stichworte sind das kostenlose Schülerticket und die Entkriminalisierung von Schwarzfahrern.

Zweitens: Wer mehr Busse und Züge rollen sehen will, muss diese auch haben. Dabei ist der Markt fast leergefegt, speziell, wenn klimaschonende Elektrobusse angeschafft werden sollen und nicht ausrangierte Dieselbusse aus Stuttgart. Berlin ist nicht die einzige Stadt, die gern grün unterwegs wäre.

Es fehlen Geld, Personal und Flächen

Drittens: Personal fehlt. Was die BVG-Mitarbeiter von den Sparrunden der vergangenen Jahre halten, haben sie erst diese Tage eindrucksvoll mit einem Streik bewiesen. Und wenn man jeder U-Bahn-Fahrerin ein Pilotengehalt zahlen würde, um weitere Quereinsteiger zum Eintritt in das Führerhäuschen zu motivieren, ginge die Wirtschaftlichkeitsrechnung schon drei Mal nicht auf.

Viertens: Neue Tram-Linien, Oberleitungen für Busse, die Wiederbelebung der Siemens-Bahn-Trasse. Dafür muss man bauen, bauen, bauen. Genau dafür will der Senat ja gleichzeitig auch die Wohnungsbauunternehmen gewinnen. Und auch das ist schwer genug. Personal fehlt, Geld fehlt, Flächen fehlen. Gut klingt auch, dass der Senat eine möglichst große Barrierefreiheit in allen Verkehrsnetzen anstrebt. Doch auch hier entstehen wieder zusätzliche Kosten.

Berlin macht mobil? Das Foto zeigt BVG-Chefin Sigrid Nikutta (Mitte, in gelber Jacke) und Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, 2. von rechts) bei der Vorstellung der verkehrsmittelübergreifenden Buchungs-App "Jelbi" am 18. Februar 2019.
Berlin macht mobil? Das Foto zeigt BVG-Chefin Sigrid Nikutta (Mitte, in gelber Jacke) und Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, 2. von rechts) bei der Vorstellung der verkehrsmittelübergreifenden Buchungs-App "Jelbi" am 18. Februar 2019.

© Paul Zinken/dpa

Unterm Strich wollen die Senatorinnen und Senatoren, allen voran Regine Günther (parteilos), mit dem Verkehrsplan offenbar alle glücklich machen - außer den Finanzsenator. Es wäre schön, wenn das klappte. Nur realistisch ist das nicht. Schwerer aber redlicher wäre es, klare Schwerpunkte zu setzen - zum Beispiel auf den relativ günstigen Ausbau des Straßenbahnnetzes. Da könnten Berliner auch motzen, das sei nicht der ganz große Wurf. Aber es wäre ein Wurf.

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