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Ein Obdachloser liegt unter einer Bahnunterführung.

© Hauke-Christian Dittrich/dpa

Nahverkehr in Berlin: BVG will U-Bahnhöfe im Winter nicht mehr für Obdachlose öffnen

Bisher durften Obdachlose in der kalten Jahreszeit Schutz in Berlins U-Bahnhöfen suchen. Nun führt die BVG Sicherheitsbedenken dagegen an.

Von Fatina Keilani

Ist die BVG kaltherzig, wenn sie Obdachlosen in eisigen Winternächten keinen Platz mehr in ihren U-Bahnhöfen gewährt? Das meint jedenfalls die Caritas. Sie reagierte auf eine entsprechende Ankündigung der BVG mit der Forderung nach einem „Zeichen der Solidarität“. Die BVG wiederum fühlt sich der stark veränderten Situation nicht gewachsen. Statt wie früher vier bis sieben Personen pro Nacht hätten im vergangenen Winter regelmäßig mehrere Dutzend in den U-Bahnhöfen Südstern und Lichtenberg übernachtet, sagte BVG-Sprecher Markus Falkner. Die Zahlen hätten sich zum Teil verzehnfacht.

„Auf der seitlichen Stromschiene sind 750 Volt Starkstrom, sie ist rund um die Uhr an“, so Falkner. Auch nachts würden wegen Bauarbeiten und zum Rangieren Züge fahren. „Bei nicht selten mehreren Dutzend Menschen im Bahnhof, die oft unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehen, ist das buchstäblich lebensgefährlich“, hatte BVG-Chefin Sigrid Nikutta gegenüber der „Morgenpost“ den Vorstoß begründet. Laut Falkner verrichteten Menschen teilweise ihre Notdurft im Gleisbett; es gibt keine Toiletten in den U-Bahnhöfen, auch keine Schlafplätze – die BVG ist ein Verkehrsunternehmen, das aus dem Gefühl sozialer Verantwortung Menschen vor dem Erfrieren habe schützen wollen, genau wie Caritas, Diakonie und Rotes Kreuz, die gemeinsam die Kältehilfe bilden.

Doch jetzt sind Obdachlose in den U-Bahnhöfen zu zahlreich, sie sind oft stark alkoholisiert oder stehen unter anderen Drogen und das Sicherheitspersonal kann sich mit vielen gar nicht verständigen, da sie kein Deutsch sprechen. Das Unternehmen habe auch eine Fürsorgepflicht gegenüber den BVG-Mitarbeitern, sagte Nikutta.

Als Kundin ist mir die Sicherheit der Obdachlosen vor dem Erfrieren wichtiger als die Sauberkeit eines Bahnhofs.

schreibt NutzerIn ElsbethM

In die Kälte schicken wolle die BVG aber niemanden, sagte die BVG-Chefin. Man sei sich der sozialen Verantwortung bewusst, brauche aber Unterstützung. Beispielsweise könnten die BVG-Sicherheitsmitarbeiter telefonisch einen Wagen der Kältehilfe anfordern, um die Menschen unterzubringen.

Außerdem sei die Zahl der Schlafplätze verdoppelt worden, es gebe also genug richtige Betten für Berlins Obdachlose. Das stimmt – und hilft doch nichts. „Zu sagen: Jetzt haben wir genug Betten, jetzt müssen sie nicht mehr in die U-Bahnhöfe, das funktioniert nicht“, sagt Caritas-Sprecher Thomas Gleißner. Die Sozialverwaltung bestätigt das. Es gebe Obdachlose, die nicht in die Kältehilfe wollten, sagt eine Sprecherin, denn auch dort gälten Regeln. Manche kämen keine Nacht ohne Alkohol aus, andere wollten sich nicht von ihren Hunden trennen. Eine zunehmende Zahl von Menschen lasse sich überhaupt nicht mehr in Systeme integrieren. In dieser Woche will sich Breitenbach mit der BVG zusammensetzen, um auszuloten, was machbar ist – und wenn man Dixi-Klos in den Bahnhöfen aufstellt.

Die Kältehilfe wird in diesem Jahr verlängert. Sie beginnt mit geringeren Kapazitäten schon am 1. Oktober statt am 1. November, und sie endet erst mit dem April statt dem März. Die Standorte sind noch unklar, etwa ob auf dem Tempelhofer Feld wieder Schlafplätze eingerichtet werden. Im vergangenen Winter hatte es die Rekordzahl von 1100 Schlafplätzen gegeben, davon 100 in einem Hangar des Flughafens Tempelhof. Die Zahl der Wohnungslosen hat sich in Berlin in den vergangenen Jahren vervielfacht. Die meisten von ihnen sind Ausländer, 29 Prozent haben einen deutschen Pass. Obdachlosigkeit betrifft zudem immer mehr Frauen und Familien.

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