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Aufgekratzt. „Ohne Pizza geht’s nicht nach Hause“, sagt Miriam (rechts) und kauft mit ihren Freundinnen Tasja (l.) und Lilly leichte Kost für den Heimweg.

© Kai-Uwe Heinrich

Nachtleben: Nachts am Imbiss mit den Partygängern

Wenn auf der Tanzfläche der Magen knurrt, dann zieht's alle in die Buden. Die Besoffenen, die Aufgekratzten, und immer fragt der Döner-Verkäufer: "Mit Zwiebel?" Eine Nachtreportage.

Dirk Bujack drückt noch mal aufs Gaspedal, bevor er seinen weißen, zehn Meter langen Stretch Hummer H1 abrupt bremst und in der zweiten Reihe parkt. Neben den parkenden Taxis anhält, direkt vor „Curry 36“. In den getönten Scheiben der Limousine spiegeln sich die Lichter der Nacht, die Ampeln, die Laternen, die Leuchtreklamen des Mehringdamms; im Innern des Wagens flimmert ein Bildschirm. Dann öffnet sich die Fahrertür und Bujack – weite Nadelstreifenhose, spitze Stiefel im Zebramuster und zwei Brillis in den Ohren – springt heraus und stapft zur Currywurstbude. „Zweimal Curry mit Pommes und Mayo, bitte.“ Es ist halb vier Uhr morgens an diesem Wochenende und nicht nur Bujack hat Hunger. 20 Leute lehnen an den Stehtischen, alle haben eine Wurst vor sich. Bis fünf Uhr morgens hat Curry 36 geöffnet. „Zum Feierabend fahre ich hier öfter mal ran“, sagt Bujack. Der 44-Jährige ist Chauffeur, mit seinem Hummer macht er Stadtrundfahrten. Heute habe er die Siegerinnen eines Radiogewinnspiels in den Nachtclub Adagio in Mitte gefahren, erzählt er, während er mit der Plastikgabel in einem Berg Pommes stochert. Danach sei er mit seiner Freundin in der Spielbank am Potsdamer Platz gewesen, jetzt gehe es aber nach Hause, nach Teltow. „War ’ne lange Nacht“, murmelt er mit vollem Mund, bevor er auch schon wieder in seinen Hummer einsteigt und davonbraust. Vor Curry 36 trudeln schon die nächsten Nachtschwärmer ein; und auch nur einige Meter entfernt bei Mustafa’s Gemüsekebap stehen die Leute Schlange. Wenn das Partyvolk der Hunger packt, dann sind die Imbissbuden voll: Saray an der Revaler Straße, Saluts Backwaren am Schlesischen Tor, der McDonald’s und der Burger King am Alexanderplatz, Ali Baba an der Eberswalder Straße. Die Imbisse sind billig und sie haben rund um die Uhr geöffnet. Es ist der Suffhunger, der die Clubber dort hintreibt. Entweder um den Abend ausklingen zu lassen; oder um sich zu stärken, bevor es weitergeht. In die nächste Bar, in den nächsten Club, auf die nächste Party.

„Ohne Pizza geht’s nicht nach Hause“, sagt Miriam. Das sei ein Ritual. Sie ist 24, Versicherungsangestellte aus Tempelhof und dafür, dass sie und ihre beiden Freundinnen Lilly und Tasja gerade aus dem Elektroclub Watergate kommen, wirken sie erstaunlich nüchtern. Den Alkohol haben sie sich abgetanzt, von ihrem letzten Geld gönnen sie sich zwei Pizza Margherita, drei Euro das Stück, bei Pizza Espresso am Schlesischen Tor. „Pizza ist viel besser als Döner, davon stinkt man nicht so“, sagt Miriam und schielt zu ihrem Freund Marco rüber. Es ist ein Kommen und Gehen auf der Fressmeile am U-Bahnhof Schlesischen Tor. Die Gesichter ziehen vorüber wie bei einem Karussell. Memo kennt das. Er arbeitet seit drei Jahren im Bagdad, sechs bis sieben Tage die Woche. Das Bagdad ist ein gemütliches Lokal, mit schummrigem Licht, zehn Tischen und zwei Spielautomaten, draußen vor der Tür steht eine Bierbank. Es gibt hier orientalische Speisen, aber auch Milchreis, Glühwein und Tiramisu. 24 Stunden am Tag. Um drei Uhr in der Nacht sei am meisten los, sagt Memo. „Fast alle bestellen Döner.“ Der Spieß mit dem Kalb-Lammfleisch rotiert die ganze Nacht. Genauso wie Memo und seine Kollegen Abo und Sadi hinterm Tresen: Fleisch schneiden, die Laufkundschaft aus dem Fenster heraus bedienen, drinnen die Teller abräumen. Und immer der gleiche Text: „Salat komplett?“ „Ohne Zwiebeln, bitte.“ „Sauce?“ „Knoblauch-Scharf.“ „Was zu trinken?“ „Ja, ein Bier.“ „4,50 Euro. Lass dir schmecken.“ Diesen Dialog führt Memo hunderte Male in der Nacht. Mit den Touris gerne auch mal auf Englisch. Höflichkeit in der Endlosschleife. Von 23 Uhr bis 8 Uhr morgens. „Der Döner schmeckt scheiße“, sagt Lisa-Marie. „Der ist viel zu klein für drei Euro.“ Lisa-Marie ist 23 und studiert Kulturwissenschaften an der TU, eigentlich kommt sie aus München. Sie und ihre beiden Freundinnen Anna und Isabel haben sich im Bagdad in eine warme Sitzecke geschmiegt, ihre Jacken und Schals haben sie nicht abgelegt. Draußen ist es bitterkalt. Es ist halb fünf Uhr, die drei waren im Lido, abzappeln zu Balkan-Beats, und sind ganz schön betrunken, kichern, albern herum. Der Kajal in ihren Gesichtern ist verschmiert, Reste vom goldenen Glitzer funkeln um ihre glasigen Augen. Als die drei aufstehen, sind ihre Teller leergeputzt. Alles aufgegessen. Manchmal gebe es auch Probleme mit den Betrunkenen und den Zugedröhnten, sagt Memo. Die wollen dann nicht zahlen oder fangen an, sich zu schlagen. Der 34-Jährige geht dann dazwischen, versucht zu schlichten. Bloß kein Streit. „Wir versorgen die Leute mit Essen und wir versuchen, Konflikte zu vermeiden“, sagt er. „Wir sind die Engel der Nacht.“ Und deutet mit einem Kopfnicken auf ein paar Typen mit Goldkettchen und Bartschatten. Mittlerweile ist es kurz nach sieben. Draußen bewerfen sich ein paar Jungs mit Essensresten und die Sonne scheint auf die Gleise der U-Bahn. Der neue Tag bricht an und im Berghain oder Kater Holzig denken sie noch lange nicht ans Nachhause gehen. Guten Morgen Berlin. Im Bagdad übernimmt die Frühschicht.

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