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Nachrufe: Bomben für den SDS

1967 tauchte Peter Urbach in der linken Szene auf: Ein echter Arbeiter, der bei der Revolution mithelfen wollte. Er lieferte alles, was gewünscht war - und ein wenig mehr. Nachruf auf einen V-Mann des Verfassungsschutzes.

Von David Ensikat

Am 7. Mai 2011 erschien in einer kleinen kalifornischen Zeitung namens „Santa Maria Times“, dieser Nachruf:

„Peter ,Pia’ Urbach war 70 Jahre als, als er am 3. Mai 2011, einen Tag nach seinem Geburtstag, im Santa Barbara Cottage Hospital eines natürlichen Todes starb. Inmitten des Zweiten Weltkrieges kam er in Posen zur Welt. In den Schrecken des Krieges verlor er seinen Vater, Gustav, seine Mutter, Gertrud, und musste mit seinem Bruder Hartmut nach Berlin fliehen … Er absolvierte die Schul- und Klempnerausbildung und machte einen Abschluss an der Deutschen Polizei-Akademie … Seine Tätigkeit bei der Polizei begann als Wachmann und führte ihn in die dunklen Gefilde der Spionageabwehr, wo er zur Festnahme von Führern des berüchtigten Baader-Meinhof- Komplex’ beitrug…“

Ein britischer Schriftsteller, der sich mit der Geschichte der RAF beschäftigt, stieß vor kurzem auf diese Notiz und benachrichtigte Rainer Langhans, den Ex- Kommunarden, von dem er wusste, dass der sich für die Sache interessieren würde. Langhans benachrichtigte den „Spiegel“, von dem er wusste, dass der sich für die Sache interessieren würde. Der „Spiegel“ wusste, dass noch viel mehr Menschen sich für das Abbleiben von Peter Urbach interessieren würden, so viele, dass Zweifel an diesem annoncierten Tod angebracht sein würden. Es war denkbar, dass man ihn fingiert hatte, um Urbach mit neuer Identität auszustatten und ihm eine Rückkehr nach Deutschland zu ermöglichen.

Der „Spiegel“ erreichte die letzte Ehefrau von Peter Urbach und einen seiner Söhne, beide bestätigten den Tod, und so erschien in der vergangenen Woche ein kleiner Nachruf für diesen Mann, der in der linken West-Berliner Szene zunächst als „S-Bahn-Peter“ bekannt und überaus beliebt war und kurz darauf als Verräter und Provokateur galt, mitschuld an Radikalisierung, Bewaffnung, Terrorismus und Verhaftung, überhaupt an allem Schlimmen, was auf die hoffnungsfrohen Monate des Aufbruchs 1967 / 68 folgte. Entsprechend viele Feinde hatte er. Entsprechend groß war seine Angst, dass ihm in Deutschland etwas angetan werden würde.

Tilman Fichter, damals Vorstandsmitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, inzwischen 74 Jahre alt, erinnert sich noch gut daran, wie Peter Urbach Anfang ’67 im Büro des SDS stand: „Der trug so ein Hütchen wie Adenauer auf dem Kopf, kleinkarriert, und hatte seine Tasche mit dem Werkzeug dabei. Er fragte, wo er helfen könne, er sei Handwerker.“ Horst Mahler habe ihn geschickt, der Linken-Anwalt, der später in den Terrorismus driftete und inzwischen wegen Nazi-Hetze im Gefängnis sitzt.

Urbachs Geschichte – die Fichter für eine Verfassungsschutzlegende hält – ging so: Bei der West-Berliner S- Bahn, die damals von der DDR betrieben wurde, habe er als Rohrleger gearbeitet. Er sei in Schwierigkeiten geraten, weil er bei einer Betriebsversammlung einem SED-Mann Revisionismus unterstellt und ihm eine Rauchbombe unter den Schreibtisch geworfen habe. Mahler solle ihn nun vertreten, und er wolle den revolutionären Studenten helfen, wo immer er könne.

„Uns kam das suspekt vor“, sagt Fichter. „Der war eigentlich eher unpolitisch, ein stiller und zurückhaltender Mensch.“ Später, als viele Urbach noch für einen tollen Kerl hielten und sich von ihm gerne helfen ließen, seien sich die SDSler sicher gewesen, dass mit ihm etwas nicht stimmte: „Wo die Polizei eine Razzia machte, war am Tag davor der Urbach gewesen.“

Im Februar 1969, einen Tag vor dem Berlin-Besuch des amerikanischen Präsidenten Nixon, tauchte Urbach mit einem Koffer voller Brandbomben auf, die er an SDSler verteilen wollte. „Den haben wir gleich rausgeschmissen“, erzählt Fichter. „Damit wollten wir nichts zu tun haben.“ Er erinnert sich auch an ein Treffen mit Horst Mahler, den er vor Urbach warnen wollte. Mahler habe ihn angebrüllt, der Urbach sei ein wertvoller Genosse, er habe sein Jackett aufgerissen und seine Pistole im Halfter gezeigt. Die habe der Urbach besorgt. Der sollte ein Agent sein?

Dass er es ganz sicher war, stellte sich heraus, als Andreas Baader, der RAF-Terrorist zum ersten Mal verhaftet wurde, verraten von Peter Urbach. Und als Urbach 1971 bei einem Verfahren gegen Mahler aussagte – als Beamter des Verfassungsschutzes, der eine Aussagegenehmigung seines Dienstherrn, des Berliner Innensenators erhalten hatte.

Fichter: „Der war der erfolgreichste agent provocateur der neueren Geschichte, der Waffenmeister der ersten RAF-Generation!“ Und der Verfassungsschutz soll das so geplant und gewollt haben? „Es gab ein Verzweiflungspotenzial unter den Studenten, das haben sie bewaffnet, um dann die gesamte Studentenbewegung zusammenzuschlagen. Das musste ihnen natürlich entgleiten.“

Aber wie war das bei der Anti-Springer-Demonstration nach dem Attentat auf Rudi Dutschke? Da hat Urbach den Studenten gezeigt, wie man Lastwagen anzündet: umkippen, Tank auf, Molotowcoctail rein. Hier wundert sich Fichter auch: „Das war ja objektiv revolutionär. Die Bilder gingen um die Welt und haben die Empörung gegen Springer deutlich gemacht. Da hat der Urbach sich verdient gemacht.“

Sonst aber verweist er auf die Agentenkrimis von Le Carré: „Da kann man nachlesen, wie das bei den Geheimdiensten läuft. Alles von langer Hand geplant.“

Etwas anders sieht das Rainer Langhans. Er hat Peter Urbach gut gekannt und glaubt nicht an die planmäßige Unterwanderung: „Da hätte ja der Verfassungsschutz schon Anfang ’67, als Peter zu uns kam, wissen müssen, wo die Reise hingeht. Das wussten damals noch nicht mal wir!“

In der „Kommune 1“ hatten sich Bürgersöhne und Bürgertöchter zusammengefunden, um alles Bürgerliche abzustreifen und den Restbürgern des Landes zu zeigen, wie Befreiung funktioniert. Bei Marx und Engels hatten sie gelesen, dass die Befreiung die „historische Mission der Arbeiterklasse“ sei – da traf es sich gut, dass Peter Urbach bei ihnen klingelte: ein echter Arbeiter. „Unser einziger“, sagt Langhans.

Während sich die Arbeiterklasse ansonsten eher unrevolutionär verhielt, war dieser hier von unschätzbarem Wert. Er besorgte einfach alles, Rohre, Kabel, Krähenfüße. Und auch diesen Sarg, aus dem bei der Störung einer Trauerfeier Dieter Kunzelmann sprang und Flugblätter warf (Fichter: „Eine idiotische Aktion, absolut kontraproduktiv!“).

Langhans erinnert sich, wie er mit Urbach mal über die Zukunft sprach. Urbach habe gesagt: „Ich glaube nicht, dass ihr gewinnt. Aber ihr seid Studenten. Euch wird nichts passieren, ihr werdet später mal die Chefs. Und was ist dann mit einem wie mir? Mich kriegen sie dran.“

Und so glaubt Langhans, dass Peter Urbach sich einfach rückversichern wollte: „Man kann von einem realistischen Klassenbewusstsein sprechen.“ Zunächst, als es noch lange nicht um Waffen ging, sei er vielleicht wirklich überzeugt gewesen, dass die Gesellschaft, dieses ganze Oben und Unten, umgekrempelt werden müsse. Und als er merkte, dass das nicht funktionieren wird, nicht mit diesen langhaarigen Wirrköpfen, da habe er sich der Staatsmacht angedient.

Dann würden die Sätze im Nachruf der „Santa Maria Times“ über die Polizistenausbildung nicht stimmen. Weiß man’s?

Langhans weiß, wer schuld an seiner Inhaftierung war: Urbach. Eine der Brandbomben, die der SDS nicht wollte, landete in der „Kommune 1“ – „Die Uschi hat das Ding noch vom Tisch weggeräumt, deshalb hat’s die Polizei erst bei der zweiten Razzia entdeckt.“ Für ein paar Wochen kamen Langhans und Kunzelmann in den Knast – „und das geschah uns auch ganz recht. Wir wollten ja das Zeug.“ Dass Urbach und der Verfassungsschutz schuld an der Radikalisierung sei, ist für Langhans großer Quatsch: „So viele von uns, auch die vom SDS, waren ganz wild auf die Knallerei. Die steckten alle noch in ihren alten Körpern, die wollten Krieg.“

Nach seiner endgültigen Enttarnung als V-Mann brachte der Verfassungsschutz Peter Urbach außer Landes, in die USA, wie sich nun herausgestellt hat. Da heiratete er noch zwei Mal, „… war 32 Jahre lang stolzes Mitglied der Gewerkschaft der Auszubildenden des Klempner- und Rohrlegergewerbes und half beim Bau des Diablo Kernkraftwerkes… Obwohl sein Leben in den Vereinigten Staaten freudvoll und glücklich war, hegte er den Wunsch, eines Tages nach Deutschland zurückkehren zu können. Deshalb wird seine Asche an einer Berliner Brücke verstreut, die er als Kind sehr mochte. Die letzten Monate verbrachte er vor allem in Krankenhäusern, aber wann immer er konnte, sah er die Fußballspiele der ,Bundesliga’ in seinen deutschen Lieblingssender und drückte seiner Lieblingsmannschaft Bayern München die Daumen.“

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