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Nachruf: Edda Blanck-Kurtzer (Geb. 1944)

Wie soll das gehen, Molly Luft ohne Puff?

Edda und Molly leben sich mit den Jahren auseinander. Die Fotos von Edda zeigen ein schmales Kind in Wollkleidern. Sehr schüchtern, sehr einsam. Aus dem Kind wird ein Backfisch, mal streng im dunklen Glockenkleid, mal locker im längsgestreiften Badeanzug, mit Sonnenbrille. Edda lässt noch nichts von Molly ahnen. Und Molly, Werbeslogan: „Berlins dickste Hure“, mit ondulierten falschen Haaren, Brüsten wie Gletscherzungen und einer unstillbaren Gier nach Nougatstangen, Pfefferminzlikör und Männern, stellt Edda bald völlig in den Schatten.

Wenn jemand, der sie als Molly kennenlernte, Edda zu ihr sagte, nur so zum Spaß, wurde sie böse. Edda war ihr Geheimnis. Das ging niemanden etwas an, bis auf Archibald, ihren Ex-Mann, den sie nach der Scheidung noch ein zweites Mal heiratete. Und ihre Kinder. Eddas Kinder. Molly Luft hatte keine.

Aus Eddas Leben sind wenig Bruchstücke bekannt. Molly vermied es, über sie zu reden. Die Mutter starb früh, der Vater war unbekannt. Edda kam in ein kirchliches Heim, als dort eine lieblose, bisweilen gewalttätige Fügsamkeitspädagogik herrschte. Sie lernte Radio- und Fernsehtechnikerin, übte den Beruf aber nie aus.

Irgendwann in den siebziger Jahren setzte die Metamorphose ein. Edda war schon recht füllig geworden. Sie kellnerte in einem Eiscafe in Steglitz mit Schürze und Hochsteckfrisur. Mit ihrem ersten Mann, einem Bäckergesellen, hatte sie zwei Kinder bekommen. Dann lernte sie Archibald kennen, einen Offizier der US-Armee, ein Mann mit Uniform, präsentabel, großzügig und dominant. Edda erkannte ihren Märchenprinzen, ließ sich vom Bäckergesellen scheiden und zog mit Archibald in ihr neues Leben ein.

Wer nun die Idee mit den Zeitungsanzeigen hatte, ist eigentlich egal. Molly erzählte Gechichten gern so, dass viele widersprüchliche Versionen in Umlauf kamen. Zuletzt wusste sie selbst nicht mehr, wie es genau war. Vor einem Jahr kamen ihre Memoiren heraus, aber der Verlag zog das Buch nach dem Protest der Tochter wieder aus dem Verkehr. Ihre Mutter habe mit allem abrechnen wollen, auch mit ihren Kindern, erzählt die Tochter.

Die Zeitungsanzeigen lauteten ungefähr so: „Pfundige Dame mit üppiger Oberweite …“ Die Resonanz war enorm. Die Freier kamen zu ihr nach Hause. Die Kinder warteten in der Küche oder wurden zur Oma geschickt. Die Ich-AG Edda wuchs langsam zu einem florierenden Bordellbetrieb.

Edda fühlte sich befreit. Die engen Schranken ihrer Erziehung waren durchbrochen. Es gab viel Sekt und auch viel Geld. Die Kinder bekamen teure Geschenke. Opulent sollte es ein, wie bei großen Herrschaften. Nebenbei arbeitete Edda als Avon-Beraterin. Damit ließ sich gut erklären, warum so viel Kundschaft bei ihr ein- und ausging.

Eddas Zeit lief ab, spätestens, als das Verbrechen an ihrer Tochter offenbar wurde. Der Richter verurteilte die Mutter wegen gemeinschaftlichen Kindsmissbrauchs zu einer Bewährungsstrafe. Archibald habe Edda, die Unterwürfige, ihrem Märchenprinzen vertrauende, angestiftet, sagte Molly später. Die Ehe wurde beendet, die Kinder kamen ins Heim. Fortan existierte nur noch die Hure Molly Luft.

Die konzentrierte sich auf ihre Rolle als Puffmutti und Bürgerschreck. In den Krawallsendungen der Privatsender war sie eine gefragte Expertin für Zwischenmenschliches. Im Offenen Kanal betrieb sei eine Ratgebersendung, die ihre Zuschauer nach langatmigen Gesprächsphasen mit einem voyeuristischen Bonbon belohnte: Molly beim Auspacken ihrer Brüste.

Später schaffte sie es sogar bis in die grotesken Politperformance-Shows von Christoph Schlingensief. Beim „Großen Kameradschaftsabend“ in der Volksbühne trat sie zusammen mit dem Holocaustleugner Horst Mahler und dem Popliteraten Benjamin von Stuckrad- Barre auf.

Molly ließ sich für Auftritte jeder Art buchen, sang, wenn gewünscht, ihren einzigen Hit: „Im Puff bei Molly Luft“, stellte in Videoclips ihren Körper zur Schau, war glücklich, wenn die Zuschauer ihren Spaß hatten, schrieb leidenschaftlich gerne Autogrammkarten. An die Stelle der Schüchternheit, die sie als Edda geplagt hatte, setzte Molly den totalen Exhibitionismus. Sie genoss es, bekannt und gefragt zu sein.

90 000 Männer habe sie sexuell befriedigt, erzählte Molly. Sie setzte auf Massenkonsum und erfand den Aldi-Sex mit Festpreisen ab 15 Euro. Mit der Bonus-Card gab es nach zehnmal Sex das elfte Mal gratis. Inklusive Geld-zurück-Garantie bei akuten Erektionsstörungen.

Kaviar und Pralinen zum Frühstück, neue Klunker kaufen, mal mit dem Hund raus – das waren die Hobbys von Molly. Wenn nach dem Schlemmen und Shoppen noch Geld übrig blieb, spendete sie fürs Tierheim und andere Wohltätigkeiten.

Den Krebs in ihrem Leib wollte sie bezwingen. Dafür verzichtete sie sogar vorübergehend auf die Völlerei und ging ins Schwimmbad. Das Bordell sollte sie aufgeben, rieten Kollegen, aber wie kann das gehen, Molly ohne Puff? Erst nachdem sie bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert worden war, akzeptierte sie die Einweisung in ein Pflegeheim.

Dort bekam sie Besuch von Eddas Kindern, aber die blieben auf Distanz. Molly Luft konnten sie nicht umarmen. Es ging einfach nicht. Die Mädchen aus ihrem Bordell kamen nicht. Immerhin schauten ein paar Reporter vorbei, die wissen wollten, wie sich eine „Hure im Ruhestand“ so macht. „Der Puff ist zu, für immer“, erklärte Molly und lächelte über ihre Gebrechen hinweg.

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