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Nachruf: Dirk Kowalski (Geb. 1963)

Die dunklen Wolken sah kaum jemand

Dirk Kowalski hatte so eine Körperhaltung, beide Arme nach vorne ausgestreckt, die Hände leicht erhoben, und dazu trompetete er ein lautes „Ja-ja-ja-ja!“ Sollte heißen: „Jetzt komm ich.“ Übelgenommen hat ihm das keiner. Im Gegenteil, die Leute flogen auf den strahlenden, gutaussehenden Mann. Wenn er auf einer Feier erschien, befand er sich nach wenigen Augenblicken im Gespräch; egal, ob er dort Menschen kannte oder nicht. Dirk umgab immer eine Aura der Mühelosigkeit. Frauen gefiel das, auch Kinder und Jugendliche hörten ihm gerne zu, wenn er zu Silvester die Tafel unterhielt.

Dirk, die verrückte Nudel. Wenn es am Morgen mal knapp wurde, kam er auch mit nasser, zerzauster Mähne zur Besprechung. Äußerlichkeiten waren dann eben nicht wichtig. Während andere Studienkollegen damals dafür viel Geld ausgaben, feierte er seine Promotion in Zahnmedizin mit Currywurst bei Krasselt’s am Steglitzer Damm.

Er war ein Einzelkind, Sohn einer Krankenschwester und eines Diplomingenieurs. Das Studium, Zahnmedizin, an der Freien Universität fiel ihm leicht, er absolvierte es mehr so nebenbei. Zwischendurch war er auch mal eine Zeit lang weg von der Uni, manche sagen, er habe damals mit Software am aufkommenden Computermarkt Geld verdient, die anderen, es seien Immobilien gewesen. Genau weiß das keiner – typisch Dirk. Einige seiner besten Freunde erfuhren erst nach seinem Tod, an wie vielen Unternehmen er beteiligt war. Geldprobleme hatte er sicher nicht.

Dirk, der Netzwerker. Die Zahnmedizin war ihm nie genug. Aus den Vereinigten Staaten kam er mit einem „Certificate of Corporate Finance“ von der kalifornischen Universität Berkeley zurück. Als Mitgründer und Geschäftsführer des Vereins der Freunde und Förderer des Staatsballetts Berlin unterstützte er Tänzer, als geschäftsführender Gesellschafter bei „Seedkontor“ gab er technologischen Unternehmen mit Geld und Beratung Starthilfe, Gründer unterstützte er auch im Auftrag der Investitionsbank Berlin. In der Berliner Start-up-Szene, aus der permanent kleine und große Internetbetriebe erwachsen, war er ein bekannter Mann.

Mit Freunden redete er nicht über Geschäfte. Da waren die einfachen Dingen des Lebens wichtig, so wie früher auf dem Britzer Spielplatz „Spieli“, der bis in die Jugendzeit Treffpunkt blieb. Er fuhr mit seinen Freunden Rad, im Winter holte er sich auf dem Teufelsberg beim Rodeln blaue Flecken und ging dann zu „Jimmy’s Diner“ Burger essen. Auf einem Foto sieht man ihn mit Fahrradhelm neben einem Freund breit in die Kamera grinsen. Im Hintergrund liegen die Räder im Gras, am Horizont die Berge. Dirk sieht glücklich aus wie ein Kind.

Oder er hörte mit Freunden bis tief in die Nacht Schallplatten. Klassische Musik oder zeitgenössische Kompositionen – Dirk hörte sich das alles an und ließ sich davon berühren.

Dirk, der Verzweifelte. Dieses Gesicht hinter der strahlenden Fassade kannte fast niemand. Die Freundin, die er sehr geliebt hat, die Eltern, das war’s. Wenn man hinterher schlauer ist, glaubt man, Zeichen zu erkennen, aber das ist Unsinn, sagt ein Freund. Man sah die dunklen Wolken nicht, aber in Dirks Kopf wurden sie immer größer. Je mehr er umherwirbelte, desto mehr zweifelte er an sich selbst: „Ich schaffe es nicht mehr, die vielen Teller in der Luft zu halten.“ Vielleicht war der letzte Winter einfach zu lang und zu kalt, sagt seine Freundin.

Was der letzte Grund war, weiß wohl niemand. Was bleibt, ist Rat- und Hilflosigkeit. Kurz bevor sich Dirk das Leben nahm, beim letzten gemeinsamen Bier in der Newton Bar am Gendarmenmarkt war er doch gut drauf, wie immer. Constance Frey

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