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Walter Bathe (1940-2019)

© privat

Nachruf auf Walter Bathe (Geb. 1940): Wenn das Feld ruft, ruft das Feld

Viele Bauern gibt es nicht in Berlin. Er war einer von ihnen. Ohne viel zu grübeln, packte er die Dinge an - bis es nicht mehr weiter ging.

Am Ende hatte er alles verloren. Seinen Hof, seine Felder, sein Lebenswerk. Alles, was ihn ausmachte, so sah er es. Dabei hatte er noch so viel, eine ihn liebende Frau, zwei größer werdende Kinder, ein neues Zuhause mit einem wunderschönen Blick auf den See. Doch die Niederlage war zu groß, der Verlust nicht zu verkraften.

Walter Bathe aus Gatow in Spandau war einer der ganz wenigen Bauern von Berlin. 120 gepachtete Hektar Gemüseanbau, Jahrzehnte des Arbeitens, früh um vier Uhr auf dem Feld, nachts die Beregnungsanlage checken. Bauer Bathe gehörte aufs Feld, mit seinen Holzschuhen, mit seinem Hut, mit seiner Hand und mit seiner Nase in der Erde.

Gemüse ist was anderes als Getreide. Beim Getreide muss man nur zweimal aufs Feld, zum Säen und zum Ernten. Gemüse will mehr: Pflege und Liebe und Schutz. Vor allem muss man den richtigen Zeitpunkt für die Ernte abpassen. Noch diesen Regen? Oder ist das schon der eine zu viel und verdirbt alles? Wenn dann doch noch der Hagel zuschlägt, kann die ganze Ernte vernichtet sein. Bekannt war Bauer Bathe für seine Gatower Kugeln, deren Samen er sich aus Japan bestellte, zart und würzig wie eine Mischung aus Radieschen und Rettich. Bekannt war er auch für seine damals ungewöhnliche Idee des Selberpflückens: Die Leute durften gegen eine Gebühr auf sein Feld und mitnehmen, was sie tragen konnten.

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Man mochte ihn für seine Art, Dinge einfach anzupacken, ohne lange nachzugrübeln. Einmal spannte er den Anhänger hinter seinen Traktor, machte ein Schild dran „Wir fahren zur Loveparade. Wer will, kann mit“, und ab ging’s in die Stadt. Oder als er gerade erst in West-Berlin angekommen war, Anfang der 60er Jahre war das. Wie sollte der Junge aus dem Osten seinen Lebensunterhalt verdienen? Er nahm seine zwei Pferde, kaufte sich einen Schlitten dazu und kutschierte die Reichen und ihre Kinder durch den Grunewald. Dann hatte er genügend Geld zusammen, um sich sein erstes Land zu pachten, an der Gruberzeile, auch in Spandau. Da stellte er seinen Wohnwagen rauf, baute Kräuter an, die er früh morgens, wenn alle anderen noch schliefen, auf dem Gemüsegroßmarkt in der Beusselstraße verkaufte.

Aufgewachsen war er in der Nähe von Havelberg in Sachsen-Anhalt. Sein Vater war auch ein Bauer mit einer großen Liebe zu Pferden. Zwei hatte er Walter geschenkt, Mausi und Nelli. Einmal wollte eine der beiden nicht so wie Walter, da hat er ihr eine mit der Gerte verpasst. Sein Vater sah das, nahm sich den Jungen zur Brust und machte ihm klar, dass es mit Gewalt und Angst nicht geht. Ein Ereignis, das sich in Walter einbrannte. Nie wieder hat er ein Lebewesen geschlagen.

Auch wenn er in der Schule saß, hörte er die Holzschuhe seines Vaters schon von Weitem, versuchte sich noch zu verstecken. Doch keine Chance, wenn das Feld ruft, ruft das Feld, und Walter musste mit. Feldpflicht ging vor Schulpflicht. Mit 16 nahm er seine Pferde, einen Koffer und ging über die Grenze nach Hannover in die Landwirtschaftslehre. Die DDR, die Kollektivierung, dass die Bauern ihre Felder abgeben und in die LPG mussten, das hat ihm nicht gefallen. Walter wollte sein eigenes Feld.

Er war ein Charmeur, einer, der den Raum betrat und ihn ausfüllte. Aber ohne Gehabe oder Angeberei, sondern mit einer ehrlichen, aufrichtigen Art, die das Herz wärmte.

Das Erste, was Beate an ihm auffiel, waren seine Hände. Sie waren gar nicht so, wie man sich die Hände eines Bauern vorstellen würde, eher klein und schmal, fast schon Künstlerhände. Dann war er gut angezogen, hatte seine blauen, handgefertigten, italienischen Schuhe an, dann sein jugendliches Gesicht, braun, vom Wetter gezeichnet, dabei frisch und lebendig. Da war er schon über 50 und sie erst Mitte 20. Er aus Berlin, sie aus Hessen, bei einem Fortbildungsinstitut sind sie sich über den Weg gelaufen, Anfang der 90er Jahre war das. Beate machte gerade ihren Meister in der Floristik.

Es war Abend, sie tranken Bier, dann forderte er sie zum Tanzen auf. Tango. Er konnte tanzen, keine Frage, doch er war gleich so dicht an ihr dran. Das ging ihr zu schnell. Sie tauschten noch Telefonnummern aus. Als er sie anrief, hatte sie ihn fast schon vergessen. Dann redete er mit ihr und redete und redete. Langsam verflogen ihre Bedenken, er durfte sie besuchen. An einem Sonntag kam er mit seinem vermoosten Jeep den Hügel hochgefahren. Vergaß die Handbremse zu ziehen und knallte erst mal gegen die Hauswand. „In Berlin jibt’s keene Berge“, erklärte er. Die Pralinen, die er mitgebracht hatte, aß er allein auf.

Sie hatte ihre Freiheit, er seine

Walter war keiner, der große Bedingungen oder Forderungen stellte. Sie konnte ihrs machen, er machte seins. Sie hatte ihre Freiheit, er seine. So funktionierte es. Sie zog zu ihm nach Gatow. Ihr erstes Kind holte er mit dem Traktor aus dem Krankenhaus ab. Schnallte es sich vor die Brust, nahm es überall hin mit, legte es in die Scholle, wenn er ackern musste, setzte es vor sich auf den Traktor. Da, wo Walter war, war sein Sohn und dann, ein paar Jahre später, noch das Mädchen. Große Gedanken über die Zukunft, um Vorsorge machte sich Walter nicht. Lebte von Tag zu Tag, von Idee zu Idee. Was kam, das kam.

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Doch dann kam zu viel auf einmal. Missernten, Fehlkalkulationen, Konkurrenzkämpfe. Kredite, die nicht mehr bedient werden konnten. Es gab ja eine Menge zu bezahlen, Traktoren, Festangestellte, Dutzende Erntehelfer, Wohncontainer. Außerdem war Walter etwas stur, ließ sich nicht reinreden, steckte alles, was er hatte, in den Betrieb, Hauptsache, es ging weiter. Doch schließlich ging es nicht mehr weiter, Insolvenz. Sein Lebenswerk dahin. Die Familie musste den Hof verlassen. Eine größere Niederlage konnte es für ihn nicht geben. 2009 war das.

Ja, es gab Neuanfänge. Noch einmal Gemüse, alles sehr viel kleiner. Das war nicht dasselbe. Sein Antrieb, seine Kraft waren weg.

Um seinen Diabetes kümmerte er sich nicht richtig, dann kam noch der Krebs. Im Hospiz hatte er ein Bett, von dem konnte er Felder und Bäume sehen. Vom September bis zum März blieb er dort. Dann nahm er seinen Abschied, seine Frau, seine Kinder, seine Freunde begleiteten ihn bis zum Ende.

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