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Erdige Farben, Sand, Reliefs: Ein typisches Bild von Volker Sommer.

© Volker Sommer

Nachruf auf Volker Sommer (Geb. 1944): „Du bist nicht Herr Sommer, du bist Herr Recht“

Von seiner Kunst kann er nicht leben. Für die Kunst aber schon. Der Nachruf auf einen, den viele für einsam hielten.

Von Julia Prosinger

Sie sitzen vor dem Atelier unter einem Sonnenschirm, trinken grünen Tee aus feinstem Porzellan, der große deutsche Mann und die kleine chinesische Frau. Um sie herum schneit es. Es stört sie nicht. Und niemand wagt es, sie zu stören.

Manchmal spielt die kleine Frau auf der chinesischen Harfe, bis die Finger bluten, und der große Mann krümmt sich auf einen winzigen Hocker und hört zu. Es kann dann auch regnen.

Seit einem Schlüsselbeinbruch hält Volker Sommer die Schultern gebeugt. Zur Physiotherapie ist er lange nicht gegangen. Auch seine Zähne muss er bald mal machen lassen. Doch vorher müssen die Bilder fertig werden. Yafang Qi, die Frau an der Harfe, versteht das genau.

Der muss einsam gewesen sein, denkt man, wenn jemand erst nach Tagen in seiner Wohnung gefunden wird. Volker Sommer aber, der große Mann, kannte Galeristen und Antikhändler. Freitags besuchte er Monika, seine Ex-Frau. Dienstags telefonierte er gern mit Ute, einer Freundin aus der Wiesbadener Heimat. Und donnerstags fuhr er nach Mitte, zu Yafang.

Farne auf Reispapier

22 Jahre ist es her, dass sie ihm auf dem Winterfeldtmarkt eine blaue Schale verkauft hat und er die richtigen Worte fand. So hatte noch niemand über ihre Arbeit gesprochen. Wie Kinder, die nach und nach verschiedene Räume entdecken, steckten sich die beiden fortan mit ihrer Kunst an.

Yafang Qi unterrichtet Volker Sommer in Kalligraphie und Tuschemalerei. Sie wollen einen zarten Bambushalm zeichnen. Volker Sommer nimmt dafür den größten Pinsel, den er finden kann. Sie wollen einen gigantischen Farn aufs Reispapier bringen. Volker Sommer greift zum winzigsten Pinsel im Raum. „Du bist frech, Herr Sommer“, sagt sie dann.

Du, Herr Sommer. So sagen bald auch die anderen Freunde in der Marienstraße vor ihrem Atelier. Wie er mit Vornamen heißt, erfahren manche erst jetzt, nach seinem Tod.

Ein spezielles Verhältnis zu Bürotätigkeiten

Volker Sommer, geboren 1944 in Wriezen an der Oder, dorthin hatte man die Mutter evakuiert, aufgewachsen in Wiesbaden, ausgebildet an der Universität Hochschule der Künste unter Raimund Girke, kann von seiner Kunst nicht leben. Er unterrichtet in Limburg am Gymnasium und in Mainz an der Kunsthochschule, er arbeitet in einer kurdischen Kita in Neukölln, ein ABM-Job. Er wird dort sogar Leiter, obwohl er ein spezielles Verhältnis zu Bürotätigkeiten hat.

Als er Jahre nach dem Tod seiner Eltern das Haus verkauft, dauert es ein bisschen, bis er einsieht, dass er einen Kaufvertrag unterzeichnen müsste. Reicht denn sein Wort nicht? Manchmal bittet er seinen Vermieter, ihm „etwas von Google“ auszudrucken. Ach, heute ist Wahlsonntag?

Um jemanden anzurufen, lässt er sich gern von der Auskunft verbinden. Mit der Speicherkarte seiner Kamera geht er zu „Kopiefrosch“ auf der Karl-Marx-Straße, um die Fotos ausdrucken zu lassen. Ein Handy will er nicht; der Kapitalismus zerstört schon genug.

In einer kleinen Friedenauer Galerie stellt er seine Werke aus. Vielleicht kommt bald jemand und erkennt ihren Wert? Die Leinwände kosten und die schweren, erdigen Farben erst. Yafang und Herr Sommer werfen ihre Münzen zusammen, teilen ihre Zigaretten. Wenn einer Geld hat, lädt er den anderen zum Japaner ein. „Heute darfst du alles essen, was du willst!“

Ein halber Tag Ehe

Ein paar Jahre lang fährt Volker Sommer jeden Freitag raus nach Lichterfelde. Er hilft seiner Ex-Frau im Garten, während Monika seine Wäsche schleudert. Dann essen sie gemeinsam.

Ein halber Tag Ehe. Sie haben sich vor Jahrzehnten ja auch nur getrennt, weil sie eine Affäre gehabt hatte, und er das nicht vergessen konnte.

„Na, warteste auf mich?“, hat Monika, 16, Volker mit der Pfeife, 19, vor der Berufsschule in Wiesbaden gefragt. „Ja“, sagte er zu der Fremden. Zwei Jahre später die Hochzeit. Die Scheidung feierten sie mit einer Reise nach Venedig. Flitterwochen, umgedreht.

Das chinesische Stäbchenorakel

Ansonsten ist Volker Sommer nicht viel verreist. Und trotzdem kann er aus fernen Welten erzählen, hält Vorträge über den Volksstamm der Bambara aus Mali, über Schamanismus, über die Felsmalereien vor 8000 Jahren in der Sahara.

Er hat das Wissen aus den Büchern, die seine Neuköllner Zweizimmerwohnung ausfüllen. In riesigen Türmen versperren sie den Weg zum Bett, daneben afrikanische Masken, ägyptische Grabbeigaben, Knochen der Inuit. Ein Museum, in dem es nach Pfeife riecht.

Auf Flohmärkten erkennt er schnell, was Wert hat und was nicht. Seine Mutter war die erste deutsche Goldschmiedemeisterin, von ihr hat er den wählerischen Blick. Viele Dinge bringt er von seinen Ausflügen in den Grunewald mit, wohin er aufbricht, wenn sein chinesisches Stäbchenorakel ihm einen guten Tag vorhersagt. Er sammelt Steinpilze und Maronen. Die tauchen später als Formen in seinen Bildern auf. Genau wie Federn, Schlingpflanzen und Sand, den er über die feuchte Farbe bläst, bis Reliefs entstehen.

"Ich sterbe nicht", sagte Volker Sommer immer.
"Ich sterbe nicht", sagte Volker Sommer immer.

© Monika Sommer-Wille

Die Natur war seine Vorlage.
Die Natur war seine Vorlage.

© Volker Sommer

Ein Zeitzeuge der Veränderung.
Ein Zeitzeuge der Veränderung.

© Volker Sommer

Volker Sommer fotografiert natürliche Zerfallsprozesse, Mikroorganismen, rostendes Wellblech, bröckelnde Graffiti. Sein Galerist nennt ihn einen Zeitzeugen der Veränderung. Er wendet Feuersteine aus Brandenburg so lange, bis er Gesichter in ihnen entdeckt, die er mit der Kamera festhält.

Wenn er zu viel redet, von seiner Kunst und davon, was er alles weiß, sagt Yafang: „Du bist nicht Herr Sommer, du bist Herr Recht.“ Dann wird er still. Nur er kann sie trösten, wenn sie an der Welt verzweifelt oder schon wieder nichts verkauft hat, obwohl es um ihn selbst viel schlechter steht.

Bei der Beerdigung seines Vaters taucht der Trauerredner nicht auf. Volker Sommer fordert kein Honorar zurück. Als Monikas Vater stirbt, kauft er ihr ein Puppenhaus, das er sich nicht leisten kann. Als Yafang von den Datteln ihrer Mutter träumt, sucht er die ganze Stadt nach den süßesten dieser Früchte ab.

„Ich sterbe nicht“, sagt Volker Sommer, wenn wieder einmal jemand fordert, er solle ein Testament machen. Für die Nachwelt niederschreiben, was seine Bilder bedeuten. „Jetzt lass doch.“ Er muss noch neue malen. Vielleicht spürt er, dass nicht mehr viel Zeit bleibt.

Auf seinem Grab liegt jetzt eine Dattel.

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