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Vera Kätsch wollte Frauen den Umgang mit dem Computer beibringen, damit sie im Berufsleben zurechtkommen.

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Nachruf auf Vera Kätsch (Geb. 1957): Selbstständig sein, unabhängig

Das Glück sah Vera bei ihrer Mutter in all den Jahren mit den Männern kommen und gehen. Und so entschied sie sich, es woanders zu suchen.

Sie wollten keine hübschen Frauen mehr sein. Ach, die schönen Haare, raunten Männer – also kamen die schönen Haare ab. In einem Frauencamp in Dänemark war das, Anfang der 80er Jahre, zur Zeit der lila Latzhosen. Ihr Leben lang ließ Vera Kätsch ihre Haare nicht mehr lang wachsen.

Sie studierte damals in West-Berlin Erwachsenenbildung und Dokumentationswissenschaften, aber was gab es nicht alles außerhalb des Hörsaals zu bereden. In Wohngemeinschaften und Kneipen, bei Demonstrationen und Aktionstagen. Wie bekommen Frauen endlich die gleichen Chancen wie Männer? Ist Prostitution moralisch verwerflich oder nicht?

Sie diskutierte gern, solange kein bürgerlicher Snob vor ihr saß mit dieser intellektuellen Arroganz. Vera Kätsch stammte aus einer Bergarbeiterfamilie in der Nähe von Aachen. Verdiente schon zu Realschulzeiten eigenes Geld mit Putzjobs, kaufte für die Nachbarn ein. Während des Studiums kellnerte sie in „Lucky’s Pizzeria“ und im „Lavandevil“.

Wie es sich damals gehörte, zog Vera in ihren Zwanzigern ständig um, renovierte, packte Kartons, zog von der einen in die nächste WG. Nicht wegen der Mieten, die waren billig, aber es könnte noch was Aufregenderes kommen. Was blieb, war ihr feministisches Denken. 1990 gründete Vera Kätsch eine eigene Firma: „Durchblick“. Sie wollte Frauen den Umgang mit dem Computer beibringen, damit sie im Berufsleben zurechtkommen. Männer verstehen was von Technik? Bestimmt. Frauen aber doch wohl auch. Wenn es hieß: Och, das interessiert mich nicht, entgegnete Vera: Probier’s erst mal aus, du brauchst viel weniger Tipp-Ex, ist auch leichter als mit der Schreibmaschine. Sie selbst ahnte ja nicht, wie bedeutsam es noch werden sollte, diese grauen Kästen zu kapieren.

Hausbesetzerszene, erste WG, erste große Liebe

Selbstständig sein, unabhängig, darum ging es ihr. Ihre Mutter war mit 17 schwanger, und als sie dann ihre Erfüllung in drei Ehen suchte, waren Vera und ihre Schwester oft bei Oma. Feiern und arbeiten, beides muss sein, sagte die Oma gern; außerdem lehrte sie Vera Disziplin. Das Glück sah Vera bei ihrer Mutter in all den Jahren mit den Männern kommen und gehen; und so entschied sie sich, es woanders zu suchen, nicht unbedingt an der Schulter eines anderen.

Mit 18 zog sie von zu Hause aus, nach Düsseldorf, Hausbesetzerszene, erste WG, erste große Liebe. 1979 ging sie zum Studieren nach Berlin. Allein. Als sie Jahre später ihr Unternehmen gründete, bekam eine enge Freundin ein Kind. Vera sagte: „Mein Baby ist die Firma.“ Dabei blieb es.

Zwischen sieben und halb acht ging Vera Kätsch für gewöhnlich aus dem Haus, zwischen acht und neun Uhr abends kam sie heim. War immer was zu tun, manchmal zu viel, nur nicht am Sonntagmorgen, da las sie und ging nicht ans Telefon. Wer mit ihr befreundet sein wollte, musste sich um ihre Zeit bemühen.

1994 wurde Vera Kätsch eine der ersten Mieterinnen der „WeiberWirtschaft“, das ist Europas größte Frauengenossenschaft und das größte Gründerinnenzentrum in Berlin-Mitte. Später wurde sie in den Vorstand gewählt und in den Aufsichtsrat. In vielen weiteren Gremien saß sie auch, engagierte sich in Frauenprojekten, Netzwerken. Alles ehrenamtlich, neben ihren Schulungen. Sie brachte Frauen bei, wie sie eine Internetseite erstellen, wozu eine Cloud da ist, wie sie sich sicher im Netz bewegen, ohne zum Beispiel gestalkt zu werden.

Der Krebs war ein Problem. Probleme muss man lösen

Wie der perfekte Tag für sie aussah? Frauen hatten in ihren Kursen was gelernt, sämtliche Termine waren abends abgearbeitet, und ihre liebsten Menschen saßen schließlich bei ihr am Tisch, den sie selbst zusammengebaut hatte. Sie mochte gutes Essen und Bier, Hannes Wader und Van Morrison, hatte wohl tausend Krimis zu Hause und 200 Science-Fiction-Bücher. Aufrechte Menschen waren ihr lieb, keine Machenschaften. Sie brauchte eine klare Struktur und immer auch ihre Freiheiten. Im Konflikte-Austragen war sie nicht so gut. Eher sprach sie mit jemandem eine Weile nicht, egal wie wichtig der ihr war.

Die Technik faszinierte sie, natürlich. Bis zur großen Enttäuschung. Sie war immer gesund gewesen, energiegeladen, scheinbar unverwundbar. Dann, sie war noch nicht 60, sagte ihr der Arzt: „Sie haben Krebs.“ – „Ach, was“, entgegnete sie erst mal. In Bergarbeiterfamilien hat doch jeder mal was an der Lunge. Außerdem hatte sie noch so viele Ideen in ihrem Kopf. Dann mal ran. Alles sollten die Ärzte mit ihr machen, Chemo, Bestrahlung. Doch die Metastasen verschwanden nicht. Vera Kätsch war sauer. Das konnte doch nicht sein!

Der Krebs war ein Problem. Probleme muss man lösen. Die Wissenschaft, die Medizin konnte doch nicht kapitulieren vor so einer lange bekannten, ewig erforschten Krankheit! Doch was blieb ihr übrig? Am Ende musste sie sich fügen.

Vera Kätsch zog sich zurück. Dass der Frauentag in Berlin zum gesetzlichen Feiertag gemacht wurde, darüber diskutierten sie und eine Freundin noch. Fanden sie doof. Als könnte man die ganzen Ungerechtigkeiten an einem Tag abhandeln. Für einen letzten Kreta-Besuch blieb keine Zeit mehr.

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