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Tanja Hofmann

© Florian von Ploetz

Nachruf auf Tanja Hofmann: Worum geht es in der Kunst?

Ihre erste Galerie war in Mitte, dann musste sie nach Wedding ausweichen. Denn sie wollte jeden ansprechen, nicht nur die Hochnäsigen und Hochhackigen.

Passanten blieben stehen, tuschelten, Autofahrer fuhren langsamer, kurbelten die Scheiben herunter, staunten über Herbert, der da auf dem Bürgersteig stand, ein gewöhnlicher Stuhl, ja, aber ungewöhnlich groß, zu groß für normale Räume, die Rückenlehne ragte bis zum ersten Stock. „(M)eine Parabel vom Anderssein“ nannte der Künstler Christian Maurer sein Werk, das zwei Tage auf dem Trottoir vor der „Galerie Am Scheunenviertel“ stand, dann drei Wochen in der Galerie selbst ausgestellt wurde, und noch einige Monate mehr für Gesprächsstoff sorgte. Ohs und Ahs, Staunen und Fragen. „Wenn Kunst das vermag, so kann sie viel“, hieß es noch einhellig am selben Abend, als alle in der Galerie beim Essen saßen, denn das war die künstlerische Menüfolge im Jahr 1997, zwölf Mal stellten Künstler Dinge aus, die ihnen lebenswichtig schienen. Und zwölf Mal trafen sich die geladenen und ungeladenen Gäste abends zum gemeinsamen Essen, um zu reden und zu feiern und zu diskutieren, worum es in der Kunst überhaupt geht.

Heute ist in der Galerie ein Bekleidungsgeschäft, das Mobiliar ist ein anderes, das Publikum in der Weinmeisterstraße auch, was Tanja Hoffman nicht weiter gestört hätte, denn sie wollte jeden ansprechen mit ihren Ausstellungen, alle Menschen zusammenbringen, nicht nur die Hochnäsigen und die Hochhackigen. Die konnten ja zu den Vernissagen in die Auguststraße trippeln oder gleich Richtung Ku’damm, aber bei ihr in der Weinmeisterstraße gab es Handfestes, etwa in der Ausstellung „Sieben Torten, wie sie Dr. Oetker nicht entwickeln würde, und etliche weitere aus guter Butter“ am Internationalen Kindertag, welche dann von Jung und Alt, die des Weges kamen, verspeist wurden.

Die „Galerie Am Scheunenviertel“ war schon vor dem Mauerfall eine kommunale Galerie gewesen, und so führte sie Tanja Hofmann auch weiter, als eine Art Kunstkommune, in der sie das Sagen hatte, weil es ihr leicht fiel, andere zum Sprechen, zum Tanzen und zum Kochen zu bringen.

So war sie schon als Kind. Alle sind hinter ihr hergerannt, sie war die Anführerin, da brauchte es keine Abstimmung. Die Mutter war Sozialdemokratin, der Vater Kommunist, und auch sie wusste früh, wo es langgehen sollte mit der Welt im Ganzen, mit der DDR im Besonderen und mit ihr persönlich. Als Journalistin wollte sie arbeiten, und auch wenn sie sich mit ihren Eltern zuweilen heftig stritt, den sozialistischen Weg hielt auch sie für den richtigen, weil es ein gemeinsamer Weg war, und nicht jeder gegen jeden antreten musste.

Wenn die amouröse Gesamtsituation etwas unüberschaubar wurde

Tanja war erschüttert über die Wende, über die Härte des Umbruchs, aber für Sentimentalität hatte sie kein Organ, sie wollte retten, was zu retten war, Erinnerungen wachhalten, mahnen und warnen. Sie lud Robert Cenedella in die Galerie ein, einen Schüler von George Grosz, der die Fratzen der Gier und der tierischen Wut im Krieg aller gegen alle nicht weniger drastisch darstellte als seinerzeit sein Lehrer. Künstler sind Bastarde, so Cinedallas Credo, sie müssen herumstreunen, kläffen, und gelegentlich auch mal ein hochherrschaftliches Hosenbein anpinkeln.

Im Privaten liebte es Tanja Hoffman behaglicher. Ihr Zuhause in Prenzlauer Berg war klein, aber eins der Zimmer hatte einen Erker, das ließ alles ein wenig großzügiger und eleganter erscheinen. Auch was ihre eigene, zierliche Person anging, legte sie großen Wert auf einen ansehnlichen Auftritt. Sie mochte die Männer, gern auch die jungen und die gut aussehenden. Sie wurde viel geliebt, und sie hat viel und leidenschaftlich gern geliebt, und ließ sich da auch nicht reinreden, wenn die amouröse Gesamtsituation zuweilen etwas unüberschaubar wurde.

Am meisten geliebt hat sie ihren Sohn, den sie zwei Mal gebar. Nach einem schweren Snowboardunfall lag er zehn Tage im Koma, Schädelhirntrauma, aber sie führte ihn wieder heraus aus dem Dunkel, sprach Stunde um Stunde mit ihm, brachte ihm Düfte mit, weckte Erinnerungen, war da für ihn, zärtlich nah. Und als er wieder auf eigenen Beinen stehen konnte, setzte sie ihren Liebesdienst einfach fort als „Grüne Dame“ und betreute fortan Patienten, um die sich sonst keine Angehörigen mehr kümmerten.

Was nicht heißen soll, dass sie eine sehr aufopferungsvolle oder gar duldsame Person im sonstigen Leben gewesen wäre. Als die „Galerie Am Scheunenviertel“ umziehen musste in den Wedding, ging ihr das zunächst sehr gegen den Strich. Von 1987 bis 2001 hatte sie in Mitte 183 Ausstellungen gezeigt, und nun hieß es plötzlich behördlicherseits: Miete sparen, Sachen packen. Schöne Räume gab es im Wedding, aber kein Publikum. Tanja bezog die einstige Otto-Nagel-Galerie nahe der U-Bahn-Station Seestraße, am Fenster zur Straße richtete sie ihr Büro ein, das nur durch einen langen Tisch vom Ausstellungsraum getrennt war. Bereichert wurde die Einrichtung durch ein Telefon, das es erst noch anzuschließen galt, was die Verwaltung nach zähem Kleinkrieg schließlich auch gestattete.

Keine Vernissage zur Eröffnung, es wurde gegrillt. „Hier wird sich was verändern“, kündigte sie an und lud Nachbarn und Passanten zum Würstchenessen ein. Es sollten ja, so die bezirkliche Vorgabe, alle Bevölkerungsschichten angesprochen und die Kunstschaffenden aus dem Wedding gefördert werden, sowie die Kunst überhaupt, und das alles ohne Geld auszugeben.

Da stieß dann auch Tanjas Einfallsreichtum über die Jahre hinweg häufig an die Grenzen des Machbaren. Kulturarbeit im kommunalen Sinn heißt nicht selten: Alles auf die lange Bank schieben. Das hat sie dann auch getan und eine Ausstellung daraus gemacht: „Deutsche Bank – das lange Sitzen“. Sie hat 250 Fotofilme an Jedermann ausgeben und dazu die Ansage für das Motiv, irgendjemand auf einer Bank. 220 Filme kamen zurück. Mit ihrem Freund, dem Fotografen Florian von Ploetz, entwickelte Tanja die Streifen und suchte ein Bild pro Film heraus, 161 Aufnahmen wurden in der Ausstellung schließlich gezeigt. Menschen zeigen sich ihren Mitmenschen. Noch näher ran an die Nachbarn ging nicht.

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Aufmerksamkeit gab es dafür, aber nie so viel, wie sie sich gewünscht hätte. Das kränkte sie, denn sie war auf all ihre Ausstellungen stolz. Und sie dokumentierte jede einzelne mit Akribie, über jede Aktion, über jede Maus, die durch die Galerie lief, hat sie Protokoll geführt. Und auch wenn die Eroberung des Wedding nicht ganz so glorreich war, wie sie sich das vorgestellt hatte, ging sie nicht im Groll in Rente.

Eigentlich ging sie gar nicht in Rente, sondern auf Reisen. Ein ganz neues Leben, in dem der Tango den Rhythmus vorgab. Sie schloss sich „Tangosafaris“ an, die in alle Welt führten, wo sie dann die Künstler wiedertraf, die sie einst in den Galerien ausgestellt hatte. So frei sie war, so resolut folgte sie ihren Plänen, denn auch von den großen Tangofestivals ließ sie ungern eins ausfallen. Den Daheimgebliebenen schickte sie eigens vorbereitete Collagekarten mit den lustigsten Geschichten, denn Neid verleiht Flügel, und Freundschaft erst recht. Und da sie überall Freunde hatte auf der Welt, kam sie einfach nicht zur Ruhe.

Vielleicht war es die Todesahnung, die ihr gebot, dass nur das Schönste gut genug ist, oder einfach die Lebensfreude, die jede Speisekarte als Einladung erscheinen ließ, das Beste zu wählen. Ihre Partner, im Leben wie im Tanz, hatten es nie leicht gehabt, Schritt zu halten, zumal sie Reibungen nur in dem ihr genehmen Maß duldete. Abenteuerlust mochte sie sehr an Männern, innerhalb der von ihr gesteckten Grenzen. Verlässlich sollte er sein, Komfort bieten und ihre Neugier teilen, sowie ihre unverwüstliche Jugendlichkeit. Der Tango erhielt ihr den Elan, der Friseur die stets natürliche Haarfarbe. So hätte sie gern noch einige Jahre weiter durch die Welt getanzt, doch dann kam der Krebs, den sie zunächst gut überstand, bis er sich im Gehirn einnistete, dann ging alles sehr schnell.

Sie wollte ein Baumbegräbnis, noch einmal ihren Sohn im Arm halten, und ansonsten war sie mit sich im Reinen. „Die Ärzte werden sich wundern“, scherzte sie, „ich werd’ hier nicht noch ewig rumliegen.“ Denn für sie war die Sache längst entschieden: Entweder du lebst, oder du lässt es bleiben.

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