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Sven Ulrich (1964-2017)

© privat

Nachruf auf Sven Ulrich (Geb. 1964): Planlos in Tegel

Er war Musiker und kein Buchhalter. Deshalb hatte seine „Hafenbar“ nicht immer offen, wenn es die Öffnungszeiten verhießen. „Svenje vom Trockendock“ führte den Laden wie sein Leben: ohne Plan, aber mit viel Liebe

Von David Ensikat

Für die Tegeler muss die Tegeldebatte komisch klingen: Tegel soll offen bleiben. Als ob Tegel schließen würde, wenn sie den lächerlichen Flughafen dichtmachen. Viel wichtiger ist die Sache mit der Hafenbar. Die ist, seit Sven tot ist, nämlich zu, und für jene Tegeler, die sich mehr für Musik als für Flugzeuge interessieren, ist das eine wirklich schlimme Sache. Um aus Tegel rauszukommen, braucht man nämlich kein Flugzeug; da reicht die U6. Um am Wochenende in Tegel zu bleiben, brauchte man aber die Hafenbar. Wo sonst, als zu Sven, sollte man denn abends hingehen?

Dabei hat Sven gar nicht sonderlich viel Zeit seines nicht sonderlich langen Lebens in der Hafenbar zugebracht. Was zum einen an dieser ignoranten Welt lag, die den geborenen Hafenbarmann erst vor vier Jahren in die Hafenbar beorderte, und zum anderen an Sven selbst, der viel zu entspannt durch sein Leben lief, um frühzeitig und tatkräftig nach seiner Bestimmung zu suchen.

Womit genau Sven sein Leben zubrachte, bis er in seinem Hafen landete, lässt sich schwer rekonstruieren, denn es war ein unstetes Leben. Über die frühe, brave Zeit kann sein Bruder Auskunft geben. Sie gingen auf die katholische Salvator-Schule im hohen Norden von Berlin, wo noch Nonnen unterrichteten. Mittwochs war Gottesdienst, und dem Herrnjesusamkreuz, dem sie mit Tennisbällen die Arme abgeschossen hatten, haben sie die Arme wieder rangeklebt. Alles halb so wild. Auch die Musik, anfangs. Sven spielte Schlagzeug, und wenn sie mit vielen Freunden zu Hause übten, kam die Mutter aus der Backstube des Onkels mit einem Blech Kuchen rüber. Das war die Backstube, die Sven mal übernehmen sollte. Erstaunlich genug, dass er die Ausbildung zu Ende brachte. Dass er den Laden führen und jeden Tag ab zwei am Morgen am Ofen stehen würde, war eine fromme Illusion.

Sven lebte ein nicht ganz untypisches Berliner Leben, verantwortungsscheu und eher den angenehmen als den anstrengenden Dingen verpflichtet. Er trommelte in verschiedenen Bands, etwa bei den „ClitCops“, harte Musik, versaute Texte, da lag viel Spaß und wenig Geld drin. Das bisschen Geld, das er benötigte, verdiente er zumeist als Koch. Eine Zeit lang versuchte er sich in der Malerei, wobei sein Ehrgeiz nicht so sehr im Bildnerischen lag. Der Bruder formuliert es in einem Text über Sven so: „Er konnte sehr gut malen und zeichnen und hat sich dort vorwiegend dem Studium der Frauen gewidmet.“

Ein Mensch, der das Leben liebte, weil er es nahm, wie es kam, und weil es sowieso immer anders kommt als geplant, vermied er es zu planen. Wenn er sich für den nächsten Tag, sagen wir: um acht verabredete, dann meinte er das so verbindlich und ernst, wie das nur irgend geht. Nur traf er am nächsten Tag kurz vor acht halt einen anderen lieben Menschen, den er doch nicht stehen lassen konnte. Was jeden, der Verabredungen mit Sven machte, mal auf die Palme brachte – und alle wieder runter, denn jeder war mal jener, dem Sven um kurz vor acht begegnete.

Schließlich die Hafenbar. Der Chef der Tegeler Seeterassen suchte jemanden, der den Laden im Souterrain, der so lange brachgelegen hatte, leiten würde. Er dachte: Sven ist Musiker, der kennt Gott und die Welt, der könnte da Leben reinbringen. Dass Sven kein Geschäftsmann war, „dass der“, so sagt es der Chef, „nichts zu tun hatte mit einer Welt, in der es Finanzämter und Krankenkassen gibt, war eigentlich egal“. Er stellte ihn ja nicht als Buchhalter an. Als Mann, der Bands buchte und Bier zapfte, der die ganzen Leute, die ihn mochten, herlockte und ihnen das Gefühl gab, dass das hier trotz der merkwürdigen Holzvertäfelung Heimat war, konnte es, glaubt man diesen Leuten, keinen besseren geben. Mag schon sein, dass das alles noch ein bisschen besser hätte laufen können, wenn Sven immer zu den Öffnungszeiten aufgemacht und wenn er die Konzerte ein bisschen langfristiger angekündigt hätte. Mag sein, dass er ein paar zu viele Runden ausgegeben hat. Aber ohne ihn wäre hier Totentanz gewesen.

Auf der kleinen Bühne, wo freitags die Bands spielten, stand hinten sein Schlagzeug, und wenn ihm danach war, setzte sich der Barmann ran und trommelte ein Zehnminutensolo. Da mussten seine Gäste durch, was so hart nicht war, denn er war ein guter Trommler, und die Atmosphäre so familiär, dass eigentlich nur seine Mutter mit dem Kuchenblech noch fehlte. Er nannte sich jetzt „Svenje vom Trockendock“, war ansonsten aber ganz der Alte: planlos, langhaarig, verquatscht und außerhalb der Bar nur schwer erreichbar. Die Klingel seines Uralt-Handys war kaputt, das sagte er zumindest. Doch tagsüber hatte man gute Chancen, ihn irgendwo zu treffen, wenn er mit seinem Rad durch Tegel fuhr. Sein soziales Netzwerk war komplett analog, von Facebook und dem ganzen Smartphonezirkus hielt er nichts.

Seinen letzten Monat, als der Krebs schon überall in ihm steckte und er nicht mehr laufen konnte, nutzte Sven dazu, die Terrasse des Lazarus-Hospiz’ zur Hafenbar zu machen. Es war kaum möglich, ihn dort allein zu treffen. Immer war wer da, es wurde gequatscht und geraucht, und der Seelsorger, der herausbekommen sollte, welche Musik Sven sich zu seiner Beerdigung wünschte, kam nicht dazu, ihn das zu fragen. Wozu auch? Sven war kein Mann der Pläne. Er lebte jetzt, und so war’s gut.

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