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Rasmus Boatus bei der Arbeit.

© Privat

Nachruf auf Rasmus Boatus (Geb. 1947): Auf Schwert, Bewegung und auf die Sorte des Apfels kommt es an

Er hatte die Welt bereist und wurde Tankwart in der Kantstraße. Aber das konnte ja nicht alles sein. So wurde aus Lothar Krüger der Zauberer Rasmus Boatus – ein echter Magier.

Der Übergang vom Tankwart Lothar Krüger zum Illusionisten Rasmus Boatus gestaltete sich fließend, aber sehr langsam fließend. Krüger, ein hochgewachsener Mann, langweilte sich des Nachts an der Tankstelle Kantgarage. Einer wie er, der die Welt bereist hatte, der Giftschlangen in Kenia fing, Safaris in Tansania leitete, als Fischer in Portugal, Kuhhirte in Israel, Barkeeper in Holland und Stuntman in Spanien gearbeitet hatte, als „Schmierer“ im Maschinenraum großer Schiffe übers Meer gefahren war, konnte nicht zufrieden sein. Berlin musste ihm, dem global aktiven Kölner, doch mehr bieten können als Benzin und Diesel.

Da begab es sich eines Tages in den Siebzigern, dass er einen Menschen traf, der in seiner Hand eine leuchtende Glühbirne hielt. Kleine Akkus waren noch unüblich, deshalb musste Lothar Krüger davon ausgehen, einem Zauberer gegenüberzustehen. Das Zaubern hatte er unter den vielen Berufen, die es so gibt, noch nicht ausprobiert. Lothar wollte das mit der Glühbirne auch können, er besuchte ein Zaubergeschäft und vertiefte sich in die Zauberfachliteratur.

Das Zapfen lief noch viele Jahre parallel, bis das Zaubern genug Geld abwarf, um das Kraftstoffwesen endlich hinter sich zu lassen. Schon lange nannte er sich nicht nur Krüger, sondern auch Boatus, wegen der Boas, mit denen er zu Anfang auftrat. Zum lateinischen Klang passte der Vorname Rasmus.

Rasmus Boatus zauberte sich durch die klassischen Genres: Jungfrau waagerecht schweben lassen, Hasen aus dem Hut ziehen, Rasierklingen verspeisen, Taschenspielertricks und Hütchen-Magie. Er zerschlug auch mehrfach mit einem langen Samuraischwert und verbundenen Augen einen Apfel, der auf dem Kehlkopf seiner liegenden Partnerin lag, die nebenbei auch seine Gattin war. Wichtig zu wissen: Es kommt auf die Schärfe des Schwerts, die Genauigkeit der Bewegung, aber auch auf die Sorte des Apfels an.

Boatus trug meistens einen schwarzen Frack, verkleidete sich aber auch gerne als Tartare, Chinese, Schotte, Grieche, Lappe, Pickelhaubenpreuße oder Pokercowboy, immer passend zum Thema des Abends. Auch den Weihnachtsmann gab er, mit weiß gefärbtem Bart.

Seine Frackjacke wechselte er später von schwarz zu rot, damit die Kinder, vor denen er manchmal auftrat, nach der Vorstellung nicht vom schwarzen Mann träumten.

Förderlich für die Karriere war der Haarausfall. Boatus entschied sich für eine Vollglatze, was bei seinem gleichmäßig gerundeten Schädel sehr harmonisch aussah. Gleichzeitig wuchs sein rötlicher Schnauzer an beiden Enden weit über das übliche Maß hinaus, ergoss sich in breiten Haarströmen über Mundwinkel und Kinn bis weit über die Brust und kräuselte sich dabei mehrfach. Hinderlich nur beim Suppelöffeln. Dann steckte er sich die Bartlocken hinter die Ohren. 1987 wurde Boatus zu „Deutschlands schönster Glatze“ gekürt. 1988 erschien im Stadtmagazin „Zitty“ das erste große Porträt über ihn, Titel: „Ich kann einfach alles“. Das war wahrscheinlich der Höhepunkt seiner Karriere.

Die Fotos, Programmflyer und Zeitungsnotizen füllen Aktenordner. Rasmus Boatus war ein viel gebuchter Entertainer, dem es egal war, ob er vor 2000 Medizinern im ICC oder 20 Kindern einer benachbarten Kita eine Show gab. Im Bus, auf dem Dampfer, im Zug, im Garten – Zaubern geht überall. Er machte auch mit beim zweifelhaften Bahn-Event „Ein Tag im Orient-Express“. Zusammen mit anderen Darstellern war Boatus für den Orient zuständig, mit funkelndem Gewand, Säbel und strengem Blick. Der Express hielt dafür an einem Bahnhof irgendwo in Süddeutschland, dort war die Orientkulisse aufgebaut.

Eigentlich war die Zauberei die Fortsetzung des Abenteuers mit anderen Mitteln. Mit ihr konnte der Herumtreiber sesshaft werden und heiraten, nur vor der Idee, eine Familie zu gründen, schreckte er zurück. Mit 18 war er losgezogen in die Welt, mit Schlafsack und Ersatzjeans, und immer, wenn die Neugier nachließ, hatte er den Ort gewechselt. Clown hatte er werden wollen, als Kind, dann lernte er Treppenbauer, und als er fertig war damit, nahm er Reißaus.

Wettbewerbe und Meisterschaften ließ er grundsätzlich aus. Er brauchte keine Urkunden und Preise, um sich wohlzufühlen. Lieber waren ihm ein Auto, eine Schachtel Zigaretten und gutes Essen. Es war ja sehr anstrengend, so einen Abend durchzuzaubern, dem Publikum immer ein paar Züge voraus, wie beim Schach. Boatus ließ sich mit verbundenen Augen Gegenstände vorführen und erriet dann, um was es sich handelte. Die „dermo-optische Wahrnehmung“, das Sehen mit der Haut, erforderte den ganzen Mann.

Echt oder unecht - auf jeden Fall aus dem Hut gezaubert!
Echt oder unecht - auf jeden Fall aus dem Hut gezaubert!

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So nimmt es nicht Wunder, dass die Zauberei an ihre Grenzen stieß. Die Finger wollten nicht mehr so schnell sein, wie es die Tricks erforderten. Boatus wurde auf der Bühne die Luft knapp, dann fiel er um, kam ins Krankenhaus. Herzinfarkt. Die ärztliche Kunst vermochte nicht zu zaubern. Boatus trat kürzer, machte keine Großillusionen mehr mit Jungfrau und Schwert, aber auch die kleinen Zaubereien fielen immer schwerer.

Und wenn schon. Wie heißt das Motto aller Auftrittskünstler? „Mucke geht vor Katastrophe.“ Auf der Bühne zählen nur Äußerlichkeiten. Nach drinnen wollte Boatus sowieso nicht schauen. Dort wucherten längst die Krebszellen.

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