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Peter Meseck (1954-2019)

© privat

Nachruf auf Peter Meseck (Geb. 1954): Mit Kreuzberger Antikunst nach Kanada

Inmitten der Lautsprecher und Selbstdarsteller war er eher leise und unaufdringlich. Still machte er seine Kunst

Klaus Theuerkauf, der Kreuzberger Kunstaktionist, wollte eine Trauerrede auf seinen Freund und Mitstreiter halten. Er hat’s nicht geschafft, zu überwältigt, zu traurig. So sollte sie beginnen: „Peter Meseck war ein zarter, gut aussehender, ruhiger und unaufgeregter Zeitgenosse. Die Brotarbeit hatte er ebenso wenig erfunden wie Genauigkeit darin. Sein oberstes Prinzip sei die Faulheit, sagte er einmal, da der Mensch aus eben dieser Faulheit und Bequemlichkeit ja auch fast alle Innovationen hervorbringe. Er war als Maler, Poet, Musiker, Skulpteur unterwegs.“

In der Künstlergruppe „endart“ reagierte er gemeinsam mit Klaus Theuerkauf, Gerd Lüer und anderen seit 1980 auf den Kunstmarkt, die Neuen Wilden und auf das Schweinesystem insgesamt. Vieles blieb kollektiv unsigniert, die Plakat- und T-Shirtkunst legendär: der Berliner Bär, der sich die Kugel gibt anlässlich der 750-Jahr-Feier. Vorm 1. Mai die beiden sich küssenden Bullen im Wald. Der Gladbeck-Geiselgangster Rössner mit dem Spruch: „Tot sein ist besser als wie ohne Geld!“

Inmitten der Lautsprecher und Selbstdarsteller war Peter eher leise und unaufdringlich, nie wütend oder aggressiv. Still machte er seine Kunst, still hat er sich verabschiedet. Mehr als 30 Jahre lang hatte er MS, konnte seit einiger Zeit ohne Hilfe seine Kreuzberger Wohnung nicht mehr verlassen und war am Ende fast blind und bettlägerig. Aber Jammern war ihm fremd. War doch schön jewesen! Auch wenn da, wo die „endart“ über Jahrzehnte ihre Aktionsräume für die Verkannten und Unangepassten unterhielt, längst ein Coiffeur akkurate Bärte stutzt.

Er pfeift auf den Abschluss

Angefangen hat die Reise in die Kunst und Bohème da, wo heute das Märkische Viertel steht, damals Kleingärten, Provisorien, Freiflächen. Vater ist Maurer, Mutter Hausfrau, drei Schwestern. Die Ruinen der Stadt sind allemal interessanter als die Schule. Da erlebt er Alt-Nazis und pechschwarze Pädagogik ebenso wie reformerische Experimente. Peter organisiert Streiks und pfeift auf den Abschluss. In Erinnerung bleibt ihm ein Konzert mit Jimi Hendrix auf Trip im Sportpalast. Kiffen findet er auch ganz schön, aber kommt bei den Altvorderen nicht so gut an. Stress überall.

Peter muss erst mal raus hier, West-Berlin ist ihm zu eng. Er macht Station in einem buddhistischen Kloster in Amsterdam, lernt vegetarisch kochen und trifft jede Menge Enttäuschte und Versprengte seinesgleichen. Zurück in Berlin gibt es für einen mit seiner proletarischen Herkunft so etwas wie Punkpflicht.

Bei der „endart“ treffen Kunstinteressierte auf Penner und Punks, Anarchisten und Alkoholiker. Funny van Dannen, Thomas Kapielski und andere beginnen hier ihre Karrieren, Harry Hass hat sein Literaturmagazin „Zyankali“ dabei. Mit so viel Ambition und Selbstmarketing hat es Peter aber nie. Es geht ihm um den Ort und um den Zusammenhalt. Allein die Eröffnung der Ladenräume in der Oranienstraße 36 an einem Freitag, dem 13.: Reagans Außenminister Alexander Haig ist in der Stadt, die Proteste mit den „Amis raus“-Rufen münden in Straßenkämpfe rund um den Winterfeldplatz. Hinterher geht’s heim nach Kreuzberg. Die Hälfte der Truppe steckt erst mal im vorübergehenden Polizeigewahrsam, und so trudelt gegen Abend ganz allmählich die „endart“-Besetzung im Hauptquartier ein. Wie auch Gerd Lüer sitzt Peter schließlich in einem Kaiser’s-Einkaufswagen, den Kopf mit Klopapier umwickelt und kommentiert die ausgestellten Objekte: Alles viel zu modern hier! Entartet!

Auf einer Kunstmesse in Köln platzieren die Aktivisten stinkenden Käse unbemerkt in den Luxustäschchen der Sammler. Einmal treibt es die Antikunst und ihn und Klaus Theuerkauf dank Goethe-Institut in die weite Welt (per Würfelwurf wurde entschieden, wer nach Kanada darf). Aus Zeug, das sie auf den Straßen von Winnipeg finden, basteln sie Objekte zum Thema Rassismus, sie provozieren, wie man es von ihnen erwartet, und fahren erschöpft zurück.

1988 gibt eine Traueranzeige im Tagesspiegel bekannt, „endart“ sei „friedlich entschlafen“. Aber was heißt das schon, der Kampf muss doch fortgesetzt werden, wenn auch mit neuen Vorzeichen. „endart“ geht in Galerien und Museen, macht Bücher und Ausstellungen. Peter macht nicht mehr mit und lebt von wenig, Gelegenheitsjobs beim Messebau, als Soldatenkomparse beim Film, auch Renovierungen bringen Geld, das er nur braucht, aber nicht will. Als Antimaterialist verschenkt er viel und verliert bei seinen zahlreichen Umzügen den Rest. Ein Vagabund, ein Unbehauster, dessen Kunstwerke nicht viel Platz beanspruchen: Aus bunten Kaugummis formt er mit Lupe Figurenensembles, etwa die „Kampfpause in Bosnien“: Soldaten ohne Helm, die sich an Ziege und Kuh vergehen. Oder „Out of the blue“: Hitler mit Miniraumschiff und Deutschlandfahne im All. Oder eine Collage mit Angela Merkel und Kontaktanzeigenzitaten aus einem Pornomagazin: „Tabulose Reformspiele mit Ausländern, nicht Asylanten!“ Alles Quatsch? Wohl eher eine Zustandsbeschreibung einer Welt aus den Fugen, jedenfalls für Peter. Seine zunehmende Sehschwäche kompensiert er mit Großformaten und mit audiovisuellen Aktionen zusammen mit Frank-Kirk Ehm-Marks, einem Underground-Künstler, harte Texte und Schrebbel-Musik klassisch auf Kassette, Titel: „Autoheroin“. Große Aufmerksamkeit erregen sie damit nicht.

Gumart (Kaugummikunst) aus dem Jahr 2002: "Kampfpause in Bosnien"
Gumart (Kaugummikunst) aus dem Jahr 2002: "Kampfpause in Bosnien"

© privat

Mit seiner letzten Lebensgefährtin geht es ab 2007 in eine schöne, leidenschaftliche, dann bittere Lebensphase. Sie ist 20 Jahre jünger, liebt diesen Menschen, der alles, was ihn selbst zum Schweben bringt, gern weitergibt. Jeder Tag zählt. Gemeinsam schreiben sie Anagramme, malen und produzieren. Sie liest ihm Bücher vor. Kunst ist Alltag. Eine große intensive Liebe.

Bis Peters Körper Endsignale sendet und sie sich um einen Pflegedienst kümmern muss. Bald empfindet er das gelieferte Essen, eine der wenigen Abwechslungen seiner Tage im Bett, als Zumutung. Der gemeinsame Sohn kennt nur einen kranken Vater. Immerhin einen, der mit ihm malen kann, zeichnen und basteln quer durch alle Techniken und Stile. Der viel Zeit hat und hofft, dass es weitergeht, irgendwie, wie auch immer.

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