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Ove Stephansson

© privat

Nachruf auf Ove Stephansson: "Wir nannten ihn Banane"

Als sie sich kennenlernten, war er 58 und sie 37. Er war Großvater - sollte er nochmal Vater werden? Nachruf auf einen freundlichen Professor aus Schweden.

Einmal musste er schon auf die Intensivstation. Sie versetzten ihn ins künstliche Koma, und alles nur, weil er eine leichte Grippe verschleppt hatte. Weil er dachte, dass er es mit Paracetamol schon hinkriegen würde. Es piepste, es summte, all die Geräte, die seinen Körper überwachten, und all die Schläuche, die die Flüssigkeiten in seinen Körper hinein- und wieder hinausleiteten. Heftig und unheimlich nah am Tod war das, erinnert sich seine Frau. Eine Schwester sagte hinterher, dass sie nicht geglaubt hatte, dass Ove Stephansson es schaffen würde. immerhin war er da schon 79 Jahre alt.

Aber er hatte ja Verantwortung, hatte eine Frau und zwei Kinder, beide noch Teenager. Als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, lud er das 20-köpfige Intensivteam zu sich nach Hause ein. Er hatte Fisch und Köttbullar gemacht, es sollte ein wirklich festlicher Abend werden. Und von der Krankenschwester bis zum Oberarzt, alle kamen und setzten sich an den großen Holztisch in der schönen Altbauwohnung am Bayerischen Platz. Es ging bis um vier Uhr am Morgen, und zum Schluss holte Ove seinen Selbstgebrannten raus, um auf das Leben anzustoßen. Auf das Leben eines freundlichen Professors aus Schweden, der jeden duzte.

All die Jahre schien die Zeit an ihm vorbeigezogen zu sein. Mit den Kindern spielte er Fußball, ging Schlittschuh laufen, fuhr mit ihnen Ski. Er wusste, wann seine Tochter ihre Tests schrieb und was in seinem Sohn so vor sich ging. Seiner Frau brachte er am Morgen Tee und Schnittchen ans Bett. Er arbeitete an seinen Manuskripten, leitete weiter seine Forschungsfirma, nahm weiterhin Doktorarbeiten entgegen. Nie müde, nie unkonzentriert, immer da.

Doch nun hatte die Zeit auch ihn ereilt. Jetzt schmerzten die Knie, der Kopf, die Schultern beugten sich nach vorn. „Wir nannten ihn dann Banane und stupsten ihn an, damit er sich wieder aufrichtete“, sagt seine Tochter. Und sein Sohn: „Er war ein alter Vater, aber das fand ich gut. Ich konnte seine Weisheiten annehmen und auf seine Ratschläge hören. Weil er eben nicht alles besser wissen musste.“

Sie waren nicht reich

Ove, der wie Uwe ausgesprochen wird, kommt in Falun in Schweden auf die Welt. Das ist da, wo in den Bergwerken das Kupfer abgebaut wird, aus dem sie die rote Farbe machen für ihre Holzhäuser. Sein Vater arbeitete als Landschaftsarchitekt. Seine Mutter hatte ein eigenes Geschäft und verkaufte Blumen. Um die Feiertage rum mussten alle mithelfen: Vater, die ältere Schwester, der ältere Bruder und Ove banden dann von morgens bis abends die Blumen zusammen. Oft lag auf dem Küchentisch die Einkaufsliste, ein paar Kronen, das Kochrezept und die Uhrzeit, wann das Abendessen bitte fertig sein sollte. Die beiden Brüder wetteiferten darum, wer das bessere Mahl zustande brachte. Sie waren nicht reich, zogen fünfmal um, doch die Familie hielt zusammen. Der Vater starb mit 59 an einem Riss der Aorta, ein paar Jahre darauf starb die Mutter.

Ove interessierte sich für Steine und Felsformationen und begann ein Geologie-Studium. Nebenbei schuftete er in den Semesterferien beim Straßenbau, goss heißen Teer auf die Straßen. Dann die Jobs an der Uni, als Hilfskraft, als wissenschaftlicher Mitarbeiter, als Doktorand. Mit 39 wurde er der jüngste Professor Schwedens und baute ein Geo-Forschungslabor in Luleå auf. Sein Hauptforschungsgebiet: Wo und wie kann Schweden seinen Atommüll lagern.

Es war ein Samstagabend, er machte sich schick, duschte, zog was Sauberes an, zog seine Haare mit Kamm und Wasser ordentlich, ging aus zum Tanz mit Live-Kapelle. Und lernte Görel kennen. Sie tanzten, sie verliebten sich, heirateten, bekamen eins, zwei, drei Kinder. Alles Jungs und alle, während sie selber noch studierten. Während Ove am Küchentisch saß, über Bücher und Schreibmaschine gebeugt, schlief das jeweilige Baby in der Plastikbadewanne neben ihm. Weinte es, nahm er es hoch, kümmerte sich, bis er weiter lernen konnte.

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Doch das Glück währte nicht ewig. So toll dieser Ove war, er arbeitete sehr viel. Und Görel wollte unabhängig von ihm sein, wollte ihr Leben neu anfangen. Ove blieb zurück, am Boden zerstört. Es waren die vielleicht schlimmsten Monate in seinem Leben. Da half auch nicht die Männergruppe, lauter Professoren, denen die Frauen abhandengekommen waren. Er stürzte sich umso mehr in die Arbeit. Irgendwann fragte seine Frau ihn, ob sie es nicht doch noch einmal probieren sollten. Doch so war Ove nicht. Niemals zurück, kein Buch zweimal lesen, immer nur vorwärts. Seine Jungs wurden groß, einer wurde Arzt, einer Landwirt, einer Ingenieur. Sie bekamen Kinder, und Ove war Großvater.

Es war der Abend des ersten Januar 1997. Almut, 37 Jahre alt, auf Dienstreise in Lamu, Kenia, saß allein auf der Dachterrasse des Hotels. Die Sonne ging schnell unter, es war eine malerische Stimmung. Sie dachte über ihr Leben nach, da trat dieser ältere Herr zu ihr, in der Hand eine Flasche Wein: „Do you have an opener?“ Sie kamen ins Reden, er besuche hier seinen Sohn und die Enkelkinder. Das Gespräch war so leicht und schön, und dann, es war spät geworden, fragte er, ob er sie küssen darf. Das war so selbstbewusst und so charmant. Er durfte.

Sollte sie ihn anrufen? Er ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. „Bist du es, Almut?“, fragte Ove am anderen Ende. Sie hörte Gerede, hörte Stühle rücken und dann Stille. „Almut“, sagte er, „ich habe gerade alle aus dem Meeting geworfen. Wie schön, dass du anrufst, ich habe dich nirgendwo erreichen können. Wann treffen wir uns?“

In Kopenhagen trafen sie sich, in Wien, dann besuchte er sie in Berlin. Er brachte einen Grill mit und frischen Fisch, Liebe geht auch durch den Magen, und kochen konnte er wunderbar. Langsam wurde es ernst, doch einen Test brauchten sie noch: sechs Monate Probewohnen in der Bergmannstraße. Und dann war da noch ihr Kinderwunsch. Ove überlegte: Sollte der Großvater noch einmal Vater werden? Konnte er das verantworten?

Er schaute Almut an, er schaute in sich hinein und sagte Ja. Almut wurde schwanger, doch es sollte nicht klappen. Da brachte er ihr eine Kerze mit, die zündeten sie an und trauerten. Dann doch: ein Sohn und ein paar Jahre später eine Tochter. Am Wochenende fuhren sie in den Oderbruch, dort hatte er ein Stück Land, auf dem er Wein anbaute. Selbst die grummeligsten Brandenburger aus der Nachbarschaft bezirzte er, bei ihm fühlte sich jeder angenommen, auch wenn er sich gerne über die Deutschen amüsierte. „Wir Schweden haben die Sauna erfunden, ihr habt die Regeln aufgestellt.“

Dann riss seine Aorta. Einfach so, mitten in der Nacht. Wieder Intensivstation, eine riesige Operation, erfolgreich überstanden. All seine Söhne kamen ans Bett. Doch auch wenn es in diesen Stunden niemand glauben mochte: Es war ein Abschied. Einen Tag bevor Ove starb, sagte er zu seiner Almut: „Du, auf dem Boot, auf dem ich gerade bin, ist leider kein Platz für dich.“

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