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Michael Wolf (1972-2017)

© privat

Nachruf auf Michael Wolf (Geb. 1972): Verlieren verboten

Seinen Brüdern musste er zeigen, dass er's drauf hat, danach dem Rest der Welt. So machte er Hertha zum Deutschen Meister. Was aber, wenn so einer mal nicht der Sieger ist?

Von David Ensikat

Die einen fahren im Sommer auf spanische Inseln, die anderen baden im Plötzensee. Die einen gehen zu Karstadt, die anderen zu Woolworth. Die einen wohnen mit einem Kind im Vorderhaus, die anderen mit sechsen im Hinterhaus. Das Kind der einen geht in den Tennisclub, die der anderen spannen ein Netz auf dem Spielplatz. Aber egal, sie spielen sowieso lieber Fußball als Tennis. Ist härter, direkter Kontakt Mann gegen Mann, mehr Kerls auf dem Spielfeld, mehr Gebrüll, mehr Jubel beim Sieg. Und wer verliert, ist richtig am Arsch.

Da kam er her, Micha Wolf, Hinterhaus Moabit, gleich um die Ecke von der Turmstraße, wo der Woolworth war und auch das Stadtbad. Ins Stadtbad sind sie zum Duschen gegangen, weil es zu Hause kein richtiges Bad gab. Unwichtig, sie waren sowieso nur draußen und haben ihre Kräfte gemessen: Wer rennt schneller, wer ist am Ball, wer hat die größte Klappe. Sie spielten mit den Jugos und mit den Türken und gegen sie selbstverständlich. Und vor allem spielten sie gegeneinander, Bruder gegen Bruder. Wehe, von den Wolf-Brüdern waren zwei in einer Mannschaft, das ging überhaupt nicht.

Micha hatte eine größere Schwester, die hat er geliebt, und ein paar jüngere Brüder, denen musste er zeigen, dass er’s draufhatte, immerzu, ob draußen am Ball oder daheim am Mensch-ärger-dich-nicht-Brett. Verlor er, sprang er im Viereck.

Wenn später seine Mannschaft ein Tor kassierte, die Jungs, die er trainierte, dann hüpfte er auch wie Rumpelstilzchen umher. Ein böser Tanz am Rand des Spielfelds. Man kann wirklich nicht sagen, dass er ein guter Verlierer war.

Das Ziel ist der Sieg

Seine Karriere als Fußballer auf dem Platz war kurz. Oder sagen wir, es gab sie nicht. Sein Rücken ließ das nicht zu; den hatte er sich mit der Kohlenschlepperei in den Ferien rechtzeitig kaputt gemacht. Also fing er als Jugendtrainer an, zuerst bei Minerva 1893, später bei Hertha. Da trainierte er die B-Junioren, das sind die zwischen 15 und 17.

Eine Gurkentruppe, als er sie übernahm, 1999. Nach einem Jahr waren sie Deutscher Meister. Im Finale spielten sie gegen eine Mannschaft namens „Bayern München“, trainiert von einem Beckenbauer-Sohn, mit einem gewissen Philipp Lahm im Mittelfeld. Hat denen nichts genützt, in der 29. Minute schoss der Herthaner Sofian Chahed aus 50 Metern das einzige Tor. Mag sein, dass das Glück war, aber niemand wird leugnen, dass Micha Wolf, der Trainer, einen Bombenjob gemacht hatte. Er war ja immer schon auf allen Berliner Plätzen unterwegs gewesen und hatte die Mannschaft ganz neu zusammengestellt, die besten elf Jungs der Stadt, sieben davon mit migrantischen Namen (bei den Bayern waren es drei). Was ihm so was von egal war, Hauptsache sie wollten was, Hauptsache sie waren pünktlich beim Training und taten, was der Chef sagt, denn der Chef war er, und er wusste, was anlag. Dafür brauchte er gar nicht rumzubrüllen, seine Stimme war von ganz allein laut genug und seine Ansagen waren glasklar. 90 Minuten Training heißt 90 Minuten Bewegung, immer am Ball, und das Ziel ist der Sieg, sonst gar nichts, haben wir uns verstanden?

Dass er Jugendliche trainierte, war ihm ganz recht, die geben weniger Widerworte, und sie haben nicht so viele Ausreden, wenn sie zu spät oder gar nicht zum Training erscheinen. Ältere Spieler erzählen dann was von Job oder Familie, und damit musste man ihm nun wirklich nicht kommen.

Kein Mann für Kompromisse

Was den Job anbelangte, hatte er selbst es ganz gut getroffen. Beamter in der Senatsverwaltung, kompetent und beliebt und mit genug Freiraum ausgestattet fürs Wichtigste im Leben, den Fußball. Wenn er hauptberuflich als Trainer arbeitete, wurde er freigestellt.

In Familiendingen lief es nicht ganz so rund. Die Frau, mit der er lange zusammen war und die gut zu ihm passte, trennte sich von ihm, weil er kein Kind wollte. Später vielleicht. Die Frau, mit der er schließlich die Familie hatte inklusive Sohn und Reihenhaus, war dann nicht so ganz die Richtige, oder er war nicht der Richtige für sie, Ansichtssache, jedenfalls war es ein Kampf, ein ewiges Hin und Her. Und ob der Fußball mehr Ursache für seine Probleme war oder mehr Fluchtort raus aus den Problemen – auch wieder Ansichtssache.

Sein Sohn kam 2004 auf die Welt, da war er gerade Trainer in Hamburg und rettete die HSV-Jugend vorm Abstieg. Der Sohn war ein wichtiger Grund, warum er zurück nach Berlin kam, ein anderer war, davon darf man ausgehen, Micha Wolfs Wesen. Er war nicht der Mann für Kompromisse – drum hatte er nach nur einem Jahr auch seine Stelle bei Hertha aufgegeben. Er war ein Mann vom Fach; aber selbst ein solcher muss hin und wieder denen entgegenkommen, die andere, vermeintlich törichte Ansichten vertreten. Wer das nicht kann, räumt das Feld.

Er hat sich das Leben genommen

Micha Wolf trainierte noch diverse Berliner Mannschaften, arbeitete wieder in der Verwaltung, liebte seinen Sohn über alles und hatte zu wenig Zeit für ihn, trennte sich von seiner Frau und ließ sich teuer scheiden, zog aus dem Haus in eine Ein-Zimmer-Wohnung, fiel in tiefe schwarze Löcher, bestellte in der Kneipe das ein oder andere Weizenbier zu viel, ließ die Jukebox Lieder spielen, in denen die Welt heil war, und sprach nicht darüber, wie es ihm ging.

Man sah es ihm an. Aber wie fragt man einen, der noch nie gut verlieren konnte, nach seinen Verlusten?

Micha Wolf hat sich das Leben genommen. Jetzt liegt er gegenüber vom Plötzensee, in dem er damals immer gebadet hat, wenn die anderen nach Mallorca gefahren sind. Das war eine schöne Zeit.

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