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Marion Lux (1955-2019)

© privat

Nachruf auf Marion Lux (* 12. September 1955): Kiez ist halt Kiez

Alles, was man will, kostet unendlich viel Zeit, Energie und Hartnäckigkeit. Sie kannte es nicht anders.

Ihr ganzes Leben war ein Kampf um Kunst und Anerkennung – und um das Geld fürs Leben, das oft das schwierigste aller Probleme schien. Die Krankheit begrub die Hoffnung vollends, aus der Malerei einen Brotberuf zu machen. Hinter Marion stapelten sich die leeren Leinwände, die sie für den Start in die freie Künstlerexistenz gehortet hatte. Sie musste Aufträge absagen, die letzte Kraft raubte die Auseinandersetzung mit den Ämtern um angemessene Ernährung, Medikamente, Therapien. Was so bleibt, wenn sich ein Tunnel auftut und die Dunkelheit zu siegen scheint.

Dabei zeigt ihre Kunst die hellen Seiten des Lebens, ihre filigranen Zeichnungen Berliner Stadtansichten, Farbexperimente und Katzenbilder haben wenig mit der Welt vor ihrer Haustür zu tun, der Kaputtheit rund ums Kottbusser Tor in Kreuzberg. Auch ihre Porträts schmeicheln den Menschen, die sie malte, viele nach eigenen Fotos, die sie mit Bleistift nachzeichnete. Postkartenmotive, Bilder ohne Brüche und Verstörungen, sie müssen ja verkauft werden. Teuer sind sie nicht.

Aber das war schon immer so. Marion kannte es nicht anders, als dass alles, was man will, unendlich viel Zeit, Energie und Hartnäckigkeit verlangt. Geschenkt wurde ihr nie etwas, familiäre Unterstützung war ein Fremdwort. In Bayreuth geboren, wuchs sie mit einem älteren Bruder auf, der für die alkoholkranke Mutter der Goldjunge war. Für die Tochter blieb nicht so viel übrig. Was sie malte, schmiss die Mutter weg. Nur die Blockflöte, von der Schule verlangt, war erlaubt. Um Klavier zu lernen, schlich Marion zu einer Freundin in der Nachbarschaft. Wenn das rausgekommen wäre, hätte es geknallt. Der Vater war längst weg.

Nach München! Nach Berlin!

Mit 18 verließ sie das Haus, nach damaligem Maßstab noch nicht volljährig, dafür mit einem ominösen Papier ausgestattet, in dem die Mutter auf ihre Erziehungsgewalt verzichtete. Nach München ging sie, verkaufte als Propagandistin Sonnenbrillen und bewarb den „Spirographen“, ein geometrisches Spielzeug, mit dem man hypnotische Muster zeichnen kann. Vor allem die coolen Kunden aus West-Berlin imponierten ihr. Wo die herkamen, da wollte sie hin.

1974 schlägt sie in der Frontstadt auf, findet Anschluss an das Künstler-Selbsthilfeprojekt „Berliner Brettl“, veröffentlicht erste Comics in Stadtzeitschriften wie dem „Hobo“, jobbt in Kneipen, in der Altenpflege und als Sekretärin. Für die große Nummer, ein Kunststudium, braucht sie das Abitur. Zwei Schulen besucht sie, dann wird ihr Traum wahr: Grafik im Fachbereich Visuelle Kommunikation. 1987 zieht sie nach Kreuzberg, wo der Häuserkampf gerade erst Geschichte ist, aber die Kneipen einer Klavierspielerin gerne Freibier gönnen, wenn die Gäste bei „Mackie Messer“ mitwippen. Viele Kneipen, viel Bier. Manchmal ist es schwierig, sie vom Klavier zu lösen, auch wenn ihr Repertoire limitiert ist. Betrunken improvisiert sie ekstatisch. Ihr Examen packt sie dennoch.

Marions Arbeiten erscheinen in den alternativen Printmedien, allein die „Emma“ weist ihre Bilder zurück – „zu sexistisch“. Als Feministin geht sie eh nicht durch. Zu böse und selbstironisch durchleuchtet sie das Geschlechterverhältnis, ihre weiblichen Figuren haben Busen und Po, die Männer lange Schwänze; das passt nicht zum Zeitgeist. Neben Comics und Cartoons macht sie Illustrationen für einen alternativen russischen Reiseführer, der nie erscheint. Mit wechselnden Jobs hält sie sich über Wasser, und wenn es der Verkauf veganer Buletten in Kneipen ist.

Das alte Kreuzberg wird nach dem Mauerfall Geschichte, es weht ein neuer Wind. Marion präsentiert ihre Werke nun auf Kunstmärkten und in Kleingalerien, wo sie man sie kennt und schätzt. Geld haben ihre Freunde nicht, Kiez ist halt Kiez, da kommt man nicht so leicht heraus. Ein erster Schritt scheint 2001 ihre Teilnahme an der Gemeinschaftsausstellung „Rückkehr. Ehemalige der HDK stellen aus“. Hunderte hatten sich beworben, sie ist dabei neben ein paar deutlich Größeren: Günter Grass, Johannes Grützke, Kurt Mühlenhaupt. Ein Sprungbrett ist es trotzdem nicht. Jobs, Kiezpläne und Kiezausstellungen werden zum Dauerprogramm ohne ökonomische Perspektive.

Zwölf Jahre nach der Ausstellung wagt sie den Sprung und will nun allein von der Kunst leben. Christian ist seit Kurzem an ihrer Seite und unterstützt sie bedingungslos. Er stellt ihr eine Webseite her und einen Flyer. Sie bastelt sich einen Businessplan, der selbst das skeptische Job-Center beeindruckt und für einen Wettbewerb vorgeschlagen wird. Dann aber heißt es Klinken putzen, nerven, nachhaken, hoffen, Christian immer dabei. In Kneipen, Museen, Buchhandlungen, Galerien. Erschöpft stoßen sie danach mit alkoholfreiem Bier an. Der Verkauf von drei Bildern an die eigene Lungenärztin ist schon ein Erfolg, Postkartenaufsteller in hippen Modeläden ebenso. Belohnung: ein teures Eis am Oranienplatz und die Hoffnung, dass mehr draus wird. 2017 hat sie eine Einzelausstellung in der „Büchergilde Gutenberg“.

Auf einer ihrer Postkarten stehen Pinguine vor einem gelben Kreis, der die Sonne sein könnte. Einer springt ins Nichts mit den Worten: „Ich bin dann mal weg!“ In der unsicheren Märzsonne weinen die Freunde an ihrem Grab auf dem Südsternfriedhof. Kein Armenbegräbnis, dafür hat Christian gesorgt. Eine letzte Respektbezeugung.

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