zum Hauptinhalt

Nachruf auf Louise S. Baghramian (Geb. 1958): Keine Sonnenuntergänge!

Wer sie tanzen sah, musste sich in sie verlieben. „Habe ich im Gefängnis gelernt“, sagte sie und tanzte weiter. Louise Sara Baghramian hatte im Iranischen Knast gesessen. Kurz vor der Dämmerung holten die Wärter dort die Frauen ab.

Von Julia Prosinger

Wenn die Sonne unterging, über dem Meer oder hinter den Bergen, abends in eine Stadt einsank oder hinter eine Wiese glitt, dann drehte Louise Baghramian ihr den Rücken zu und rannte davon.

Eine dieser Angewohnheiten. Sie kommt von ihrer Zeit im Isfahaner Gefängnis.

Wenn Louise traurig war, müde, angestrengt vom Tag, legte sie Vertrauten gern die Füße in den Schoß. Es waren Füße mit Narben. Auch sie stammen von damals, Anfang der achtziger Jahre.

Louise hätte das nicht als Erstes erzählt. Sie mochte es nicht, andere zu belasten und machte vieles lieber mit sich selbst aus.

Sie hätte vielleicht von der Liebe zu ihrem Vater erzählt. 1958 war sie als zweites Kind einer armenischen Familie in Teheran geboren worden; vier weitere Kinder folgten. Als kleines Mädchen wartete sie oft den ganzen Tag in den Gassen, bis dieser Vater, ein Bauunternehmer, von der Arbeit kam, begleitete ihn überallhin, bis ins Badezimmer. Warmherzig war er, die ganze Familie hatte er in seinem Haus aufgenommen, selbst den drogenabhängigen Onkel. Der tupfte dem Mädchen Opium aufs Zahnfleisch, wenn es mal Schmerzen hatte.

Louise Baghramian hätte von den Frauen dieser Welt erzählt und von deren Unterdrückung. Schon als Jugendliche weigerte sie sich, Schleier oder Kopftuch zu tragen, wenn sie ihr christliches Viertel verließ. Überall sieht sie Frauen, die leiden und es sich nicht anmerken lassen. „Vay“, ruft sie dann, wie die Armenier es tun, wenn sie etwas erregt, „Vay, was haben sie für ein hartes Leben und sind dennoch so fröhlich!“ Sie arbeitete in einem Frauenhaus. Und sie verliebte sich in eine Frau. In Rada Grubic.

„Ich bin nicht lesbisch, ich liebe nur dich“, sagte sie. 14 Jahre waren sie ein Paar. 14 Jahre stand Louise morgens oft vor Radas Spiegel, frisch geduscht, trug das blaue Kleid mit den Punkten oder den hellblauen Minirock – immer mini, immer tiefe Ausschnitte –, malte Lippenstift auf, nie ohne Lippenstift, zog sich die Schuhe an, immer mit Absätzen, sonst fühlte sie sich zu klein. Dann erst föhnte sie sich die pechschwarzen Haare. Darüber lachte Rada.

Etwas anderes beunruhigte sie. Oft verbrachte Louise morgens eine Stunde oder mehr auf der Toilette. Es dauerte lange, bis Rada verstand, warum. Im Isfahaner Gefängnis durfte Louise nur morgens um vier aufs Klo. Verschlief sie, musste sie bis abends aushalten.

Es ist die Zeit, als Ajatollah Chomeini die iranische Revolution mit den Waffen der Hisbollah verteidigt und Mütter ihre Söhne dem Regime ausliefern. Louise studiert an der Universität in Isfahan Literatur und Armenisch. Sie ist Mitglied der linken Bewegung „Weg der Arbeiter“. Konspirative Treffen finden bei ihr daheim statt, sie sprechen in Codewörtern, treffen sich in Wartezimmern oder sitzen, wie zufällig, im Bus nebeneinander, drucken Flugblätter und entrollen Plakate auf belebten Plätzen.

Als sie festgenommen wird, jemand hat sie unter Folter verraten, rettet sie ihr Schäferhund. Die Revolutionswächter verzichten auf eine Hausdurchsuchung, weil er auf sie losgeht. Louise gibt ihrer siebenjährigen Schwester noch ein Zeichen, alle Unterlagen ins Klo zu werfen.

Man bringt sie in einen Garten. Sie soll aufschreiben, wen sie kennt, wo sich die Gruppe trifft, sie soll Namen nennen. Louise gibt ein leeres Blatt ab. Ein Wärter führt sie in einen kleinen Kellerraum, Blut trocknet an den Wänden. Er fesselt Louise an einen Hocker. „Oh mein Gott!“, schreit sie auf Persisch, als der erste Stromschlag ihren Hinterkopf trifft. „Du Hure, beleidige nicht unseren Gott, sag doch: ,Oh mein Marx, oh mein Lenin’ !“, brüllt ihr Folterer.

Die Folterer zitieren Koransuren, während sie Louise mit Stöcken und Kabeln die Fußsohlen blutig schlagen. Sie treten die Wunden mit Stiefeln. Louises Schreie ersticken in einem Stück fusseliger, stinkender Wolldecke, ihr Knebel.

Die Revolutionswächter verlegen Louise an einen neuen Ort. Unter Wolldecken und freiem Himmel liegen hier Frauen in zwei langen Reihen. In einem Gebäude sind Mütter mit Kindern untergebracht.

Sie denkt zu schnell für ihre Zunge

Louise lernt von den anderen Frauen, dass sie essen muss, auch wenn sie keinen Appetit hat. Sie soll an ein gebackenes Hähnchen denken, wenn sie faden Eintopf in sich hineinzwingt. Lachen soll sie, wenn sie schreien will. Folter, zeigen ihr die Frauen, hält man mit Fantasie aus, mit Singen und Tanzen.

Louise tanzte zu allem. Zu armenischen Volksliedern, persischen und Balkanrhythmen in Berliner Clubs. Wer sah, wie sie Bauch und Brüste orientalisch wiegte, die Hände in die Luft schraubte, musste sich in sie verlieben. „Habe ich im Gefängnis gelernt“, sagte sie und tanzte weiter.

2001 gründen Rada und Louise die „Interkulturelle Initiative“. Mehr als die Hälfte aller bedrohten Frauen in Deutschland, das hatten die beiden bei ihrer Arbeit in anderen Frauenhäusern gelernt, sind Migrantinnen. Louise und Rada mieten Räume für eine spezielle Beratungsstelle, für ein Frauenhaus, für ein Wohnprojekt. Sie schleppen Möbel und schleifen Dielen. In jeden Raum legt Louise einen Perserteppich. „Ich kaufe zehn und habe nur diese Summe“, sagt sie, beim Teppichhändler, beim Obsthändler oder im Media Markt.

Um in ihr Büro zu kommen, muss Rada durch Louises Zimmer. Dort hat sie ihr eine Zeichnung der Königin Louise von Preußen aufgehängt. Die Mitarbeiter schließen die Türen, wenn Rada und Louise diskutieren. Geht es auch nur um eine banale Abrechnung – Louise wirft alles in diesen einen Streit: ihre Familie, ihre Werte, die Geschichte ihres Volkes. „Vay!“ Louise streitet so lange, bis sie selbst lachen muss. Oft bis spätnachts. Morgens ruft sie Rada an, als sei nichts gewesen. „Nimmst du mich mit zur Arbeit?“

Bei politischen Diskussionen hofft Rada, dass Louise nicht ganz so laut wird, nicht ganz so schnell, nicht ganz so lange redet. Auf einer Reise nach Palästina hat sie Jassir Arafat einmal so provoziert, dass er den Raum verließ. Wenn es darum geht, Geld beim Senat einzutreiben, spricht besser Rada vor.

Rada und Louise fahren in Urlaub nach Dalmatien, wo Rada herkommt. Nach Australien, nach Brasilien, tauchen, wandern. Sie kürzen den Winter ab; Louise hasst die deutsche Kälte. Auch das hat mit ihrer Vergangenheit zu tun.

Sie wollen heiraten. „Ich heirate dich, wenn du aufhörst zu rauchen“, sagt Louise zu Rada und lacht, bis man die breite Lücke zwischen den Schneidezähnen sieht. „Ich hör’ auf zu rauchen, wenn du mich heiratest“, sagt Rada.

Wenn die Sonne untergeht, rennt Louise davon. Denn kurz vor der Dämmerung holten die Gefängniswärter im Isfahaner Knast immer die Frauen ab.

Zu zweit müssen sie mitkommen. Manchmal kommt eine wieder, manchmal keine. Oft werden sie vergewaltigt. Ob Louise verschont wird? Als Mitglied der armenischen Minderheit gilt sie als unrein. Der Gefängniswärter will sie nicht berühren, er führt sie an einem Gürtel. Vielleicht ist das die Rettung, vielleicht wird sie es auch nur niemandem erzählen.

1983 gelingt es „Amnesty International“, Louise nach zweieinhalb Jahren aus dem Gefängnis zu befreien. Der Vater bezahlt ihr und dem jüngeren Bruder die Flucht: ein Sprung aus seinem Jeep in einen Lkw, eine gefährliche Reise auf Pferderücken durch verschneite Berge, Louises Beine frieren ein. Sie geben ihr einen neuen Namen, Sara, als Jüdin schafft Louise es leichter über die türkische Grenze. Louise Sara, das wird bleiben. Sie holt die Familie nach, den geliebten Vater, macht Behördengänge und übersetzt Versicherungspapiere.

Dabei tut sie sich selbst so schwer mit der deutschen Sprache. Denkt ohnehin immer zu schnell für ihre Zunge. Rada und Louise lesen sich gegenseitig Deutsch vor, damit es vertrauter wird. Sie wollen zusammenziehen.

2007 bekommt Louise Knochenkrebs. Sie lässt ihr Blut waschen, sie macht eine Chemotherapie, sie bekommt eine Transplantation. Sie weint nie. „Ich werde das überleben“, sagt sie. Als sie gesund wird, feiert sie ein großes Fest im Tiergarten. Ihre schwarzen Haare sind jetzt lockig. Sechs Jahre bleibt sie gesund.

2012 kommt Louise vom Arzt, irgendetwas ist mit ihrem Blut. Mehr will sie Rada nicht erklären. Sie weint nur – wie ein kleines Kind. Dann reisen sie zusammen nach Brasilien, Louise allein weiter nach Argentinien. „Vay, was können diese Frauen tanzen!“

Louise erkältet sich, sie kehrt hustend zurück. Sie erholt sich nicht mehr.

Am 26. Juli 2013 wäre Louise 55 Jahre alt geworden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false