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Klausdieter Zawieja (1957-2018)

© Florian Günther

Nachruf auf Klausdieter Zawieja (Geb. 1957): Der Freak in seiner Grauzone

Was er hinterließ: etwas Kleingeld, einen Kleinwagen. Und den morschen aber legendären "Goldenen Hahn" am Heinrichplatz, Kreuzberg

Kreuzberg, Heinrichplatz, die Gastwirtschaft „Zum Goldenen Hahn“: je nach Sichtweise Weltkulturerbe, Literaturraststätte oder Absturzkneipe, auf jeden Fall weit über die Kiezgrenzen hinaus bekannt. Klaus ist der Wirt. Seit dem Herbst stimmt irgendwas nicht mehr mit ihm. Er trinkt kaum noch, ist still, das Zigarettendrehen mit dem Schwarzen Krauser misslingt. Abgenommen hat er, und nüchtern wirkt er noch verpeilter, als wenn er einen in der Krone hat.

Dann kommt Klaus nicht mehr in den „Hahn“, meldet sich nicht. Die Exfreundin Toni lässt seine Wohnungstür öffnen, er lebt noch. Zum ersten Mal sieht sie das Chaos, in dem er haust. In seine Wohnung hat er nie jemanden reingelassen. Im Urban-Krankenhaus schließlich das Ende einer Legende ohne Krankenversicherung. Lungenkrebs und Gehirntumor. Gut, dass man ihm Drogen gibt. Schade, dass er, derart sediert, nicht mehr merkt, wie viele ihn besuchen, um sich zu verabschieden. Seine Schwester Margrit, Architektin in Braunschweig, reist an und bleibt an seiner Seite, obwohl es mit ihm nicht einfach gewesen ist. 30 Jahre hatten sie nur sporadischen Kontakt, in Braunschweig die bürgerliche Komfortzone, in Berlin der Freak in seiner Grauzone.

Sein Risikoerbe sind 1000 Euro in Kleingeld, ein Kleinwagen, der mühsam gesucht werden muss, eine runtergerockte Wohnung, ein paar Edelsteine. Und die marode Kneipe.

Ob er davon geträumt hat, Wirt zu werden, weiß natürlich keiner. Dass Klaus seine Stammkneipe übernahm, war eine Überraschung. Inge, seine legendäre Vorgängerin, hatte 2006 einfach keine Kraft mehr. Selbstschutz nach fast 20 Jahren hinterm Tresen. Angewiesen war sie auf die Einnahmen eh nicht, die Eltern hatten als Wirtspaar für das einzige Kind vorgesorgt. Da waren die Öffnungszeiten danach ausgerichtet, wie fit sie war, die Auswahl der Gäste mehr bestimmt von Sympathie als von Solvenz. Die Deckel mit den Anschreibungen wurden zum Jahresende feierlich im Hof verbrannt. Eine kleine Erbschaft, etwas Spargeld von Klaus sowie seine Zusage, Interieur, Literaturveranstaltungen und Stammgäste komplett zu übernehmen, erlaubten dann die Übergabe.

„Der Goldene Hahn“ als Heimat und Vision

Und Klaus gab alles her, was andere für wichtig halten: Kraft, Gesundheit, Liebe, Hobbys, Geld. Tauschgegenstand: „Der Goldene Hahn“ als Heimat und Vision. Freunde und Feinde versammelten sich und suchten, unterstützt vom Alkohol, nach dem Sinn im Unsinn, Kunst an den Wänden von Jim Avignon, Klaus Theuerkauf, Centrifuga, Geschichten, immer mehr Geschichten, halb gelöste Sudokurätsel, die Belegschaft, der mal empathische, mal wutschnaubende Umgang miteinander.

Viele seiner Gäste standen mit dem Rücken zur Wand, im durchgentrifizierten Kreuzberg war der „Hahn“ ihr Rettungsanker. Rettung durch Absturz. Respektlos wurde der Ort auch „Goldener Schuss“ und „Geisterbahn“ genannt. Es kamen die Punk-Ikonen Ratten-Jenny und Jäckie, Hausbesetzer, Hausbesitzer, Arbeitsame, Arbeitslose und dann noch die Touristen und Zugezogenen, die den Laden in den letzten Jahren am Laufen hielten. „No Foto here“ stand an der Wand, ignoriert von den Smartphone- Idioten, die auch noch die Wände vollkritzelten und die Klos mutwillig verstopften. Da flog Klaus buchstäblich die Scheiße um die Ohren. Den Nachbarn im Genossenschaftshaus waren Gestank und Lärm schon längst ein Ärgernis. Klaus grüßte alle und wusste wenig von den Vorbehalten. Zu den Hausversammlungen erschien er selten, obwohl er sich dafür extra ein Gebiss besorgt hatte.

Zu Weihnachten ist er auf die Welt gekommen, doch die Tristesse der Industriestadt Peterborough nördlich von London war nicht der schönste Willkommensgruß. Enge Wohnung, zwei ältere Schwestern, der Vater ein Fabrikmalocher, der in der Freizeit boxte. Ein Deutscher, der nach der Kriegsgefangenschaft in England geblieben war und der Arbeit hinterherwanderte. Auch die Mutter war Deutsche. Sie hatte nach dem Krieg als Haushaltshilfe in England einen Job gefunden. Klaus immer im Schlepptau der Schwestern, gespielt wurde auf der Straße, der Park war weit weg. Die Übersiedlung nach Deutschland 1962 machte das alles nicht viel besser. In den Ballungsräumen, wo die Arbeit war, gab es kaum Wohnungen. Immer wieder Umzüge, immer wieder Brüche, immer wieder Neuanfänge.

Grenzüberschreitungen inbegriffen

Klaus imponierte seinen Schwestern mit Mutproben, danach konnten sie ihn verarzten. In der Schule fiel er nicht weiter auf, mit 15 folgte er den Schwestern in die Lehre bei den Farbwerken Hoechst. Über das Lehrlingswohnheim hat Ulrike Meinhof in „konkret“ geschrieben; hier kontrollierte kein Meister mehr, hier atmete Klaus den Geist des Aufbruchs. Das Leben nahm Fahrt auf, Grenzüberschreitungen inbegriffen. Nikotin, Alkohol und Gras in den Discos der Amerikaner. Da kam er rein, weil seine älteste Schwester ihm die Tür aufhielt.

Nach der Ausbildung zum Mess- und Regelmechaniker erste WG-Erfahrungen in der Frankfurter Sponti-Szene, doch so militant wie ein späterer Außenminister wurde er nicht. Klaus arbeitete mal mehr, mal weniger, kiffte viel und lernte Leute kennen, die Theater machten oder in anarchistischen Landkommunen lebten. Bettelnd schlug er sich durch die Vereinigten Staaten und besuchte seine Schwester auf Hawaii. Zurück kam er mit einer erweiterten Menschenkenntnis.

Dann West-Berlin in den 80ern. Weiterbildungsmaßnahmen mit und ohne Abschluss. Klaus pendelt zwischen Frankfurt und Berlin, baut sich einen Bus um, geht mal arbeiten und mal auf Reisen. Begegnungen sind ihm wichtiger als Lebenspläne.

Auf Arbeit stürzt er von einer Leiter, ein komplizierter Bruch, Berufsunfähigkeit und eine kleine Rente sind die Folgen. Der Kontakt zu seinen Schwestern bleibt sprunghaft, Klaus wohnt in Wagenburgen. Seine Meldeadresse ist ein besetztes Abbruchhaus in Mitte. Gelebt hat er da nie. Für Margrit ist es ein Detektivspiel, ihn in Berlin aufzutreiben. Womit er Geld verdient, ist unklar. Er handelt mit Misteln und Edelsteinen, wohl auch mit Dope. Und er kommt mit Toni zusammen, einer Neuköllner Schnauze, der er aus dem Drogensumpf raushilft. An seine Hilfsbereitschaft können sich auch andere noch gut erinnern. Geld spielt keine große Rolle, money comes, money goes. Den „Hahn“ besucht er oft, die Gäste beschenkt er großzügig mit Freigetränken und spanischem Schinken. Dann wird er Wirt, und die Sache nimmt ihren Lauf.

Wo hat er nur das Auto geparkt? Daily Terror

„You are welcome“, begrüßt er auch die fremden Gäste, die Inge lieber rausgeekelt hat. Aber die Mischung von Kiez und Touris macht es aus. Dazu die bunte Belegschaft, deren Auswahl mehr von Biografie und Haltung abhängt als vom Talent für den Service. In den letzten Jahren sind das vor allem junge Anarchisten aus Barcelona und Lateinamerika. Konzerte, Filme, Lesungen, alles für umsonst. Die präsentierten Literaturzeitschriften heißen „DreckSack“ oder „Saufen aktuell“, die Hausband „Golden Cocks“. Klaus zahlt die Getränke der Künstler, Taxikosten und brüllt „Geil, gell!“ in die Performances.

Vielleicht ist das ja doch sein Traum hier, auch wenn er ihn verbrennt. Irgendwann verliert er, so muss das ja kommen, den Überblick. Manchmal übernachtet er in der Kneipe, spricht mit sich selbst, gestikuliert wild, wenn alle Gäste längst geflohen sind. Die Belegschaft, die mittags kommt, kann die Schicht oft abhaken. Er packt die Kleineinkäufe nicht, gefrustet mit sich und der Welt. Und wo hat er nur das Auto geparkt? Daily Terror. Brüllaffe nennt ihn einer.

Mehr als 100 Leute kommen zur Beerdigung, das „Oberkreuzberger Nasenflötenorchester“ spielt „Je ne regrette rien“. Viele weinen.

Der „Goldene Hahn“ hat wieder aufgemacht. Er gehört jetzt offiziell Klaus’ Schwester in Braunschweig und wird von der Belegschaft geführt, erst mal bis März und dann, hoffentlich, bis in alle Ewigkeit.

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