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Klaus Dieter Weiß (1957-2018)

© privat

Nachruf auf Klaus Dieter Weiß (Geb. 1957): Das Philanthropische bleibt ihm eher fremd

Anarchist, Raubdruckverkäufer, Buchhändler, Kneipier und Galerist. Devise: „Es gibt nichts zu verlieren. Wir werden alle krepieren!“

Wenige sind überrascht, dass KDW tot ist. Nicht alle sind traurig. Mit dem KaDeWe, dem „Kaufhaus des Westens“, hatte er nichts zu tun, abgesehen davon, dass seine „proletarischen Einkaufsaktionen“ dort einen gewissen Warenverlust erwirkten. Mit KD Wolf, dem radikalen SDS-Führer, der zwei Verlage gründete und in die Pleite führte, hat ihn schon ein bisschen mehr verbunden.

In Hannover geboren, erlebt er als Kleinkind das Grauen. Die Mutter erhängt sich vor den Augen der drei Geschwister, der Vater schlägt danach alle zusammen. KDW wächst bei Verwandten auf dem Land auf und wird schnell zum „Fall“. Auf der Straße lernt er, sich zu behaupten, schlägt als erster zu, hasst die Bürgerkinder, gerät ins kleinkriminelle Milieu. Mit Mühe schafft er den Hauptschulabschluss. Ein Betreuer vom Jugendamt findet Zugang, KDW beendet eine Autoschlosserlehre. Und gerät in Kontakt mit Hannoveraner Anarchisten. Franz Berger wird zu seinem Idol, der ist ein ganz harter. Auf den Demos hält er aber Klaus zurück, man muss seine Möglichkeiten gut dosieren. Nicht auffällig werden. Nach West-Berlin kommen sie 1978, noch bevor Anarchos und Punks die Chaostage zelebrieren.

Sie verkaufen Raubdrucke: Revolutionäres von Kropotkin, Bestseller von Italo Calvino und Michael Ende. Das Geschäft läuft, KDW ist ein guter Kneipenticker. Franz macht einen Buchladen in Frohnau auf und fängt an, im großen Stil Hasch zu verkaufen. Ein Großteil der Erlöse wird in den nächsten Jahrzehnten bis zu Franz’ Krebstod radikale Verlage und merkwürdige Galerien und Künstlerhäuser am Leben halten.

KDW ist beeindruckt, Bücher und Hasch erweitern Horizonte. Das Philanthropische dabei bleibt ihm aber eher fremd. Sein Lieblingswerk ist Walter Serners „Letzte Lockerung. Ein Handbrevier für Hochstapler und solche, die es werden wollen“, das vor Zynismus strotzt.

Er will auch als Buchhändler arbeiten, macht eine Ausbildung in Tempelhof. Danach arbeitet KDW erfolgreich in der Buchhandelskette, die einem Parfümkonzern gehört. Er hat ein gutes Gespür, Madonnas SM-Fotobuch „Sex“, fast 100 D-Mark teuer, ordert er zigtausendmal. Die Prämien sind schnell verkokst.

Gegen Mittag torkelt er zurück in seine Höhle

Mitte der 90er lässt er alles hinter sich, die große Hose, die Weibergeschichten, zwei Kinder. Eine Parterrewohnung neben dem Eiszeit-Kino wird seine Höhle, die Rollläden immer unten. Er kommt mit Babsi zusammen, die an Heroin Gefallen findet, ist in der Kreuzberger Galerieszene unterwegs, wo die Kunst oft benutzt wird, um illegale Kneipen zu betreiben. Die Gewerbemieten sind noch überschaubar. Er macht die „Nachtgalerie Azul“ auf und die „Galerie K“, die zum Schrecken der Nachbarn und zum Sammelbecken einer Subkultur werden. Von Kunst hat KDW wenig Ahnung, er will Action: Lesungen, Performances, Konzerte, Filme. Für die Mietverträge müssen andere ran, er hält dafür die aufgebrachten Nachbarn zurück und die Künstler mit Freigetränken und Joints bei Laune. Bert Papenfuß, die „Brauseboys“, Johannes Jansen, Hadayatullah Hübsch und Peter-Paul Zahl lesen hier, die Nasenflöten fiepen, Matt Grau macht Techno, Mike Spike Froidl zeigt seine Punk-Trash-Filme. KDW dazwischen im weißen Hemd, Weste, mit Joint in der einen, Wodkaglas in der anderen Hand. Oft erst gegen Mittag torkelt er zurück in seine Höhle.

Seine Devise: „Es gibt nichts zu verlieren. Wir werden alle krepieren!“ Babsi hat ihn mit HIV infiziert, er macht daraus kein Geheimnis. Behandelt sie wie Dreck, bis sie geht. Die Medikamente machen ihn schlapp. Sein Sozialverhalten wird immer abgründiger. Beate, seine erste Galerie-Partnerin, drängt er aus dem Laden und lässt sie auf dem gemeinsamen Schuldenberg sitzen. Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn.

Wird ein Ort geschlossen, wird der nächste aufgemacht. Zum 50. Geburtstag eröffnet er zusammen mit dem Objekt-Künstler Cornelius Perino das „Labor“ in Neukölln. Neuer Ort, alte Probleme: Lärmbeschwerden, er muss raus, die Kraft schwindet. Selten verlässt er noch seine Matratzengruft, betäubt von Wodka, Koks und Hasch.

Seinen 60. Geburtstag feiert KDW im „Victoria“, nur Haut und Knochen, aber trotzig vollgedröhnt. Drinnen laufen Froidls Filmszenen, in denen KDW den Marquis de Sade mimt. Jemand liest aus seinem wüsten Klo-Buch. Ein vorweggenommener Abschied.

Immer wieder Noteinlieferungen, nach einem Oberschenkelhalsbruch ergänzt er seine Betäubungspalette um Tilidin. Die Geschäfte laufen immer noch, die Drogenweitergabe nutzt er für letzte Machtspiele. Viele seiner Freunde haben sich zurückgezogen, andere kaufen große Mengen Hasch auf Pump, wohl wissend, dass er es nicht mehr lange macht. Der Pflegedienst kümmert sich um Mentholzigaretten und Getränke. Letzte Freunde sind da, lassen sich beschimpfen. Manchmal entschuldigt er sich auch dafür. Und bettelt um Insulin und Rasierklingen. Er will nicht mehr, es ist genug. Wie er aus dem Leben scheidet, weiß niemand.

Das Ordnungsamt verfügt eine Beisetzung auf dem katholischen Teil des Domfriedhofs in Berlin-Mitte, unpassender geht es kaum. Wer kein Geld hat, wird schnell verscharrt, Abschiednahme ist nicht vorgesehen. Als er die bunte Trauergruppe mit Gitarre und Wodkaflaschen sieht, ruft der Bestatter entsetzt: „In Gottes Namen!“ Er reißt die Flaschen und Blumen vom winzigen Urnengrab. Die nächsten Löcher warten schon.

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