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Jens Walther-Seefeldt

© privat

Nachruf auf Jens Walther-Seefeldt (Geb. 1956): Erfolg? Wozu?

Er sah, wie die Leute dem Geld und dem Erfolg nachrannten. Und hatte Besseres zu tun: Wenn die Sonne scheint, sich in die Sonne setzen. Der Nachruf auf ein gutes Leben ohne Ehrgeiz.

Von David Ensikat

Fotografie wollten in der DDR viele studieren, viel mehr, als das Land studierte Fotografen brauchte. Entsprechend schwer war es, eine Zulassung für das Studium in Leipzig zu bekommen. Jens war zehn Jahre lang Schweißer in einem Wohnungsbaukombinat gewesen, fotografierte noch nicht lange und bekam den Studienplatz im ersten Anlauf. Sein Schwager, der ihn zur Fotografie gebracht hatte, brauchte drei Anläufe.

Jens studierte die Kunst des Zeitanhaltens, in einer Zeit, die raste. Das Land, in dem er aufgewachsen war, zerfiel und nichts blieb, wie es war. Viele hielten die neue Zeit für eine farbige, aufregende. Jens blickte da etwas anders drauf. Für seine Diplomarbeit fotografierte er ein DDR-Betonwerk, das mit dem Umbruch geschlossen worden war und nun zerbröselte. Lauter stumme Oberflächen, auf denen eine dicke, graue Staubschicht lag.

Das Land, in dem er aufgewachsen war, hatte ihn gelehrt, die Welt anders anzuschauen, als die Welt angeschaut werden wollte. Es hatte ihn gelehrt, seine Bedürfnisse im Leben gut zu unterscheiden von den mutmaßlichen Anforderungen, die die Umwelt an ein Leben stellt.

Im Sozialismus hatte er so vor sich hin gelebt, hatte andere im Gleichschritt marschieren sehen, den Kopf geschüttelt und Bob-Dylan-Lieder gesungen. Im Kapitalismus lebte er vor sich hin, sah andere dem Geld und dem Erfolg nachrennen, schüttelte den Kopf und spielte weiterhin die Dylan-Lieder. Darin allerdings wurde er immer besser, sowohl auf der Gitarre als auch mit der Stimme.

Jens’ Schwager erzählt, wie sie in den vielen Jahren, die auf ihr Studium folgten, Fotoaufträge gemeinsam absolvierten. Man konnte hervorragend mit Jens arbeiten; er hatte diesen sehr eigenen Blick, um den der Schwager ihn beneidete. Leider aber vergaß Jens hin und wieder die Termine und war nicht ganz bei der Sache. Konnte es sein, dass er sich einfach nicht so brennend für die Fotoaufträge interessierte?

Es gab ja noch so viel anderes Interessantes. Die Musik etwa, die Dylan-Lieder. Dann gab es das Land, auf das er so gern fuhr. Wer sagt denn, dass eine Tour durch Mecklenburg mit Rad und Proviant nichts Wertvolleres ist als ein bezahlter Arbeitstag mit Kamera und Stativ? Wenn die Sonne scheint, dann soll man sich in die Sonne setzen! Tut man erst mal Wichtigeres, ist sie wieder weg. Und dann die Kocherei. Es mag ja sein, dass die Herstellung eines perfekt ausgeleuchteten, überraschend komponierten Fotos Befriedigung und Anerkennung erzeugt. Aber essen kann man’s nicht. Ein Zehn-Gänge-Menü dagegen, perfekt abgeschmeckt, überraschend komponiert, da haben alle was davon: Leib und Seele. Und wenn man es richtig anstellt, kann man auch damit etwas Geld verdienen.

Jens sah ja ein, dass ein gewisser Sinn darin liegt, sich für das, was man so tut, bezahlen zu lassen. Also betrieb er einen Catering-Service, kochte für Familienfeste – und hoffte, dass die Familien ihn weiterempfahlen. Denn auch das Catering betrieb er zwar gern und gut, aber mit der Werbung hatte er’s nicht so. Er stellte Flyer und Visitenkarten her, und dann verteilte er sie nicht.

Dieses Ding, das man „Erfolg“ nennt, er hat es nicht gesucht. Freunde wunderten sich, dass dieser Mensch so wenig Ehrgeiz hatte. Wozu aber ist der Ehrgeiz da, wenn man auch ohne ihn ein gutes Leben führt? Es gab nie eine Ausstellung mit Jens’ Fotos, na und? Er musste auch kein Kochbuch schreiben, sondern war froh mit den Kochbüchern, die es zu kaufen gab. Was man daraus alles lernen kann!

Die Sache mit den Töchtern

Mit der Musik war’s ähnlich. Er spielte in einer Band, und sie sangen die Lieder anderer. Die waren schließlich schon da und sowieso viel besser als alles, was man sich selbst ausdenken würde.

Einen Umstand in seinem Leben gab es, mit dem er haderte: die Sache mit seinen Töchtern. Er hatte sich von der Mutter getrennt, als sie noch klein waren, die Mutter ist mit ihnen weggezogen, und er ist viel zu selten hingefahren. Als sie größer waren und er längst mit einer anderen Frau, Conni, und deren Sohn zusammenlebte, wurde der Kontakt enger. Sie sprachen miteinander über die Wünsche, die sie gehabt, die Dinge, die sie versäumt hatten. Und waren jetzt füreinander da.

Das war wichtig, als er krank wurde. Der Prostatakrebs wurde entdeckt, da war er 50. Und auch jetzt fand er einen Weg vorbei an allen Erwartungen. Die Ärzte empfahlen Therapien mit schlimmen Nebenwirkungen. Diesen Kampf gegen den Krebs empfand er als einen Kampf gegen sich selbst. Was da in ihm wuchs, gehörte doch zu ihm. Sollte er nicht die Ursachen in sich selbst suchen? Er wandte sich an Alternativmediziner, Psychologen, Ernährungsberater, geriet an echte Helfer und an Scharlatane, erlebte Erfolge und Rückschläge. Und empfand die Besuche in normalen Krankenhäusern immer wieder als fremdbestimmte Zumutung.

Viele zweifelten: Sollte er sich diesmal nicht doch nach der Mehrheitsmeinung richten? Er sagte: „Lasst mich über mein Leben selbst bestimmen.“ Und oft bestärkte er die anderen. Ihm ging es dreckig, die anderen litten, und er machte Witze.

Er lebte noch zehn Jahre. Ob es mehr hätten sein können oder weniger gewesen wären, das weiß niemand. Dass es zehn gute Jahre waren, ist gewiss, denn es waren seine Jahre. Conni war bei ihm, seine Töchter, sein Sohn. Und wenn die Sonne schien, dann setzte er sich in die Sonne.

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