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Hanne Bolz

© privat

Nachruf auf Hanne Bolz (* am 26. Dezember 1951): Verrückt nach Museum

Das Knoblauchhaus im Nikolaiviertel war ihr Heim und ihre Nische. Der Nachruf auf eine, die immer einen Plan hatte.

Im Berliner Nikolaiviertel, genauer in der Poststraße 23, steht eins der wenigen alten Bürgerhäuser, die den Krieg und die Stadterneuerung unbeschadet überstanden haben. Die Familie Knoblauch wohnte einst darin, 170 Jahre war das Haus in ihrem Besitz, 1929 verkauften sie es an die Stadt, die daraus zu Ost-Berliner Zeiten zunächst eine Gaststätte und dann ein Museum machte, das „Museum Knoblauchhaus“. Der gute Geist dieses Museums war viele Jahre Hanne Bolz, wobei sie, dem Äußeren nach, alles andere als eine geisterhafte oder gar verhuschte Erscheinung war. Eher schon ähnelte sie Frau Holle, der ebenso strengen wie liebevollen Märchenmutter, die ihr Zuhause gern in Ordnung hielt, wobei die Ordnung auch für Hanne Bolz eine sehr persönliche Angelegenheit war.

Sie sei verrückt nach Museum, gestand sie dem „Neuen Deutschland“, denn das war der Ort, wo sie für sich ein Zuhause fand, wo sie gebraucht und geliebt wurde. Zur DDR-Zeit sei das Museum für sie eine Art Nische gewesen. Motto: Die Welt ist schlecht, aber ich bin von schönen Dingen umgeben.

Das galt auch stets für ihre Wohnung, auch dort sammelte sie Dinge, die ihr liebenswert schienen, legte sie ab auf ihrem Gründerzeitsofa, sortierte, was zu verschenken, was zu behalten war. „Ich kann mich eben schwer trennen“, seufzte sie kokett, was ihren Mann keineswegs milder stimmte, wenn es zur Entscheidung kam. „Naja, er räumt so gerne auf!“

Ein Pflichtfach, nicht ihr Lieblingsfach

Hanne Bolz wurde in Wallbach geboren, in Thüringen, die jungen Eltern waren mit der wachsenden Familie überfordert und gaben Hanne zu zwei älteren Damen ins Nachbarhaus. Was gut war für ihre Erziehung, aber schlecht für ihr Selbstwertgefühl. Mit 18 wurde sie schwanger. „Noch nicht gekonnt und schon geschafft“, spottete die Oma, was die junge Mutter anspornte, es besser zu machen als ihre Eltern, beim ersten Kind und auch beim zweiten. Von dem Vater der Kinder hatte sie nicht viel zu erwarten, also beeilte sie sich mit ihrem Pädagogikstudium und wurde Lehrerin für Staatsbürgerkunde. Ein Pflichtfach, nicht ihr Lieblingsfach, sie verlor zeitweilig die Stimme und durfte den Schuldienst schließlich verlassen und in die pädagogische Abteilung des Märkischen Museums wechseln. Dann kam die Chance: das Knoblauch-Haus neu gestalten. Endlich ein eigenes Heim!

Hannes familiäre Art der Museumsarbeit band auch die Nachfahren der ehemaligen Eigentümer ein, und natürlich alle Mitarbeiter und Angestellten und die Handwerker, die bei der Restaurierung und Neueröffnung des Hauses beteiligt waren.

„Planloses Arbeiten kann ich überhaupt nicht nachvollziehen“, war einer ihrer Merksätze, den alle zu beherzigen hatten, und ihr Organisationstalent wurde jedem anschaulich in den großformatigen Übersichtsplänen, auf denen sie die Aktivitäten für die vielen Häuser und Einrichtungen verzeichnete, die bald nach der Wende zur „Stiftung Stadtmuseum Berlin“ gehörten. Denn auch nachdem sie die Leitung des Museums abgeben musste, blieb sie im Organisationsstab der Stiftung. Und das Organisieren und Planen blieb eine familiäre Angelegenheit. Kollegen waren immer auch Freunde, für die sie sorgte, wobei sich manche ihrer vereinnahmenden Umarmung sacht wieder entzogen. Es sei denn, es gab Thüringer Klöße; mit denen lockte sie alle an den Tisch.

Hanne war und blieb die „Muddi“, bereitete ungefragt opulente Festmahle, ob im Büro oder bei sich, lud alle an den Tisch, denn allein zu bleiben fiel ihr schwer. Natürlich war Peter an ihrer Seite, den sie in der Wendezeit kennengelernt hatte, aber er kam beruflich mit den neuen Weisen des Wirtschaftens nicht zurecht. Erst kränkelte er mental, dann auch körperlich, was ihr nicht zur Last wurde. Sie war es gewohnt, gebraucht zu werden, aber seine Pflege kostete viel Kraft. Darüber vergaß sie ein wenig sich selbst.

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So lange sie konnte, drehte sie ihre Runden durch Prenzlauer Berg, im Fahrradkorb Hündchen Polly, ein süßer Kläffer, der früh vermeldete, dass es den Weg frei zu machen galt. Noch immer war sie eine eindrucksvolle Erscheinung, die grauen langen Haare zum Dutt geknotet, drum herum ein Tuch, wallende Gewänder, starke Farben. Ungern verreiste sie, schon des Hündchens wegen, innerhalb des S-Bahnrings war Exotik genug für sie. Zumal sie kulinarisch längst in die Ferne geschweift war und neben den immer wieder gern verlangten Klößen auch gelegentlich eine asiatische Kokossuppe auftischte.

Aber irgendwann wurde ihr auch das zu viel, und sie zog mit Peter zurück nach Thüringen, ins Haus der beiden alten Damen, das sie geerbt hatte. Es hätte sehr schön sein können im kleinen Dorf, viel in der Natur, obwohl sie alle sportlichen Anstrengungen mied, und im nahe gelegenen Meiningen, wo sie sich ein klein wenig in die Kulturarbeit einbringen wollte. Aber dann starb Peter, und ehe sie in ein eigenes Leben finden konnte, kam die Diagnose Krebs, und auch wenn alle hofften, dass es wieder gut werden würde, reichte ihre Kraft doch nicht.

Sie ließ sich unter einem Baum beerdigen, im Ruhewald, aber eine größere Gesellschaft zum Abschied hätte sie sich schon gewünscht. Von Corona ahnte sie ja nichts und sah schon all die Freunde und Bekannten voll Vorfreude an ihrem Grab. „Sucht einen schönen Termin im Frühjahr aus.“ Dieser letzte Wunsch wurde ihr nicht erfüllt, aber vielleicht der allerletzte, ein Vers aus einem Gedicht, das ihr ein Freund geschrieben hat: „Auf die Wolke wunderzart möcht ich getragen werden.“ Zu Frau Holle, ins Wolkenhaus.

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