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Frank-Kirk Ehm-Marks

© privat

Nachruf auf Frank-Kirk Ehm-Marks: Bergab mit Karacho

Er war ein Kind vom Bahnhof Zoo. Und lebte länger als die meisten anderen. Denn wenige haben ihr Selbstbetrugsdezernat so offengelegt wie er.

Du willst schreien / es herausschreien / die Wut die in Dir frisst / die Dämonen die Dir / Angst machen benennen / Loslassen einfach loslassen. So heißt es in einem seiner Gedichte. „Schreibe, schreibe, male, male“ war Frank-Kirk Ehm-Marks’ Überlebensmotto. Heroin und Methadon sind keine Spaßdrogen, süchtig war er bis zum Schluss. Wenige haben ihr eigenes Selbstbetrugsdezernat so offengelegt wie der Kreuzberger Künstler, der dem Absturz ein Universum an Texten und Bildern abgerungen hat, bis nichts mehr ging. Die Generation der „Kinder vom Bahnhof Zoo“ hat einen ihrer letzten Überlebenden verloren.

Irgendwie klebte Frank schon die Scheiße am Schuh, als er geboren wurde. Auch wenn seine Mutter ihn nach Kirk Douglas benannte, ein schöner Film wird sein Leben nicht, statt Glam-Faktor eher Arsenikblüte. Der Vater ist Ganove und Säufer, immer auf der Flucht, die Mutter folgt ihm blind. Aus West-Berlin sind sie nach Bad Kreuznach geflüchtet, wo Frank zur Welt kommt. Als er drei Monate alt ist, lassen sie ihn bei den Großeltern und gehen in die DDR, kurz vor dem Mauerbau, Flucht vor der Justiz. Seine vielköpfige Familie lernt Frank erst nach der Wende kennen, Knasterfahrung haben einige.

Frank wächst in der beschaulichen Gartenstadt Spandau auf, sein Stiefopa, Altkommunist und SEW- Funktionär, ist überfordert, kontert alles, was der Junge falsch macht, mit preußischer Härte. Frank wird am Herz operiert, liegt lange im Krankenhaus. In der Schule kommt er nicht klar, mit 16 ist Schluss ohne Abschluss. Richtig lesen und schreiben kann er nicht, er taucht ab in die Drogen- und Stricherszene am Bahnhof Zoo. In dem Film über Christiane F. spielt er nur eine Kleinrolle, sich selbst. Aber er hat fast alle überlebt.

Mit verwegenem Grinsen und leeren Taschen

Als er im Herbst 1979 Susanne kennenlernt, wird nicht alles besser, aber vieles anders. Mehr als 40 Jahre bleiben sie verbunden, zwischen Himmel und Hölle. Eigentlich hat die Jurastudentin in der Kreuzberger Kifferkneipe „Jodelkeller“ einen anderen erwählt, aber der kommt abhanden. Da steht nun Frank mit verwegenem Grinsen und leeren Taschen auf der Suche nach einem Pennplatz und vielleicht mehr. Praktisch, dass sie gleich um die Ecke in der Oranienstraße eine kleine Wohnung hat, ein großes Herz und ausgeprägte Nehmerqualitäten sowieso. Dass der neue Freund auch lebenslanger, kräftezehrender Mandant wird, kann sie ja nicht wissen. Als linke Anwältin kümmert sie sich um Randexistenzen. Wohnen tun die beiden nun gemeinsam im sogenannten „Irrenhaus“, wo es häufiger brennt, die Beziehungsprobleme mit der Axt oder der Polizei geklärt werden und Drogen aller Art verfügbar sind. Eine Umsetzwohnung nimmt den Druck raus.

So schön das kleine Heim ist, Frank zieht es immer wieder raus. Da werden Häuser besetzt, Punks und Trebekids wie er kommen dort unter, bis die verhasste Polizei räumt. In der Adalbertstraße 6 ist er einer der Erstbesetzer, schreibt Texte für Flugblätter, nimmt weiter Drogen und lernt viele ähnlich Verpeilte kennen. Susanne hilft ihm beim Lesen- und Schreibenlernen. Gemeinsam lesen sie „Todestrieb“ von Mesrine. Für Verbrecher zeigt Frank lebenslang eine große Sympathie, auch wenn er selbst nur der Klein- und Beschaffungskriminalität verhaftet bleibt. Welche Rolle er in den militanten Kämpfen der Hausbesetzerbewegung spielt, bleibt verschwommen oder Teil einer persönlichen Legendenbildung.

Eins seiner Bilder aus dem Jahr 1994
Eins seiner Bilder aus dem Jahr 1994

© privat

Frank entdeckt die Welt der Bücher und der Kunst, findet seine Fixpunkte an den Rändern des Bildungskanons: Charles Manson, Céline, Villon und natürlich Charles Bukowski. Er begibt sich auf kalten Entzug, ringt um Worte und Motive, nüchtern wie nie, hat eine Bestimmung: die Zeit nicht mehr totschlagen, er hat genug davon verloren. Er malt und zeichnet im Stil der Art brut, auch seine Texte: verstörend, krass, poetisch. Social Beat nennt sich die Literaturbewegung, die das Leben jenseits der Komfortzonen zeigt. Mit seiner Vorgeschichte eine Punktlandung. Auch wenn er wie Bukowski zeitlebens von Lampenfieber gequält wird. Eine Rampensau wird er nie.

Sie weiß nicht, in welchem Zustand sie ihn findet

Susanne sieht das Potenzial und sein Aufblühen, auch wenn die Motivspender seiner selbstzerstörerischen Seite geschuldet sind. Todessehnsucht ist nicht nett, schon gar nicht in einer Liebesbeziehung. Frank stürzt wieder ab. Sie weiß nicht, in welchem Zustand sie ihn findet, wenn sie von der Arbeit kommt. Diesmal Entzug mit Methadon, er reißt sich zusammen für mehr als ein Jahrzehnt. Mit den Büchern „Das Glück auf der Hollywood-Schaukel“ und „Eintöniges Leben in schmucklosem Raum“ wird er einem etwas größeren Publikum bekannt. Er lebt von Kaffee und Zigaretten, tritt bei Lesungen mit Undergroundikonen auf, hat seinen Suchtdruck im Griff. In der „Mongo-Bar“, einem kurzlebigen Kreuzberger Souterrainclub, ist er der einzig Nüchterne hinterm Tresen und im Raum.

Dann geht’s wieder bergab mit Karacho. Es fängt mit dem Verkauf von Hasch an Tresenleute an, Freigetränke im Gegenzug, Zigaretten, die er am Bein ausdrückt, um sich abzustrafen. Vom Alkohol zum Heroin ist es ein kleiner Schritt. Er holt alle Bilder aus seiner Ausstellung raus, samt Bilderrahmen, die nicht seine sind, und verscherbelt sie zu Sonderpreisen, um sich am Kottbusser Tor mit Heroin einzudecken. Er schreibt weniger, Bilder lassen sich leichter verkaufen für den schnellen Schuss. Auch wenn er die Leinentasche mit seinen Unikaten immer mal verliert.

Er und Matt Grau: Das Kreuzberger Kasperltheater
Er und Matt Grau: Das Kreuzberger Kasperltheater

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Mit seinem Freund Matt Grau betreibt er das trashige „Kreuzberger Kasperletheater“. Mit alten Puppen und neuen Inhalten, je nach Rauschzustand choreografiert oder desolat, bespielen sie Galerien, Kneipen und Festivals. Mit Klobürsten prügeln sie auf Tannenzäpfle-Bier, Polizisten und die bösen Gentrifizierer ein. Entsetzte Eltern ziehen ihre Kinder weg, der Rest lacht und applaudiert. Susanne schmeißt ihn raus, nachdem er eine Beziehung mit der Kellnerin seiner Lieblingskneipe eingeht. Aber sie nähern sich wieder an.

2017 eine Gehirnblutung, Susanne wird seine Betreuerin. Er verliert die Sprech- und Lesefähigkeit, sein Kurzzeitgedächtnis, die Mobilität. Kämpft sich mühsam zurück. Sie freut sich über jede kleine Verbesserung. Aber viel besser wird’s nicht mehr. Im Gegenteil.

Dank Susanne ist es dann kein Armenbegräbnis. Viele finden den Weg dorthin, erschüttert, nicht überrascht.

[Wir schreiben regelmäßig über nicht-prominente Berliner, die in jüngster Zeit verstorben sind. Wenn Sie vom Ableben eines Menschen erfahren, über den wir einen Nachruf schreiben sollten, melden Sie sich bitte bei uns: nachrufe@tagesspiegel.de. Wie die Nachrufe entstehen, erfahren Sie hier.]

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