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Else Ackermann (1933-2019)

© privat

Nachruf auf Else Ackermann (Geb. 1933): „Dann los, wir müssen weiter“

Sie arbeitete an den Instituten, als es Professoren noch schwer fiel, Professorinnen neben sich zu dulden. Zumal wenn sie so selbstbewusst auftraten.

Die jungen Männer würden sich gern ein wenig ausruhen. „Vielleicht hier, in diesem Café?“, ruft einer. „Sehen Sie, Else, die Kellner servieren den Kaffee in den traditionellen Stieltöpfen!“ Else, die hochgewachsene Dame von 83 Jahren, schreitet mit geradem Rücken und langen Schritten auf den Straßen der armenischen Hauptstadt voran. Die drei Männer hinter ihr sind Anfang 30. Else dreht den Kopf. „Gut“, bestimmt sie, „wir werden uns eine halbe Stunde setzen.“ Die vier setzen sich, der Kaffee kommt, es duftet nach Kardamom, sie strecken ihre Beine aus.

„Habt ihr ausgetrunken?“ Elses Stimme fährt schneidend in die matten Köpfe. Eine Antwort ist nicht vorgesehen. „Dann los, wir müssen weiter.“ Else gibt den Takt vor. Auch am Abend, denn am Abend werden die Eindrücke des Tages theoretisch fundiert.

Die jungen Männer wussten, worauf sie sich einlassen, wenn sie eine solche Reise mit Else Ackermann antreten. Sie wussten vor allem, dass sie Dinge sehen und lernen würden, die ihnen sonst entgangen wären, und ungebildet war nun wirklich niemand von ihnen. Die Kraft, die von dieser Frau ausging. Kein seichtes Dahinplätschern in den Gesprächen, keine Verstrickung in irgendwelche emotionalen Zustände. Sie legte Themen vor, und diese Themen analysierte man, streng und folgerichtig und ganz Schiller zugetan: „Mein unermesslich Reich ist der Gedanke, und mein geflügelt Werkzeug ist das Wort.“

Wobei die Themen keineswegs willkürlich ausgewählt waren. Sie hatte den Nationalsozialismus erlebt und die DDR, sie hatte sich umgesehen in der Welt und wusste, wohin es führt, wenn das offene Wort und der freie Austausch fehlen. Moral und Ethik, von diesen Begriffen war sie ganz und gar durchdrungen, diese Begriffe handelt man nicht schnell bei einem Kaffee in der Nachmittagssonne ab. Immanuel Kant hatte seine Jahre auch nicht in Cafés vertrödelt. „Das Gewissen ist der innere Gerichtshof des Menschen“ – mit dem Kantzitat betitelte sie einen ihrer Aufsätze.

Sie war ein Papier- und Büchermensch. Las Rousseau. Erledigte Tag um Tag lange Korrespondenzen, alles von Hand und mit Tinte geschrieben. Legte ihren Ausführungen Zeitungsartikel und eigene Übersetzungen, beispielsweise des Briefwechsels zwischen Voltaire und Friedrich dem Großen, bei. Dozierte. Verteilte Bücher. Ließ Schludrigkeiten nicht durchgehen. Wovon einer der Armenienreisebegleiter ein Lied singen konnte. „Hier, schon wieder ein Kommafehler“, schalt sie, über seine Masterarbeit gebeugt. „So geht das doch nicht!“ Und der Gemaßregelte beeilte sich, letztlich dankbar, die Fehler zu korrigieren.

Dann aber muss gehandelt werden...

Immerhin saß vor ihm die erste Frau, die in Deutschland im Fach klinische Pharmakologie habilitiert wurde. Ihr Forschungsgebiet: der Arzneimittelstoffwechsel in der Leber und die Entwicklung von Medikamenten gegen Krebs. Noch zu DDR-Zeiten ließ man sie an einem pharmakologischen Institut in Stockholm arbeiten, dabei war sie nicht mal in der SED.

Else stürzte sich geradezu in die Wissenschaft, ging nach Dresden, Buch und an die Charité. Ein Mann? Nein. Vielleicht wirkte sie ein wenig abschreckend auf Männer. Sie forderte viel. Erfüllen konnte Elses Erwartungen letztlich keiner.

Sie arbeitete an den Instituten, als es Professoren noch schwer fiel, Professorinnen neben sich zu dulden. Zumal wenn sie so selbstbewusst, geradezu feministisch auftraten. Sie mochte Spitzenbluse und elegante Röcke tragen, aber immer wieder mahnte sie die Bildung und die ökonomische Unabhängigkeit der Frauen an.

Nach dem Krieg hatte sie in einem Frauenhaushalt in Neuenhagen bei Berlin gelebt, zusammen mit Großmutter, Mutter, Tante und Schwester. Der Vater war von den Kommunisten in ein Lager gebracht worden und kam dort ums Leben. Die Familie wurde darüber nicht informiert. Dennoch engagierte sie sich später in einer der Blockparteien, in der Ost-CDU. Ein Wissenschaftler, so ihre Überzeugung, hat nicht in seinem Elfenbeinturm zu verschwinden. Man kann sich über die Zustände aufregen, durchaus, dann aber muss gehandelt werden. Sie bewies Mut, als sie 1988 mit ihrer CDU-Ortsgruppe den sogenannten „Neuenhagener Brief“ an die Parteispitze schrieb. Darin ging es um die fehlende Demokratie im Land und um die Ausreisewelle. Die Staatssicherheit beobachtete sie, ein Ermittlungsverfahren wurde eingeleitet. Und verlief schließlich im Sande, als es mit der DDR zu Ende ging.

Else Ackermann blieb in der CDU, auch als die eine vollkommen andere Partei wurde. „Ich erfülle nur meine Pflicht“, sagte sie und rieb sich auch im neuen System weiter auf. Das Land lag ihr am Herzen, Europa ebenso. Die Kleinlichkeiten in den Parteigremien, das Männerbündnerische gingen ihr gehörig auf die Nerven. Als Abgeordnete im Bundestag, kurz nach der Wiedervereinigung, fiel sie auf. „Wer ist denn die Lange da aus den hinteren Reihen?“, wollte Helmut Kohl wissen. Als sie den Männern ihres Ortsverbandes Frauenfeindlichkeit vorwarf, wollten die sie rauswerfen. Eine Provinzposse, eine Beleidigung für ihre Intelligenz.

So standhaft blieb sie, auch am Ende. Der verdammte Krebs. Sie ließ sich operieren, eine Chemotherapie lehnte sie ab. Las und schrieb und stritt, bis es nicht mehr weiterging.

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