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 Ditmar "Jacki" Dunke (1963-2019) irgendwann in den Achtzigern.

© privat

Nachruf auf Ditmar "Jacki" Dunke (Geb. 1963): Kaputt, zäh, Punk

No future? Kann doch keiner ahnen, dass sich eine Gegenwart ohne Zukunft elend lange hinzieht. Irgendwann ist trotzdem Schluss.

Schon seine Geburtstagseinladungen konnten grenzwertig sein. 20. Januar: Angrillen im Görlitzer Park. Wer im Schneetreiben kam, wurde mit warmem Dosenbier empfangen. Der Grill fiel aus, Bratwürste kann man auch roh essen. Ist halt Punk. Dann bleckte er seine restlichen Zahnstummel und lachte in die kleine Runde. Einer, der Wodka mit Milch trinkt, hat halt keine Hemmungen.

Beim Geburtsdatum schummelte Jacki, hatte selbst seinen Personalausweis entsprechend überklebt. Er machte sich Jahre älter, damit sich keiner wunderte, warum er so kaputt aussah. Eine Stil-Ikone im Kilt, die Kutte mit Hunderten von plattgeschlagenen Kronkorken in mühsamer Handarbeit verziert. Aber irgendwann steht alles still. Kein Sound mehr, kein Krawall. Nur Krankenhaus. Ausgefeiert.

Ditmar, den alle Jacki nannten, verkörperte Punk, Kaputtheit und Zähigkeit wie kaum ein anderer, Ratten-Jenny vielleicht ausgenommen. Warum das alles so kam, ist schwer zu beantworten. Die meisten seiner alten Kumpels können dazu nix mehr sagen. Sie sind ihm vorangegangen ins Nirwana: Schnorrer, Schmutzfuß, Jesus. Jacki war härter, auch wenn er noch so fertig aussah.

Jahrzehntelang nichts anderes tun ist natürlich anstrengend

Mit großer Klappe und Charisma lavierte er sich durch sein Leben und seinen Niedergang, die monatliche Gage für die Performance kam vom Amt. Ausbildung und Arbeit? Vergiss es. Jacki war ein Asselpunk, Kind einer Bewegung, die auf alles kotzte, was sie für Establishment hielt. Jahrzehntelang nichts anderes tun ist natürlich anstrengend. Aber wer von denen glaubte jemals an Jahrzehnte? No future! Kann doch keiner ahnen, dass sich eine Gegenwart ohne Zukunft elend lange hinzieht.

Im gutbürgerlichen Wilmersdorf wuchs er bei seinen Großeltern auf, weil seine Mutter allein war und als Zahnarzthelferin viel arbeiten musste. Als sein geliebter Opa starb, war er 17 und hatte mit der Schule und den landläufigen Erwartungen eh nichts mehr im Sinn. Erste brachiale Orientierungsphasen in Sachen Drogen, Skinhead und Punk lagen bereits hinter ihm.

Bald tauchte er in Kreuzberg unter, in besetzten Häusern oder Jugendzentren wie dem „TEK“, wo der Sänger der „Vorkriegsjugend“ arbeitete und die Gäste nicht immer rechtzeitig die Klos fanden. Überall traf er Kerls von seinem Schlag, Trebekids mit Irokesenhaarschnitt aus Westdeutschland, von dem es hieß, dass es noch viel weiter entfernt sei als Wilmersdorf. Jackis Rolle in der Musik- und Besetzerszene bleibt etwas verschwommen; er gehörte zu den Verweigerern, die keinen Dialog mit dem Senat und „seinen Schergen“ führten, um die Häuser zu legalisieren und mit Staatsknete zu sanieren. Mit den Studis und Verhandlern, die ihre Schäfchen ins Trockene bringen wollten, hatte er nichts zu tun.

Dann der Mauerfall. In den Osten, wo Punk und Hausbesetzungen ein Revival feiern, zieht es ihn nicht. Zu viele Nazis. Seine Jugend ist dahin, die Zähne und die Gesundheit sowieso. Jacki lebt nun auf der Straße, vor allem auf der Oranienstraße. Hier gibt es Kneipen, Konzerte und Unterstützer aus dem alten Leben, die ihn wertschätzen. Er schläft in Nachtkneipen, Parkhäusern, Hauseingängen. In der Galerie „endart“ steht ein großer Eimer, in den er reinkotzt, wenn er nichts mehr in sich reinschütten kann. Mit der Kunst dort, einer Melange aus Dada, Pornografie und Punk, kann er zwar wenig anfangen, aber er gehört halt irgendwie mit zur Familie. Den neuen Pseudopunks auf der Straße macht er Angst, denn denen ist er dann doch ein bisschen zu kaputt.

So geht’s nicht weiter

Das tägliche Ritual wird langsam öde: aufstehen, saufen, umfallen, wieder aufstehen, weitermachen, dazwischen kleine Intermezzi, wenn die Polizei mal wieder versucht, die Punks aus der Öffentlichkeit zu drängen, und kläglich scheitert. Selten gibt es noch Höhepunkte wie ein Konzert der „Dickies“, der schnellsten Band der Welt. Aber eigentlich ist klar, so geht’s nicht weiter.

Ein Männerwohnheim der Kirche wird ab 2001 zu seiner letzten Station. Freiwillig zieht er hier ein, es darf getrunken werden. Er integriert sich auf seine Art und wird alt, was ein Berliner Fernsehsender in einem Bericht über die Punks vom Kottbusser Tor mehr als zehn Jahre zuvor nicht für möglich gehalten hätte: „Das ist Jacki. Er hat vielleicht noch drei Monate zu leben!“

Denen zeigt er’s jetzt. Er lernt Festnahrung zu schätzen und das Kochen mit den Mitbewohnern. Sie haben gemeinsame Erinnerungen an die Achtziger und das wilde Kreuzberg, gemeinsam sind sie vor die Hunde gegangen, gemeinsam versuchen sie zu überleben.

Dass Jacki etwas ruhiger wird, liegt auch an Steffi, die wie er die Abgründe des Lebens kennt. Zusammen machen sie am Monatsanfang noch die übliche Kneipentour, träumen aber auch von einer gemeinsamen Wohnung und einem anderen Leben. Sie darf sogar bei ihm im Wohnheim übernachten. Jackis Mutter kommt zu Besuch, bringt Krabben und Geld vorbei, und Jacki kann seinen Mitbewohnern auch mal einen ausgeben.

Aus Streichhölzern baut er fragile Gebäude. Seinen Plan, das World Trade Center nachzubauen, kann er nicht mehr vollenden. Immer wieder muss er ins Krankenhaus, das er so hasst. Früher, nach Trinkunfällen, machte er sich einen Spaß, mit Kanülen und im Patientenhemd seine Kneipen aufzusuchen. Zurück im Wohnheim hat er dann erzählt, er habe Nazis verhauen. Jetzt spricht er kaum noch, kommt nicht mehr klar. Jetzt wird gestorben, der Krawall ist vorbei.

Auf der Beerdigung hallt er noch mal nach. Zwei alte Recken mit Akustikgitarren spielen „Für immer Punk“ von den „Goldenen Zitronen“. Sie haben den holpernden Text verteilt: Es ist jetzt vorbei und es war doch schön / Wir blieben gern hier, doch wir müssen nun gehen / Alles hat ein Ende, weiß doch jeder von euch / Auf Wiedersehn.

Ein paar Trauernde versuchen mitzusingen, manche murmeln mit. Die Mutter scheint gerührt. Und Jackis Kutte soll ins Bezirksmuseum.

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