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Dietrich Klakow

© privat

Nachruf auf Dietrich Klakow: Lederschürze, Höllenlärm

Sicher war er enttäuscht, dass der große Erfolg ausblieb. Aber deswegen etwas anderes erschaffen? So renovierte er neben der Kunst halt Häuser.

Es war schon dunkel, draußen schimmerte der Mond. Behutsam weckte der Vater sie, hob sie aus dem Bett, trug sie zum Fenster und zeigte nach oben. „Schau, da landen gerade Menschen auf dem Mond.“ Dann erklärte er ihr alles über Apollo 11, die erste Mondlandung der Menschheit, und dass man im Weltraum so leicht ist, dass man schwebt. Fünf Jahre war sie da alt, es ist ihre erste Erinnerung an den Vater. Dietrich Klakow hieß er, von Beruf Schlosser und Kunstschmied, Lehrer und Bildhauer, Wohnungsrenovierer und Hausbauer.

Dietrich liebte das Erklären. Der Bautz-Weltatlas, ein kunsthistorischer Führer aus der DDR, das Grundgesetz, ein Buch übers Potsdamer Abkommen, all das stand griffbereit neben dem Esstisch. Hatte eines seiner Kinder eine Frage oder rätselten seine Freunde beim Weinabend über ein Detail, schlug Dietrich nach. War es hier nicht zu finden, stand er auf, ging an den Bücherschrank und suchte weiter, Duden, Atlanten, Lexika. Alles da, in mehrfachen Ausgaben und Jahrgängen. Fragen waren nicht dazu da, unbeantwortet zu bleiben.

Die Kinder verstanden nicht alles, was er ihnen erklärte, aber es war schön, seine ernste Aufmerksamkeit zu spüren. Als Lehrer war er auch so. An den Kunstwerken seiner Studierenden fuhrwerkte er nicht herum, er machte keinen runter, so wie er es selbst noch als Student erlebt hatte. Er wollte, dass sie auf die Ideen kamen, dass sie selbst ihre Ausdrucksformen fanden. Manchmal zeigte er ihnen dann, wie er es machen würde.

Dietrich und seine Joan. Er kam aus Brieselang, DDR. Sie aus New York, USA. Sie studierten an der Hochschule der Künste in West-Berlin im selben Grundkurs. In den Pausen blieb er drinnen und arbeitete weiter, einen Fuß auf dem Tisch, den Kopf über die Zeichnung gebeugt. Das kann doch nicht bequem sein, dachte sie und sprach ihn an. Sie lachten miteinander, es wurde ein Berliner Sommer, es gab eine Party. Und was machte dieser Dietrich da? Er tanzte mit einer anderen! Joan lief enttäuscht los. Keine Spielchen mit ihr. Dietrich lief ihr bis nach Hause hinterher und sagte ihr: Du bist es! Es war eine Liebe, die wuchs.

Die abstrakten Werke verkauften sich nicht leicht

Wie neugierig er war, wie mutig! Mit 16, damals war er noch Schlosser- und Kunstschmied-Lehrling, war er mit dem Fahrrad nach Kassel gefahren, zu seiner Oma, hatte sich dort einen BRD-Ersatzausweis besorgt, und weiter ging’s bis Holland. Da fotografierte er Kirchen und Plastiken, um sie seinem Vater zu zeigen, der war ein erfolgreicher Bildhauer, der sich auf unverfängliche Kinder- und Tierstatuen spezialisiert hatte.

Anpacken konnte Dietrich auch. Sicher war er enttäuscht, dass der große Erfolg ausblieb; seine rauen, abstrakten Werke verkauften sich nicht leicht. Aber deswegen etwas anderes erschaffen? Nein, er verbog sich nicht. Aber weil er eben auch pragmatisch war und die Kinder was zu essen brauchten, renovierte und baute er, Wohnungen, Häuser, wo auch immer er gebraucht wurde. Sparen war das oberste Gebot, er hob Paketschnüre auf, faltete das Papier, um es wiederverwenden zu können. Vom knappen Geld leisteten sie sich alle zwei Jahre eine Reise nach Puerto Rico. Dort hatten Joans Eltern ein Grundstück, auf dem sie ein Haus errichten wollten. Dietrich baute es für sie, die Arbeiter vor Ort lernte er an. „Meine Eltern waren so glücklich mit ihm“, sagt Joan. Selbstverständlich bezahlte er später seinem Sohn das Studium in den USA.

Joan, Dietrich und ihre drei Kinder lebten in einer diesen lang gezogenen Berliner Wohnungen, dreieinhalb Zimmer, erster Stock, Steglitz. Drunter, in der alten Bäckerei, hatte Dietrich sein Atelier. Hier vergaß er die Zeit. War das Essen fertig, schickte Joan die Kinder runter. Die standen dann in der Tür und bestaunten ihren Vater, wie er in seiner Lederschürze einen Höllenlärm machte, wie er mit dem Schweißgerät die Funken sprühen ließ. Er arbeitete vor allem mit Metall. Die Teilung Deutschlands war ein großes Thema für ihn. 1962, ein Jahr nach dem Mauerbau, verblutete der junge Peter Fechter auf dem Berliner Todesstreifen. Ein Ereignis, das West-Berlin erschütterte, ein Ereignis, das Dietrich und seine Mitstudierenden in Plastiken verarbeiteten. Der kleine Torso, der mit der Schulter auf den Boden stürzt, steht immer noch in der Wohnung der Klakows.

Dietrich durfte seine Eltern nach dem Mauerbau nicht besuchen, jahrelang. Er in West-Berlin, seine Eltern in Brieselang. Joan fuhr jede Woche mit den Kindern rüber, damit sich wenigstens die Enkel und die Großeltern zu Gesicht bekamen. Irgendwann durfte er immerhin nach Ost–Berlin einreisen und dort seine Eltern wiedersehen. Später, als Dietrich Bildhauer-Lehrer an der Universität in Hannover war, unternahm er mit seinen Klassen Kunstreisen durch die DDR, nach Dresden, zum Magdeburger Dom, nach Naumburg. Sie hatten Bewacher an der Seite, aber das machte ihnen nichts.

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Lehrer blieb er bis zur Rente, fuhr für drei Tage in der Woche nach Hannover. Brachte sich selbst den Bronzeguss bei. Arbeitete in seiner Werkstatt an immer neuen Objekten, stoisch. Mit Joan klapperte er an den Wochenenden die Flohmärkte ab. Sie suchten nach altem Kinderholzspielzeug, das war ihr Spleen. Als sie noch gar keine Kinder hatten, standen sie vor diesen winzigen Holzfiguren aus dem Erzgebirge: „Die kaufen wir, vorsorglich.“ Und als die Kinder längst groß geworden waren, wuchs die Sammlung weiter.

Dietrich war nun selbst Opa und erklärte der nächsten Generation mit Ernsthaftigkeit und Liebe die Welt. Bis er an Gallenkrebs erkrankte, eine seltene Art, ohne Chance auf Heilung. Im Krankenhaus fühlte er sich eingesperrt, er wollte nach Hause. Dort besuchten sie ihn alle. Seine Tochter zeigte eines Abends auf den Mond da draußen, erinnerte ihn daran, wie er ihn damals ihr gezeigt hatte, und sagte, dass er ein guter Vater war, der beste, den man sich wünschen kann. „Dann habe ich ja nicht nur Mist gemacht“, antwortete Dietrich Klakow.

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