zum Hauptinhalt
Daniel Bogdan

© privat

Nachruf auf Daniel Bogdan (Geb. 1969): „Wir verkaufen Glück"

Er hat sich gewöhnt an die Berühmten und die Reichen. Nur manchmal noch bekommt er Herzklopfen. Der Nachruf auf einen Aufmerksamen

Gendarmenmarkt, die Weinhandlung „Lutter & Wegner“. Einige Herren mit distinguierter Miene und Einstecktuch, andere in Happy-Hour-Lässigkeit. Einige Damen mit sorgsam übereinandergeschlagenen Knien, andere mit rubinrot leuchtenden Lippen. Zwischen ihnen bewegt sich geschmeidig ein hochgewachsener Mann, schwarze Hosen, weißes Hemd, goldene Fliege, goldene Hosenträger, und reicht Wein, Kaffee, Likör. Die Tür wird geöffnet, die Hitze der Nachmittagssonne drängt für einen Moment in den kühlen Raum, Daniel eilt dem eintretenden Paar entgegen, läuft ihnen dann mit einer winkenden Armbewegung voran, führt sie zu einem freien Platz. Auf der Oberlippe der Dame glänzen feine Tröpfchen. „Darf ich Ihnen zunächst eine Erfrischung bringen?“, wendet er sich lächelnd an sie. Sie haucht ein erschöpftes „Bitte“, erst jetzt legt er die Menukarten auf den Tisch.

Immer mehr Menschen strömen hinein. Ein junger Schauspieler, dessen Gesicht oft in den Zeitschriften erscheint, hebt seine Hand, Daniel nickt und bringt ihm einen Tee, der Schauspieler hat den Eindruck, zwischen seinem Zeichen und Daniels Nicken sei keine Zeit verstrichen. Einer Schauspielerin, deren Haut ein wenig zu straff gespannt scheint, und die ihr Gesicht gern wieder einmal in einer Zeitschrift sehen würde, serviert er diskret den dritten Cognac. Aber keiner der Kellner achtet darauf, dass seit zwei geschlagenen Stunden die immer selbe Chris-de-Burgh-CD in Dauerschleife läuft. Bis ein Mann von Mitte 60 aufsteht, zu Daniel geht und sagt: „Es ehrt mich, dass Sie meine Musik mögen, doch können Sie jetzt gern auch etwas anderes spielen.“

Daniel begegnet ihnen, den Berühmten und den Reichen, Tag für Tag, er hat sich an sie gewöhnt. Drei Mal aber fühlt er sich wie ein Mädchen mit Herzklopfen: Bei Peter Ustinov, bei Ben Kingsley und bei Martin Gore. Vor allem Martin Gore, der Blondgelockte von „Depeche Mode“, den Helden seiner Jugend. Einer Jugend in Lichtenberg. Der Vater Schneider, die Mutter Hausfrau, zwei ältere Geschwister, er, der Nachzügler, das Nesthäkchen. In den Achtzigern besucht er Punk-Konzerte, sein blonder Irokesenhaarschnitt, der wilde Pogotanz. Was er mal werden will? Grafiker! Naja, ein Traum. Genug Ausbildungsplätze gibt’s bei der Mitropa, direkt im Ostbahnhof, wo es, abgesehen von Keksen und Bockwürsten, so gut wie nichts gibt. Er bringt die Lehre hinter sich, die Mauer fällt, er arbeitet in Bars, mal hier, mal dort. Fährt 1997 am Gendarmenmarkt vorbei, an der Baustelle des „Lutter & Wegner“, welches demnächst eröffnen soll, und weiß auf der Stelle: Da will ich hin.

„Wir verkaufen Glück, nicht einfach ein Glas Wein“, sagt er, „du musst dir die Namen der Gäste merken und ihre Geschichten, egal, wie viel Trinkgeld jemand da lässt. Du musst sie bewirten, als hättest du sie zu dir nach Hause eingeladen.“

Obwohl er selten jemanden bei sich zu Hause bewirtet. Er geht lieber raus, spaziert durch die Straßen, vor allem freitags und samstags, seinen freien Tagen, isst irgendwo zu Mittag, trinkt hier einen Riesling, dort einen Espresso. Hat immer eine Plastiktüte dabei, worüber sich seine Freunde lustig machen: Daniel, der Akkurate, der so auf sein Äußeres achtet, und dann diese Stillosigkeit. Allein seine Haare, die in David-Beckham-Art zu sitzen haben. Er wäre schockiert gewesen, erzählen sie und müssen lachen, hätte er sich selbst aufgebahrt in der Kapelle gesehen. Diese Frisur, ein Graus. Dann hören sie auf zu lachen. „Alle haben ihn geliebt“, sagen sie, und das klingt nicht wie eine Floskel. Einen Abend lang hilft er im „Go-Gärtchen“ aus, seinem Friedenauer Stammlokal, wo er nach Feierabend mit den Freunden sitzt. Läuft zwischendurch rasch auf die Toilette, der Rückweg aber dauert ewig: An Tisch zwei verwickelt man ihn in ein Fußballgespräch, an Tisch vier hilft er einer älteren Dame plaudernd in den Mantel, an Tisch fünf taucht er mit den Gästen in 80er-Jahre-Erinnerungen. Und immer so weiter.

Es ist diese Mischung aus Empathie, Charme und Struktur. Er hätte die Restaurantleitung des „Lutter & Wegner“ übernehmen können, doch das wollte er nicht, er wollte den Kontakt zu den Gästen. „Er konnte eine Anekdote nach der anderen erzählen“, sagt Daniela. Mit Daniela hat er die letzten Jahre zusammengelebt. Daniel und Daniela, „das Doppel-D“, wie sie die anderen nennen. Oder auch „Crazy-D“, je nach Grad ihrer Leidenschaft. Schon die erste Begegnung: Er feiert seinen Geburtstag in einer Bar mit zwei Freunden, sie sitzt am Nebentisch mit zwei Freundinnen. Irgendwann geht den Frauen das laute Gelächter der Kerle auf die Nerven. Daniela sagt einen gereizten Satz, Daniel reagiert, ebenso gereizt. Dann wird der Ton verspielter, der Blick weicher. Er bringt sie nach Hause, es dämmert bereits, sie legt sich ins Bett, er deckt sie zu und geht dann, für diese Nacht.

„Er konnte so aufmerksam zuhören“, erzählt Daniela weiter. „Wie er sich Jean, seiner Tochter aus einer früheren Beziehung, zugewandt hat, obwohl sie sich jahrelang ja nur an den Wochenenden gesehen haben.“

Dann kommt Silvester. Sie feiern in einer Bar, ein eher ruhiger Abend. Sie laufen nach Hause. „Gute Nacht, schlaf schön.“ – „Ja, du auch.“

Am Morgen findet Daniela Daniel, tot. Ein Gefäß? Das Herz? Was spielt das jetzt noch für eine Rolle.

Zur Startseite