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Christa Vielhauer

© privat

Nachruf auf Christa Vielhauer: Erst die anderen

Nicht laut und polternd war ihr Wille, aber doch stetig und energisch. Eingesetzt hat sie sich dennoch mehr für andere als für sich selbst

Als Dreifachmutter und Vollzeitlehrerin hätte Christa Vielhauer sicher selbst ab und zu ein bisschen Hilfe gebrauchen können, aber das wäre ihr wohl egoistisch vorgekommen. Sie war die, die half. Erst die anderen, dann sie. So etwas kommt heraus, wenn „Nächstenliebe“ ein zentraler Wert der Familie ist, in der man aufwächst, Tag für Tag. Christa wird in einem Pfarrhaus groß, gleich bei Göttingen. Grüneklee heißt sie da noch und ist das dritte von fünf Geschwistern.

Von der Mutter Margarete erbt sie einen starken Willen, damals noch nichts, mit dem man sich als Frau hervortun soll. Nicht laut und polternd ist dieser Wille, aber doch stetig und energisch. Die Mutter lebt es ihr vor: Ihren Mann, einen Atheisten, bewegte sie in Richtung Christentum, ihretwegen studierte er schließlich Theologie und wurde Pfarrer. Und nickt, wann immer seine Frau verwaiste Kinder aufnimmt. Meist wuseln um die 20 durch das Pfarrhaus, die Flucht, der Krieg hat sie von ihren Eltern getrennt. Zum Glück gehört zum Pfarrhaus ein Riesengarten, der alle satt macht.

Christa wird Lehrerin, studiert Biologie und Germanistik. Als man ihr anbietet, in den Auslandsdienst nach Peru zu gehen an eine Schule für Diplomatenkinder, sagt sie Nein, sie will armen Kindern etwas beibringen, die sonst keine Chance haben, nicht Kindern reicher Eltern. Also bleibt sie vorerst in einem westfälischen Ort, den ihr die Schulbehörde zugewiesen hat, gibt aber anderweitig ihrem Fernweh nach. Eine amerikanische Journalistin, die sie kennenlernt, lädt sie 1965 nach San Francisco ein. Christa zögert nicht, bucht einen Flug mit dem Ersparten. Von San Francisco geht es nach New York mit dem Greyhound-Bus, und dort, beim Besuch des Empire State Building, findet sie eine Lebensfreundin, Trixie. Die Frauen bleiben ein Leben lang verbunden.

Nicht zurück nach Westdeutschland!

Bekannte stellen Christa dann einen jungen Mann zur Seite, der sie über die Bundesgartenschau 1967 in Karlsruhe begleiten soll, Otto Vielhauer, der ebenfalls einer Pfarrersfamilie entstammt und in Karlsruhe zu Hause ist. Beim Flanieren durchs Blütenmeer finden die beiden Gefallen aneinander, aber da sie in verschiedenen Städten wohnen, gehen zunächst Briefe hin und her. Otto gefällt die aufgeschlossene und entscheidungsfreudige junge Frau. Zwei Jahre später wird geheiratet. Otto liest eine Anzeige der Berliner Senatsinnenverwaltung: Man sucht Juristen. Seine Bewerbung ist erfolgreich, die beiden ziehen nach Berlin, wo er bis 1998 für den Haushalt der Alliierten zuständig sein wird. Die Bitten von Freunden und Familie in den kommenden Jahren, doch wieder nach Westdeutschland zurückzukehren, verhallen ungehört. Christa ist jetzt Anfang 30, heißt nun Vielhauer und bekommt drei Kinder. Und sie besteht darauf, zu arbeiten. Otto ist einverstanden.

Zunächst leben die Vielhauers im Bayerischen Viertel, später in Lichterfelde. Eine berufstätige Mutter braucht Unterstützung, deshalb nimmt sich Christa eine Kinderfrau und Haushaltshilfe und gibt beinahe ihr ganzes Gehalt für diese aus. Als die Kinder keine Babys mehr sind, gründen die Vielhauers gemeinsam mit anderen Eltern einen Kinderladen. Als Verheiratete haben sie keinen Anspruch auf einen Kitaplatz, aber Christa muss, um ihren Beamtenstatus zu behalten, nach zwei Jahren wieder arbeiten gehen.

Ende der 70er Jahre nimmt Christa an Sitzblockaden gegen die Stationierung von Pershing-Atomwaffen und SS-20-Raketen in Deutschland teil. Für eine Beamtin gehört sich so was nicht, dafür gibt's einen Eintrag in die Personalakte. Viele Jahre arbeitet sie an der Bröndby-Schule in Lankwitz und kümmert sich um viele Kinder, die andere schon abgeschrieben haben. Privat und mit den eigenen Kindern liebt sie es, in der Natur zu sein, denkt schon damals ökologisch und wandert gern.

In den 80er Jahren eine Schocknachricht: Christa hat Brustkrebs. Der Tumor kann wegoperiert werden, alles scheint gut auszugehen, tut es aber doch nicht. Das Bestrahlungsgerät wird nicht akkurat eingestellt, Christas Arm hängt danach schlaff herunter, die Muskeln bilden sich zurück, die Knochen werden porös. Eine schwere Zeit für die Familie. Christa neigt nicht zur Wehklage, sie will eine Amputation des verkorksten Körperteils. Mit der Prothese kommt sie klar, diese ist aus Kunststoff und ganz leicht.

Sie kümmert sich ohnehin lieber um andere als um sich selbst. Christa Vielhauer bringt sich in gemeinnützigen Vereinen ein, seit 1984 auch bei der Versorgung von geflüchteten Familien. 1992 gründet sie mit anderen den Verein "Fraueninitiative Berlin-Warschau". Ihre polnische Haushaltshilfe hatte ihr erzählt, dass sie eigentlich Akademikerin sei – wie so viele osteuropäische Hilfskräfte im reichen Deutschland. Christa will etwas zurückgeben, will Türen öffnen. Ein jahrelanger Austausch folgt. Und die Frauen fahren oft nach Polen, mal schauen sie sich die Renaissancestädte des Landes an, mal die Holzkrichen, die Tartarendörfer, die großen Städte sowieso: Warschau, Krakau, Lódz. Vorurteile fallen, Freundschaften entstehen.

Am 19. Juli ist Christa Vielhauer im Kreis ihrer Familie gestorben.

[Wir schreiben regelmäßig über nicht-prominente Berliner, die in jüngster Zeit verstorben sind. Wenn Sie vom Ableben eines Menschen erfahren, über den wir einen Nachruf schreiben sollten, melden Sie sich bitte bei uns: nachrufe@tagesspiegel.de. Wie die Nachrufe entstehen, erfahren Sie hier.]

Judka Strittmatter

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