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Brita Maaz (1934-2019), auf Tour durch Amerika im Jahr 1960.

© privat

Nachruf auf Brita Maaz (Geb. 1934): „Das hab’ ich nicht vor“

Sie wuchs in Villen auf, wurde Sozialarbeiterin - und Herrin über ihr Schicksal. Der Nachruf auf ein Frauenleben mitten im deutschen 20. Jahrhundert.

Von David Ensikat

Zwei Fotos, auf beiden sie mit einem Auto. Auf dem einen ist sie Mitte 20, auf dem anderen Mitte 30. Die Jahre dazwischen: ein Zeitalter. Man erkennt es an den Autos, viel mehr natürlich noch an ihr.

Das erste Foto. Sie sitzt in einem amerikanischen Cabrio, das einem deutlich älteren Herrn gehört. Eine strahlende junge Frau im Sommerkleid, oder sagen wir: ein Fräulein von Welt, hinreißend und hingegossen, wie es sich der Mann von Welt erträumt.

Auf dem zweiten Foto steht sie neben einem sehr viel kleineren Auto. Dafür hat es ein Dach und vier Türen, und es ist ihr eigenes. Das Foto hat ein ziemlich junger Mann gemacht, den sie zwei Jahre darauf heiraten wird – nicht, weil die Ehe das Ziel ihres Frauenlebens ist, eher aus pragmatischen Gründen. Sie trägt die Haare kurz, Rollkragenpullover, Hose. Eine schlanke, große Frau von 34 Jahren, die im Leben steht, in ihrem Leben.

Brita Maaz im Jahr 1968.
Brita Maaz im Jahr 1968.

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Brita kam aus besseren Verhältnissen. Wuchs auf in großen Häusern, der Vater Chefarzt, die Mutter aus der Familie Trendelenburg, Britas Opa war Staatssekretär und Industriekapitän. Die Mutter war eine der ersten Medizinstudentinnen, brach das Studium aber ab, heiratete und gebar zwei Töchter. Feingeistig war sie, besonders lebenstüchtig aber nicht. Ihr Mann beschwerte sich bei den Trendelenburgs über ihre unzureichenden haushalterischen Fähigkeiten, woraufhin die Schwiegereltern sofort eine Hilfskraft in den Haushalt entsandten, Helene Kunz aus dem Wedding. Die kümmerte sich auch um die Töchter und prägte Brita wohl weit mehr als ihre Mutter. Eine praktische Person, die das Leben nahm, wie es kam.

Die Eltern lassen sich scheiden, und als die ersten Bomben auf Berlin fallen, zieht die Mutter mit den Töchtern und der helfenden Helene nach Südhessen in die Villa eines befreundeten Industriellen. Von den Schrecken des Krieges bleibt Brita verschont, und selbst die harten Monate danach, als sie über die Bauernhöfe ziehen müssen, um Zigaretten gegen Essbares einzutauschen, behält sie eher als Abenteuer in Erinnerung.

Die Mutter ist nicht so robust wie ihre Tochter, sie nimmt sich 1946 das Leben. Helene bringt die beiden Mädchen nach Bielefeld, wieder in ein großes, herrschaftliches Haus. Großtante und Großonkel sind Gynäkologen, in der oberen Etage haben sie eine Geburtsstation eingerichtet. Was hier geschieht, beeindruckt Brita tief.

Mit 18, nach dem Abitur, kehrt sie zurück nach Berlin, in die Dahlemer Dienstvilla ihres Vaters. Sie möchte Medizin studieren, beugt sich aber der Meinung des Patriarchen: „Das ist nichts für dich, Schneckel!“ Sie studiert ein wenig Germanistik und merkt schnell, dass sie es doch lieber konkreter, lebensnäher hätte. Nach dem Studium der Sozialpädagogik arbeitet sie als Fürsorgerin beim Bezirksamt Neukölln und schließlich als Sozialarbeiterin an der Landesnervenklinik Spandau.

Sie treffen sich in Rom, Paris, Detroit

Bevor sie aber Hilfsbedürftigen das Leben organisiert, sucht sie selbst noch ihren Platz darin – und wo sonst als an der Seite eines Mannes, eines sehr viel älteren Mannes. Im Haus ihrer adeligen Stiefmutter finden Gesellschaften statt, sie lernt dort wohlhabende und anspruchsvolle Herren kennen, einer von ihnen ist der Gynäkologe und Sexualreformer Hans Lehfeldt. Er ist 1934 nach New York emigriert, leitet dort eine Klinik für Familienplanung, hat Frau und Kinder und reist zu Kongressen auf der ganzen Welt. Er verliebt sich in die schöne Brita, 35 Jahre jünger als er, sie verliebt sich in ihn. Sie treffen sich in Rom, Paris, Detroit, weder seine Frau, noch ihr Vater erfahren etwas von der Sache. Auf einer Amerika-Tour 1960 entsteht das Foto im Cabriolet.

Obgleich Brita in Berlin ihr eigenes Leben führt, die Ausbildung, die ersten Schritte in den Beruf, übernimmt ihr ferner Geliebter eine gewisse, nicht ganz selbstlose Versorgerrolle: Er schickt ihr die Verhütungspille, die in Deutschland noch kaum bekannt ist. Als sie in eine tiefe Krise gerät, da ihr die Geheimbeziehung nicht genügt, organisiert er ihr eine Psychoanalyse. Womöglich hilft sie ihr, die Sache zu beenden. Jedenfalls wird sie sich nie wieder in eine solche Abhängigkeit begeben.

1965, auf dem „Zinnoberball“ an der Hochschule der Künste, spricht sie ein gut aussehender Mann an, der gar nicht ahnt, dass sie neun Jahre älter ist als er. Wolfgang, Anfang 20, ist Student der Altgermanistik und steckt tief im revolutionären Treiben. Sie nicht so sehr, hin und wieder begleitet sie ihn auf Demonstrationen, aber mehr aus Sorge um ihn als um die Ausbeutungsverhältnisse.

Sie will ein Kind, Wolfgang will promovieren. Es herrscht Gleichberechtigung in der Beziehung, beide können ihren Wunsch erfüllen. Sie heiraten, sie arbeiten halbtags und kümmern sich zu gleichen Teilen um die Tochter. Gemeinsam mit anderen gründet Brita einen Kinderladen. Jeden Donnerstag ist Elternabend, der gern mal vier Stunden dauern kann. Auch Wolfgang geht dahin, obgleich er sehr viel lieber in den Gremien der FU die höhere Bildung revolutioniert.

Sie bewohnen 120 Quadratmeter am Lietzensee, sehr bürgerlich und mittendrin im deutschen 20. Jahrhundert. Im Haus wohnt eine Dame, von der man weiß, dass sie jüdische Wurzeln hat. Was mit ihrer Familie geschehen ist, weiß man nicht. Ebenfalls dort wohnhaft: der Hausverwalter, welcher die Betriebskosten so präzise abrechnet, wie das nur möglich ist. Von ihm weiß man, dass er bis 1945 Richter war und Deserteure hinrichten ließ. Im ersten Stock befindet sich eine Zehn-Raum-WG, in der alternative Lebensformen ausprobiert werden. Gegenüber gibt es immer mal eine Razzia. Da wohnt Horst Mahler, linker Anwalt und Terroristenunterstützer.

Nur keine Schwermut

Als die Tochter Asja zehn ist, trennen sich Brita und Wolfgang. Einer ihrer Gründe: Er braucht so wahnsinnig lange für seine Dissertation; sein ganzer Universitätskram erscheint ihr, wie soll man sagen, wenig handfest.

Und so, wie sie sich damals, nach ihrer ersten schwierigen Affäre in eine ganz und gar andere Beziehung begeben hatte, tut sie es nun auch. Der Mann, mit dem sie nochmal eine Liaison eingeht, ist ein praktisch veranlagter Nichtakademiker. Und er ist verheiratet, doch diesmal wird die Sache offen ausgetragen.

In Erziehungsdingen ist Brita ebenso pragmatisch wie bei allem anderen. Als Asja 15 ist, steckt sie ihr 50 Mark zu: „Wenn du ausgehst und es später wird oder irgendwie schwierig, dann nimmst du dir bitte ein Taxi.“ Als Asja den Führerschein machen will, um Motorroller zu fahren, meint Brita: „Mach das, aber zuerst kommst du mit in meine Klinik und guckst dir bei ein paar Patienten an, was ein Schädel-Hirn-Trauma anrichten kann.“

Für die Frau, die ihr Berufsleben lang anderen Menschen geholfen hat, ist es kaum vorstellbar, wie es sein würde, selbst auf Hilfe angewiesen zu sein. Mit 76 zieht sie vom Lietzensee in eine etwas kleinere Wohnung; nicht leicht das Ganze wegen ihrer riesigen Bibliothek. Nach einem langen Krankenhausaufenthalt im letzten Jahr ist klar, dass sie in ein Pflegeheim muss. Asja, ihre Tochter, und Wolfgang, von dem sie sich nie hat scheiden lassen, kümmern sich darum. Brita begibt sich direkt vom Krankenhaus ins Pflegeheim und sucht ihre Wohnung nicht mehr auf. Da könnte womöglich ein schwermütiges Gefühl aufkommen, das vermeidet sie doch lieber.

Als sie dann noch einmal in die Klinik muss und es zu Komplikationen kommt, sagt Asja zu ihr: „Es sieht nicht gut aus. Könnte sein, dass du sterben wirst.“ – „Das hab’ ich nicht vor“, entgegnet sie mit der Gewissheit der Herrin übers eigene Schicksal. Schwer vorstellbar, dass sie sich diesmal täuschen würde.

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