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Biouk Roshani

© privat

Nachruf auf Biouk Roshani: Anschnallen? Auf keinen Fall!

Ein schöner Mann mit großem Glück im Leben. Leider fehlte ihm dafür das Gespür. Er würde nie auf dem grünen Zweig landen, da war er sich sicher.

Von David Ensikat

Als seine Tochter ihn fragte, ob er, könnte er noch mal von vorn beginnen, sich wieder für ein Leben anderswo entschiede, für ein Leben hier in Deutschland und nicht im Iran, wo er geboren, wo er aufgewachsen war, als seine Tochter ihn das fragte, antwortete er sofort, ohne jedes Zögern: Nein! Er würde in seiner ersten Heimat bleiben.

Was bestimmt nicht heißt, dass sein Leben hier ein armes gewesen wäre. Von außen betrachtet, oder sagen wir, von einer recht nahen Seitenlinie, sieht es eher nach einem ausnahmehaft reichen Leben aus. Ein erfüllender, gut bezahlter Beruf, eine ausgesprochen stabile Konstitution, viele Frauen, die ihn liebten und die er liebte, zwei Töchter und ein später Sohn, die ihren unzufriedenen Vater über alles lieben.

Die recht nahe Seitenlinie, das ist die Beobachtung der Tochter Anuschka, die ihm diese Frage stellte, und die ein Buch über ihn und ihre Mutter geschrieben hat, „Komplizen“, ein grandioses Denkmal zweier Menschen, welches ihn – und alles andere hätte er schwer ertragen – weitaus größer, facettenreicher darstellt als die Mutter. Was womöglich daran liegt, dass die Tochter ihrer Mutter viel näher ist, und dass der Vater ihr, auf die eine oder andere Weise, fremd geblieben ist, sodass sie ihn sich selbst zu beschreiben versucht. Von erklären kann keine Rede sein; erklären konnte er sich selbst kein bisschen. So viel aber ist klar: Unter seinen vielen Talenten fehlte ihm das zum Glücklichsein.

Sein Start ins Leben entsprach dem weiteren Verlauf. Da war zunächst das Glück, in eine wohlhabende Familie hineingeboren zu werden, in der Bildung eine große Rolle spielte. Doch zum Zeitpunkt der Geburt lag seine Heimatstadt Shapour nach einem Erdbeben in Trümmern. Da es über das genaue Datum seiner Ankunft unterschiedliche Aussagen gibt, darf man auch erzählen, er sei während dieses Erdbebens zur Welt gekommen, der Boden habe unter ihm von Anfang an geschwankt.

Ein paar Monate Gefängnis

Für eine bessere Schulbildung schickten seine Eltern ihn nach Teheran zu einem Onkel. Was auf die Schule folgen sollte, war nicht sofort klar, er erzählte, er sei erst mal ein Jahr durchs Land gezogen und habe vom Backgammonspiel gelebt. Das ist insofern glaubhaft, als er auch später ein hervorragender Spieler und Schummler war.

Mit 16 ging er gegen den Schah auf die Straße, was ihm einigen Ärger in der Familie einbrachte und ein paar Monate im Gefängnis. Aus politischen Gründen hat er das Land dann aber nicht verlassen, er sollte einfach eine gute Universität besuchen. Da das in Deutschland am günstigsten war und weil ein Freund von ihm nach Freiburg ging, zog auch er nach Freiburg, Medizin studieren.

Da mag es noch eine Handvoll mehr Ausländer gegeben haben, aber er war gewiss der Schönste unter ihnen. In Zeitungsartikeln aus jener Zeit, die tatsächlich ihn meinen, steht zu lesen, dass ein blendend aussehender Student aus Persien sich die Tolle abrasiert habe, damit die Frauen ihm nicht mehr in solchen Scharen nachsetzen.

Nach ein paar Jahren zog Biouk nach Berlin, setzte sein Studium an der Freien Universität fort und sprach auf der Bismarckstraße die ebenfalls bildschöne Valerie an, Tochter aus gutem Haus, ausschließlich auf hohen Absätzen oder im crèmefarbenen Renault Floride unterwegs. Ihren Eltern war der Fremde mit dem dunklen Teint nicht geheuer, umso tiefer verliebte sie sich in ihn. Hochzeit war am 26. Juni 1963, just an jenem Tag, als John F. Kennedy erwähnte, er sei ein Berliner, um sich mit Berlinern wie Biouk und Valerie zu solidarisieren, welche sich noch am selben Tag zur Hochzeitsreise nach Amsterdam aufmachten.

Ein Jahr später kam die erste Tochter zur Welt, drei Jahre später die zweite. Und nach sieben Jahren war die Ehe am Ende. Valerie hatte erfahren, dass ihr weiterhin schwer begehrter Mann, inzwischen Facharzt in der Chirurgie, eine Affäre mit einer Patientin begonnen hatte: Ines, ein Mannequin, welches noch weit schlanker und größer war als Valerie. Die warf ihren Mann raus, der selbstverständlich am Boden zerstört war.

Schaut, was euer Vater euch geschickt hat!

So verletzt sie auch war, so entschieden sie sich von ihm getrennt hatte, Valerie blieb Biouk bis zum Ende seines Lebens eng verbunden. Wenn er sich weitaus intensiver um seine neue Frau kümmerte als um seine Töchter, dann kaufte sie ihnen die Weihnachtsgeschenke, die er nicht besorgt hatte, und belog die glücklichen Mädchen: Schaut, was euer Vater euch geschickt hat. Sie begleitete ihn sogar mit einer Tochter auf eine Reise nach Teheran, um seine Familie dort im Glauben zu halten, er führe im fernen Westen ein ordentliches Leben. Gut möglich, dass die Verwandten im Iran aufgeklärt genug waren, um die Wahrheit zu ertragen. Gut möglich, dass der Zirkus eher seiner eigenen Beruhigung diente. Als Biouk sich von seiner dann schon nicht mehr ganz so neuen Frau wieder trennte, spendete Valerie ihm Trost und versuchte, seinen Zorn auf die frisch Verflossene zu mildern. Seinem erneuten Werben aber hielt sie stand; sie wusste, dass es besser so war. Seine weiteren großen Lieben, die kurzen wie die länger währenden, endeten sämtlich im dramatischen Desaster.

Die Töchter erlebten ihren Vater nicht allzu oft, da die Mutter mit ihnen nach Hamburg gezogen war. Die Flüge nach Berlin waren teuer. Als sie dann in Berlin studierten, war das Verhältnis viel enger. Wenn sie Geburtstag hatten, stand er mit einem Riesenstrauß Blumen vor der Tür, ohne Einladung selbstverständlich. Ihn musste man nicht einladen; er kam, wann immer er es für richtig hielt und klingelte Sturm: Achtung, hier bin ich!

Er wollte so sehr gesehen und beachtet werden, dass man meinen könnte, in seinen prägenden Kinderjahren seien alle um ihn herum blind und taub gewesen. Er wollte in einem Übermaß das Leben genießen, dass man meinen könnte, er sei in bitterer Armut aufgewachsen. Die Tochter erinnert sich, wie er sie ins italienische Eiscafé auf dem Ku’damm einlud und sich selbst 49 Kugeln Eis bestellte. Wie sie auf dem Beifahrersitz seines Sportwagens saß, sich auf keinen Fall anschnallen durfte – Das Leben ist Risiko, mein Kind, versteh doch! –, und wie er ihr dann seine Einnahmen und Ausgaben des Monats diktierte, welche sie auf einem Notizzettel gegenrechnete, um zuverlässig auf ein dickes Minus zu kommen, was ihm wiederum Anlass zu herzbrechender Klage gab. Es ging so ungerecht zu in der Welt, er würde nie auf dem grünen Zweig landen!

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Als Chirurg am Krankenhaus und später als Allgemeinmediziner mit eigener Praxis hat er nicht schlecht verdient. Er verwies auch gern auf die Superhonorare in einer Privatpraxis für Schönheitschirurgie. Aber der einzige Lebensstil, der ihm würdig erschien, war nun einmal recht kostenintensiv. Das Mercedes-Coupé, der knöchellange Lammfellmantel, die Restaurantbesuche, das war er sich selbst ebenso schuldig wie seiner Umwelt, der er ein üppig ausgestattetes Bild von sich zu vermitteln hatte. Kaum etwas war ihm so zuwider wie Geiz und Knauserei. Eine Rechnung teilen – undenkbar. Man lädt einander ein! „Einem bösen Hund gibt man zwei Knochen“, will heißen: man beschämt ihn durch Großzügigkeit – das war eins der persischen Sprichworte, die er gern anbrachte, und bei denen nie ganz klar war, ob er sie sich nicht selbst ausgedacht hatte.

Biouk Roshani (1930-2020)
Biouk Roshani (1930-2020)

© privat

Nach großem Unglück klingt das alles nicht. Entscheidend bleibt doch aber, von wo aus man die Dinge betrachtet. Wenn die Romanzen in Zorn und Jammer mündeten, war kein Glück mehr übrig. Wenn eine Freundschaft zerbrach, und es zerbrachen viele, blieb das Gefühl, unverstanden zu sein. Biouks Gerechtigkeitsempfinden war das eines chronisch Verwöhnten: Mit 70 stellte er erstaunt fest, dass nur noch Frauen ab 30 ihm hinterherschauen würden. Als er mit Ende 70 erstmals ernsthaft krank wurde, Parkinson, waren es nicht allein die schlimmen körperlichen Schmerzen, die ihn quälten. Wie konnte das geschehen? Warum nur ihm? Er war der Arzt, nicht der Patient!

Seine Kinder besuchten ihn regelmäßig, sie riefen ihn oft an. Viel öfter aber, beinahe täglich, kam Valerie vorbei. Sie war sich ihres eigenen, seit Jahrzehnten von ihm getrennten Lebens sicher genug, um diesem komplizierten, großartigen Kerl eine Art Treue zu halten. Auch wenn er anderer Meinung gewesen sein mag, man kann wohl sagen, er hatte großes Glück.

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