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Volker Siems vernetzt mit seiner Plattform Menschen in Friedrichshain.

© promo

Nachbarschaftsportale in Berlin: Wer kann nächste Woche Blumen gießen?

In Berlin kennt niemand seine Nachbarn? Unsinn! Durch Nachbarschaftsportale und Apps ist Alltagshilfe und Kiezgefühl einfacher denn je.

Hat jemand eine Bohrmaschine, die ich kurz leihen könnte? Wer kann bei mir nächste Woche die Blumen gießen? Jemand einen Tipp für einen guten Italiener in der Nähe? Solche Fragen stellt man seinen Nachbarn. Voraussetzung: Man kennt sie auch. Bei Alexander Wiechmann ist das mit den Nachbarn allerdings etwas komplizierter: Der Rostocker arbeitet nur unter der Woche in Berlin, je nach Einsatzort ist er in Hotels in verschiedenen Bezirken untergebracht. „Es ist ziemlich schwierig, in Berlin Leute kennen zu lernen. Vor allem wenn man, wie ich, nicht so der Typ ist, der Leute in der Bar anspricht.“ Durch einen Flyer wurde der 32-jährige Tischler im vergangenen Sommer auf Roundhere aufmerksam.

Roundhere ist eine von vielen Nachbarschaftsportalen und -apps, die in den vergangenen ein, zwei Jahren entstanden sind, 20 000 Nutzer haben sich schon angemeldet. „Wir haben vor einem Jahr als Campus-App gestartet, damit sich Studenten an der Uni vernetzen können“, sagt Gründer Jan Tillmann. Erst im Spätsommer haben er und seine Mitstreiter Roundhere zur Nachbarschafts-App weiterentwickelt, als sie merkten, dass viele sie auch über den Campus hinaus für private Zwecke nutzen. Alexander Wiechmann geht jetzt regelmäßig zu den verschiedenen Stammtischen. Echte Freundschaften haben sich noch nicht ergeben, aber nette Abende in bunter Gesellschaft allemal. „Außerdem lerne ich durch die App die Kieze besser kennen, weil oft Neuigkeiten und Infos aus der jeweiligen Gegend gepostet werden“, sagt Wiechmann.

Geschlossene Hausgruppen

Wer sich einen Account anlegt, kann Mitglied in einer der offenen Bezirks- oder Kiezgruppen werden. Die dienen nicht nur dem Kennenlernen von Nachbarn und Umgebung, sondern auch dem Austausch von Meinungen zu Kiezthemen, etwa wenn in der Gegend Neubauten entstehen, und Tipps, zum Beispiel, wo man in der Nähe einen guten Friseur findet.

Neben den offenen Gruppen gibt es auch geschlossene Hausgruppen, die von den Bewohnern angelegt werden. „Dort geht es primär um schnelle Hilfe im Alltag wie die Frage nach der Bohrmaschine, sowie um hausinterne Belange, Probleme mit der Hausverwaltung oder anstehende Mieterhöhungen“, sagt Gründer Tillmann.

App von Investor finanziert

Wer eine Hausgruppe gründet, muss sich selbst darum kümmern, dass auch die anderen Bewohner sich anmelden und der Gruppe beitreten. Roundhere gibt Tipps bei der Ansprache und stellt vorgefertigte Aushänge fürs Treppenhaus zur Verfügung. Kann man dann nicht auch einfach direkt bei den Nachbarn klopfen und sich in einer privaten Whatsapp- oder Facebook-Gruppe zusammenschließen? „Es geht um den Komfort“, sagt Tillmann. „Bei Roundhere braucht man noch nicht einmal die Handynummer der anderen.“ Zur Anmeldung reicht der Vorname und eine Emailadresse. Wer einer Hausgruppe beitreten möchte, muss natürlich seine Adresse angeben.

Noch wird die App von einem Investor finanziert. Damit sie auch künftig kostenlos und anzeigenfrei bleibt, wollen die Macher Partnerschaften mit lokalen Unternehmen eingehen, die einen Mitgliedsbeitrag zahlen und ihre Dienstleistungen und Produkte anpreisen, wenn sich Nutzer danach erkundigen. Wenn also jemand nach einem Schuster in seinem Kiez fragt, kann sich der Schuster, der Mitglied im Portal ist, melden. Natürlich ist das auch Werbung, nur gezielter. Die Nutzerdaten würden nicht weitergegeben, versichert Tillmann.

Portale sammeln Daten

Volker Siems ist da skeptisch. „Natürlich sammeln all diese Portale und Apps die Daten ihrer Nutzer, damit lokale Unternehmen zielgerichtet werben können“, sagt der Betreiber von Polly & Bob. Sein vor zwei Jahren gegründetes, mittlerweile in einen Verein umgewandeltes Nachbarschaftsportal dient in erster Linie der Organisation von Veranstaltungen: Hinterhofflohmärkte, Wohnzimmerkonzerte, „Kiez trifft Flüchtlinge“, Büchertauschbörsen, Kiezspaziergänge. Mitglieder zahlen – noch auf freiwilliger Basis – einen monatlichen Beitrag von zwei, fünf oder zehn Euro.

„Wir sind eine Non-Profit-Organisation“, sagt Siems. „Jeder Euro wird investiert.“ Zum Beispiel in die Programmierung einer neuen Webseite, die im März gelauncht werden soll und über die kann man per Umkreissuche Gleichgesinnte aus seiner Nachbarschaft finden.

Bisher ist Polly & Bob überwiegend in Friedrichshain aktiv, wo Siems selbst in einer WG wohnt. Mehr als vierzig freiwillige Helfer und gut 10 000 Nutzer hat das Portal laut Siems. Nach und nach soll es nun ausgebaut werden. „In Friedrichshain konnten wir testen, wie es geht. Mit diesem Wissen wollen wir das Konzept erst in die anderen Kieze bringen, dann in andere Städte und nach ganz Europa.“

Auf blog.pollyandbob.com finden Interessierte Hilfe-Kits, um eigene Events zu organisieren, Siems plant Workshops und Webinare zum Thema Nachbarschaft. Das Motto von Polly & Bob: mehr offline – weniger online. Siems sieht das Internet als Werkzeug: Die digitale Plattform ist Mittel zum Zweck, um sich analog zu begegnen. Im Grunde ist das auch das Ziel von Roundhere.me, Nebenan.de und Co. Aber braucht man wirklich eine App, um seine Nachbarn zu treffen?

Im Treppenhaus kennengelernt

Eva von der Heide und Christin Antoni aus dem Körnerkiez in Neukölln jedenfalls nicht. „Wir haben uns im Treppenhaus kennengelernt“, sagt Eva. „Ich war gerade mit einer anderen Nachbarin dabei, mein neues Bett hochzutragen.“ Christin hat kurzerhand mit angepackt. Zu dritt sperrige Möbel in den vierten Stock zu wuchten schweißt zusammen.

Eine vierte Nachbarin stieß dazu. Eigentlich wollten sich die vier, alle um die dreißig, nur ab und zu zum Tatortgucken verabreden. Mittlerweile ist die unter dem Namen „Tatort-Connection“ firmierende Whatsapp-Gruppe aber viel mehr. Abgesehen von der Klärung der obligatorischen Nachbarschaftsthemen wie Blumengießen und Post von der Hausverwaltung ist eine Freundschaft entstanden; man kann abends klopfen und zusammen einen Tee trinken, sich bei Liebeskummer oder Stress auf der Arbeit mal ausheulen. Eva von der Heide und Christin Antoni sind überzeugt, dass sich kontaktfreudige Menschen auch ohne App im Treppenhaus kennenlernen. Für Neulinge oder Teilzeit-Berliner wie Alexander Wiechmann können sie aber eine Hilfe sein.

Hilfe überall: Noch mehr Nachbarschaftsportale

Die da nebenan
nebenan.de ist eine kostenlose Plattform, die einen vertrauensvollen Austausch unter Nachbarn vereinfachen will. Man kann hier auch einfach fragen, ob es in der Nähe einen guten Physiotherapeut gibt. Beim Datenschutz geht man hier streng vor: Für eine der „Nachbarschaften“ kann man sich nur mit vollständigem Namen und Adresse registrieren, die Daten müssen anschließend verifiziert werden. In Berlin gibt es 50 Nachbarschaften. Interagieren kann man in seiner Nachbarschaft erst, wenn in dieser zehn Personen beigetreten sind.

Wir Nachbarn
Auch die kostenlose Plattform Wirnachbarn.com dient der Vernetzung in der Nachbarschaft: Man kann seinen Mixer zum Verleih anbieten aber auch auf spontane Feste hinweisen. Die Plattform finanziert sich mit Werbung aus der Nachbarschaft geschaltet. Zur Anmeldung muss man ebenfalls seine komplette Adresse, Namen und Geburtsdatum angeben.

Gefallen gefällig?
domeafavour.mobi ist eine kostenlose App für spontane Hilfe im Alltag. Laufpartner können hier gesucht werden, Tandempartner zum Sprachenlernen oder jemand mit Computerkenntnissen. Nach einer erfolgreichen Testphase in Hamburg startet die App im Frühjahr auch in Berlin.

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